Preis-Explosion gestoppt? Von wegen!

Plötzlich sinkt die Inflationsrate in Deutschland - warum das keine Trendwende ist

 Bamberg, Deutschland 29. Mai 2022: Themenbilder - Symbolbilder - Geld - 2022 Eine Person hat ihre Hand auf eine große Summe von Bargeldscheinen gelegt. Die Geldscheine sind mehrere tausend Euro Bargeld. Bayern *** Bamberg, Germany 29 May 2022 Topic Images Symbol Images Money 2022 A person has put his hand on a large sum of cash bills The bills are several thousand euros cash Bavaria Copyright: xFotostandx/xK.xSchmittx
Die Inflation ist im Juni leicht gesunken, liegt aber immer noch 7,6 Prozent.
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Ein Zeichen der Hoffnung? Die Inflation hat sich überraschend im Juni etwas verlangsamt. Die Verbraucherpreise stiegen gegenüber dem Vorjahresmonat um 7,6 Prozent, wie das Statistische Bundesamt in einer ersten Schätzung mitteilte. Im Mai hatte die Jahresinflationsrate noch bei 7,9 Prozent gelegen. Viele Ökonomen hatten mit einer 8 vor dem Komma gerechnet.
Ist das die herbeigesehnte Trendwende? Eher nicht sind sich eigentlich alle Experten einig: Das ist nur eine kurze „Atempause“ „die Inflationskuh ist noch nicht vom Eis“ und es ist noch „ordentlich Dampf auf dem Kessel“, sagen sie.

Dämpfung durch Tankrabatt und Co.

Tankrabatt, Neun-Euro-Ticket und geringere Ölpreise haben die Inflation in Deutschland im Juni gedämpft. Waren und Dienstleistungen kosteten durchschnittlich „nur“ noch 7,6 Prozent mehr als ein Jahr zuvor, so das Statistische Bundesamt. Von Reuters befragte Ökonomen hatten dagegen mit einem Anstieg auf 8,0 Prozent gerechnet. Im Mai war die Teuerungsrate mit 7,9 Prozent so hoch ausgefallen war wie seit dem Winter 1973/74 nicht mehr.

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Energiepreise steigen weniger stark - gefühlte Inflation bei 18 Prozent

  • Energie verteuerte sich im zu Ende gehenden Monat mit 38,0 Prozent nicht mehr ganz so stark wie im Mai mi 38,3 Prozent.

  • Nahrungsmittel kosteten dagegen 12,7 Prozent mehr als im Juni 2021. Hier hat sich der Preisauftrieb noch beschleunigt (Mai: +11,1 Prozent).

  • Für Dienstleistungen mussten 2,1 (Mai: +2,9) Prozent mehr bezahlt werden.

In der Wahrnehmung der Verbraucher steigen die Preise viel schneller als offiziell gemessen: Die gefühlte Inflationsrate liege derzeit bei fast 18 Prozent, sagte DekaBank-Chefvolkswirt Ulrich Katar. "Das ist ebenfalls historisch hoch." Viele Haushalte müssten auf Erspartes zurückgreifen, um über die Runden zu kommen.

Mehr als die Hälfte der Deutschen mit niedrigerem Einkommen will deswegen sogar weniger Lebensmittel einkaufen. Rund 52 Prozent der Erwerbspersonen mit einem Haushaltseinkommen bis 2.000 Euro netto im Monat sehen sich genötigt, sich vor allem bei Nahrungsmitteln einzuschränken, so eine Studie des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung. Darunter wollen rund 18 Prozent den Konsum von Nahrungsmitteln, Getränken, Tabakwaren und Ähnlichem sogar "bedeutend" zurückfahren. Demnach geben 63 Prozent zudem an, beim Kauf von Kleidung und Schuhen inflationsbedingt kürzer treten zu wollen, darunter 28 Prozent deutlich. Nach einer Forsa-Umfrage im Auftrag von RTL will sich jede und jeder zweite bei den Konsumausgaben einschränken.

