Expertin gibt Tipps
Krieg im Nahen Osten - wie spreche ich mit meinem Kind darüber?

„Mama, warum töten Menschen?“
Seit mehr als einem Jahr gibt es Krieg im Nahen Osten. Nach einem Großangriff der islamistischen Terror-Gruppierung Hamas auf Israel führte das Land seither unzählige harte Gegenschlägen auf palästinensische Gebiete aus. Zuletzt hatte Israel auch Gebiete im Libanon angegriffen, jetzt reagierte wiederum der Iran mit 180 Raketen, die auf israelisches Gebiet geschossen wurden. Die tragischen Geschichten aus dem Kriegsgebiet und zahlreichen Berichten gehen auch an Kindern nicht vorbei. Doch wie kann man ihnen die Situation erklären? Die systemische Familienberaterin Ruth Marquardt gibt Tipps.
Sollte ich mit Kindern offen über den Krieg im Nahen Osten sprechen?
In Kontakt mit dem Krieg im Nahen Osten kommen Kinder in der Regel schnell, allein schon durch Social Media. Umso wichtiger, dass es einen Austausch mit den Eltern gibt. „Kinder wollen Antworten und stellen Fragen – darauf sollten sich Erwachsene vorbereiten“, sagt Ruth Marquardt zu RTL.
Wichtig dabei: „Als Elternteil würde ich jedoch nicht aus meinen eigenen möglichen Ängsten und Sorgen oder sogar Bewertungen auf mein Kind zugehen.“
Stattdessen empfiehlt die Familienberaterin, sich vorab folgende Fragen zu stellen:
Was ist meine Haltung?
Welche Ängste oder Sorgen beschäftigen mich bei diesem Krieg?
Wie halte ich eine positive Haltung aufrecht?
Wie ist meine eigene Haltung zu einem friedfertigen Miteinander?
Wie kann ich meinen Kindern in den eigenen vier Wänden beziehungsweise in der Familie ein friedvolles Miteinander vorleben?
Lese-Tipp: Wie Eltern selbstbewusste Kinder erziehen
Worauf sollte man achten, wenn man mit Kindern über den Krieg im Nahen Osten spricht?
„Je nach Alter sollten Sie Fragen kinngerecht beantworten“, erklärt Ruth Marquardt. Besonders gut geht das, indem man anschaulich erklärt. Marquardt nennt folgendes Beispiel:
Frage eines Kinds: „Warum töten Menschen andere Menschen?“
Mögliche Antworten eines Erwachsenen:
Weil sie nicht gelernt haben, friedvoll Konflikte zu lösen.
Weil sie schon als Kinder möglicherweise selbst Krieg und Aggression erlebt haben. Sie empfinden Ohnmacht und Ungerechtigkeit. Manche nutzen das, indem sie ein friedvolles Leben leben, andere wollen Rache oder Macht ausüben.
Manche Menschen haben keinen Frieden um sich herum oder in sich erlebt. Einige werden dadurch angespornt, Frieden in die Welt zu tragen. Andere wollen Rache.
Im Video: Traumaexpertin gibt Tipps, wie man Kindern Krieg erklärt
Worauf sollte man achten, wenn man mit kleinen oder größeren Kindern über den Krieg spricht?
„Im Kindergarten können Kinder noch nicht den globalen Zusammenhang erfassen“, betont Ruth Marquardt. Aber: „Sie kennen Streit und Situationen, in denen sie sich mit ihren Freunden nicht vertragen wollten.“
Eltern sollten jüngeren Kindern vor allem helfen, „sich in andere Menschen hineinzuversetzen, die Verletzungen oder Angst des anderen zu erkennen und zu üben, liebevoll miteinander umzugehen“. Auch über eigene Verletzungen oder Enttäuschungen sollte man sprechen.
Zudem empfiehlt die Familienberaterin Kinderbücher mit Beispielen, die Kinder leicht verstehen können, etwa das Buch „Du hast angefangen - nein Du!“.
Ab dem Schulalter beginnen Kinder mit ihrem rationalen Verstand Zusammenhänge mehr und mehr in ihrer Gesamtheit zu erfassen. Meist erleben Eltern dann, dass ihre Kinder sich eigene Gedanken machen oder die von Social Media nachplappern. „Hier fängt also das Alter an, in dem wir Menschen in unserer Entwicklung Fragen stellen und Dinge nicht mehr als gegeben hinnehmen“, erklärt Marquardt.
Und bei Teenagern? „Je älter die Kinder werden, desto mehr können sie Geschehnisse im Kontext verstehen - gerade jenseits oder in der Pubertät. Sie benötigen hier jedoch Begleitung“, betont Marquardt. Wichtig sei dann vor allem, dass Erwachsene sich selbst und die eigenen Meinungen hinterfragen und Medienkompetenz vermitteln. „Wer erzählt mir was warum? Woher weiß ich, dass das, was mir jemand erzählt, auch wirklich wahr ist?“, seien klassische Fragen, die man vermitteln sollte. Es sei „ein streitbares Alter - aber es ist gut, sich dem zu stellen.“
Lese-Tipp: Bloß nicht! Eine Logopädin verrät acht typische Eltern-Fehler
Was sollte man auf keinen Fall sagen?
Es ist etwas, dass gerade beim Krieg der Hamas gegen Israel für viele Menschen schwierig ist, aber unbedingt gegenüber Kindern vermieden werden sollte: klare Wertungen.
Beispiele wären:
Die sind doch selbst schuld.
Na klar, haben die Israelis / Palästinenser recht.
Frieden ist ohnehin unmöglich.
Warum solche Aussagen so schwierig sind, führt Ruth Marquardt aus: „Wenn wir nach Schuld suchen, rücken wir Frieden in weite Ferne. Oft lösen wir so in den eigenen Familien Aggressionen und Gewalt aus – und sei sie nur verbal. Das haben wir ja bereits bei Covid gesehen.“
Ebenso sollte man vermeiden, auf Social Media Posts zu veröffentlichen, die wertende und beschimpfend Stellung beziehen.
Die Frage, die man sich immer stellen sollte, ist laut Marquardt folgende: „Trage ich mit dem, was ich sage, zu mehr Frieden oder vielleicht doch zu mehr Aggression und Trennung bei?“
Lese-Tipp: Diese Elternsätze von früher wären heute undenkbar - oder sogar strafbar!
Wie kann ich grundsätzlich Ängste nehmen – auch, wenn ich vielleicht sogar selbst welche habe?
Wer selbst Ängste hat, dem empfiehlt Ruth Marquardt: „Raus aus dem Kopf, lassen Sie Social Media und die Nachrichten ruhen, und gehen Sie rein in den Körper.“ Dabei hilft es, sich zu bewegen, am besten in der Natur. Empfehlenswert sind Spaziergänge.
„Das ist deswegen so heilsam und wichtig gegen Angstgefühle, weil das Cortisol, das Stresshormon, das unser Körper produziert und angesammelt hat, vor allem durch Rechts-Links-Bewegungen von Armen und Beinen abgebaut wird.“
Unterstützen könne man das durch Achtsamkeitsübungen oder Meditation. Aber auch durch den Kontakt zu Menschen, die unterstützen und bei denen man sich wohl und sicher fühlt.
Zusammen mit den Kindern sollte man sich mit schönen Dingen befassen. „Gemeinsam spielen. Backen. Basteln. Im Augenblick sein - nicht mit den Gedanken in der Vergangenheit oder der oft zu mehr als 95 Prozent nicht eintreffenden grausamen Zukunft. Leben geschieht immer JETZT. In diesem Augenblick.“