Ist das eine Trendwende bei der Inflation? Das sagen die Experten

Eine nachhaltige Entspannung bei den Preisen sehen Experten vorerst nicht – hier ein paar Einschätzungen von Ökonomen in der Übersicht:

DekaBank-Chefvolkswirt Ulrich Katar: „Erst ab Januar 2023 dürfte es nach unten gehen“

"Man darf sich nicht Sand in die Augen streuen lassen", sagte Kater. "Es sind ja insbesondere fiskalische Entlastungsmaßnahmen, die die Inflation etwas herunter gebracht haben." Tankrabatt und Neun-Euro-Ticket im Öffentlichen Personennahverkehr dürften vorübergehend etwas dämpfen. "Das führt aber nicht an der Tatsache vorbei, dass wir bis zum Jahresende Inflationsraten von über sieben Prozent in Deutschland messen werden", sagte Kater. Erst ab Januar 2023 dürfte es dann nach unten gehen, wenn nicht neue Krisen ausbrechen sollten.

Friedrich Heinemann, ZEW-Institut: „Inflation hat volle Breite des Warenkorbs erreicht“

"Die Daten für Juni unterzeichnen noch die echte Inflationsdynamik, weil der Tankrabatt vorübergehend zu einem Absinken der Spritpreise geführt hat. Dieser Effekt wird die Inflationsrate von Juni bis August dämpfen, ohne dass das eine wirkliche Entspannung signalisiert. Sehr hohe Preissteigerungen sind nicht nur bei Lebensmitteln und Energie, sondern auch in den Bereichen Gastgewerbe und auch bei dauerhaften Konsumgütern wie etwa Möbeln zu verzeichnen. Dies zeigt, dass die Inflation inzwischen die volle Breite des Warenkorbs erfasst hat. Das bedeutet, dass die Kaufkraft massiv sinkt, egal wie Verbraucherinnen und Verbraucher auch versuchen, durch Verschiebung ihres Konsums höheren Preisen auszuweichen. Dieser Inflation entkommt niemand mehr."

Alexander Krüger, Chefökonom Hauck Aufhäuser Lampe: „Inflationskuh nicht vom Eis“

"Der inflationäre Aufwärts-Drive ist durch staatliche Entlastungen gebremst worden. Damit ist die Inflationskuh aber nicht vom Eis. Werden die Entlastungen aufgehoben, entsteht neuer Inflationsdruck, der die Rate auf hohem Niveau hält. Ohnehin sind noch eine Menge von Preisüberwälzungen in der Pipeline. Durch den Verteilungskampf um Gas bestehen zudem hohe Inflationsrisiken. Ein großer Zinsschritt der EZB im Juli wäre besser als ein kleiner."

Jens-Oliver Niklasch, LBBW: „Die Inflation ist erst einmal gekommen, um zu bleiben“

"Ein leichter Rückgang der Inflation also. Da hat das Entlastungspaket anscheinend doch etwas gebracht. In den Gütergruppen gab es einen leichten Rückgang des Preisauftriebs für Energie und einen etwas größeren für Dienstleistungen. Letzteres dürfte aufgrund des verbilligten Tickets für den Nahverkehr der Fall sein, das seinen niedrigen Preis ja schon im Namen trägt. Vielleicht hätte man den Tankrabatt auch Ein-Euro-Neunzig-je-Liter nennen sollen. Der Juli und der August werden wohl ähnliche Inflationsraten bringen, im September wird es dann wieder einen Sprung aufwärts geben, wenn der Nahverkehr deutlich teurer wird. Zumal die Verkehrsbetriebe erheblichen Nachholbedarf haben. Die Inflation ist erst einmal gekommen, um zu bleiben. Viel mehr kann man einstweilen nicht sagen."

Fritzi Köhler-Geib, KfW-Chefökonomin: „Nach wie vor Dampf auf dem Kessel“

"Die Erzeugerpreise sind im Mai mit 33,6 Prozent verglichen zum Vorjahr auf einen neuen historischen Höchststand geklettert. Es ist nach wie vor Dampf auf dem Kessel. Dieser treibt die Verbraucherpreis-Inflation auch im Juni. Vor allem der Krieg in der Ukraine und die Pandemie beziehungseise Chinas 'No-Covid'-Politik stören die Energieversorgung und die Lieferketten weiter. Das spricht gegen einen schnellen Rückgang der Inflation und birgt die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale. Tarifparteien in aktuellen Verhandlungen stellt das vor die Herausforderung: Sie müssen einerseits den Kaufkraftverlust für die Arbeitnehmenden jedenfalls teilweise ausgleichen und andererseits die Rückkopplungseffekte auf die Inflation begrenzen. Die Fiskalpolitik kann hier zur Entspannung beitragen, wenn sie soziale Härten abfedert. Die EZB muss mit der Zinswende liefern, um die Inflationserwartung weiter einzudämmen."

Michael Heise, Chefvolkswirt HQ Trust: „Eher eine Atempause als ein Wendepunkt“

"Es ist eine kleine Erleichterung für die Verbraucher, dass der Juni gegenüber dem Vormonat keinen weiteren Kaufkraftverluste brachte. Allerdings handelt es sich wohl eher um eine Atempause und nicht um einen Wendepunkt in der Inflation. Der Höhepunkt der Inflation dürfte eher im September erreicht werden. Der Rückgang ist vor allem auf die staatlichen Entlastungsmaßnahmen wie Tankrabatt und Neun-Euro-Ticket zurückzuführen. Sie haben den Preisanstieg für sich genommen um schätzungsweise 0,9 Prozentpunkte gesenkt und werden im August auslaufen.

Die derzeitige Stagflation verlangt starke Gegenmaßnahmen der Wirtschaftspolitik. Ein Ansatz ist der Inflationsbonus. Die Regierung sollte die Idee des Inflationsbonus gegen Kritik verteidigen. Ein solcher Bonus, der von den Arbeitgebern steuerfrei ausgezahlt werden kann, würde die Kaufkraftverluste der Arbeitnehmer etwas kompensieren und gleichzeitig die Konfliktpotentiale in den anstehenden Tarifrunden etwas entschärfen."

Jörg Krämer, Chefökonom Commerzbank: „Im Juni wirkten Sonderfaktoren wie Tankrabatt und Neun-Euro-Ticket“

"Der überraschende Rückgang der deutschen Inflation von 7,9 auf 7,6 Prozent ist kein Grund zur Entwarnung. Denn im Juni wirkten Sonderfaktoren wie der Tankrabatt und das Neun-Euro-Ticket, das für sich genommen die Inflation fast um drei Viertel Prozentpunkte gesenkt hat. Spätestens mit dem Ende dieser Entlastungen im September sollte die Inflation wieder nach oben springen. Das gilt umso mehr, als die deutschen Unternehmen die massiv gestiegenen Materialkosten noch lange nicht vollständig an die Verbraucher weitergegeben haben."

Entlastungspaket der Bundesregierung scheint zu wirken

Der Ukraine-Krieg treibt die Preise für Energie, Rohstoffe und zuletzt auch für Nahrungsmittel massiv nach oben. Die Bundesregierung hat deshalb ein Milliardenpaket geschnürt, um eine Entspannung zu erreichen. Die Energiesteuer auf Kraftstoffe etwa wird seit 1. Juni befristet für drei Monate "auf das europäische Mindestmaß" abgesenkt, was dem Finanzministerium zufolge 30 Cent pro Liter weniger bei Benzin und 14 Cent beim Diesel bedeutet. Zugleich wurde für 90 Tage im ÖPNV ein Ticket für neun Euro pro Monat eingeführt. (dpa/eku)

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