"Ich will kein Teil von Putins Kriegsmaschinerie sein“Flucht nach Deutschland: Wie ein junger Russe dem Kriegsdienst für Putin entkommen ist

von Lukas Wilhelm

Als Wladimir Putin am 22. September die Teilmobilisierung ankündigte, flohen viele russische Männer. Sie wollen nicht in den Krieg ziehen. Einer von ihnen ist Lev. Unser Autor hat ihn in Düsseldorf getroffen. Dort lebt der 23-Jährige Lev seit drei Wochen. Bis September lebte er in Moskau.
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„Ich sprach mit meiner Familie und meine Mutter sagte mir, dass ich Russland verlassen soll"

Lev engagierte sich in Moskau politisch, unterstützte die russische Opposition und auch das Team um den inhaftierten Oppositionellen Alexey Nawalny. Nur wenige Stunden nachdem Wladimir Putin die Teilmobilmachung für den Angriffskrieg in der Ukraine verkündet hat, wusste Lev, dass er das Land verlassen wird.

„Ich sprach mit meiner Familie und meine Mutter sagte mir, dass ich Russland verlassen soll. Ich habe auch mit einem Freund gesprochen der Menschenrechtsaktivist ist. Er sagte, ich muss raus aus Russland oder beten,“ so schildert er die Stunden nach der Verkündung.

Er sucht nach einem Weg raus aus Russland und entscheidet sich, nach St. Petersburg zu fliegen, um von dort aus mit dem Bus ins Baltikum zu fahren. Eine schwierige Flucht, denn die baltischen Staaten haben die Einreise für Russen enorm erschwert. Mit einem Touristenvisum für den Schengenraum kommt fast niemand mehr rein.

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„Ich will kein Teil von Putins Kriegsmaschinerie sein“

Aber Lev hat Glück. Er passiert zunächst die russische Grenzkontrolle, indem er den Grenzbeamten berichtet, dass er Asthma habe und zudem darauf hinweist, dass er keinerlei militärische Vorerfahrung besitzt. Das genügt den russischen Grenzbeamten, sie lassen ihn passieren.

Dann erklärt er den estnischen Grenzkontrolleuren, dass er vorhabe, direkt nach Deutschland zu fliegen. Auch sie lassen ihn passieren. Der junge Russe, der nicht für Putin kämpfen möchte, ist in Sicherheit.

„Ich habe immer geglaubt, dass es sehr wichtig ist in Russland zu bleiben, wenn man Veränderungen erreichen will.“ Deshalb sei die Flucht für ihn eine sehr harte Entscheidung gewesen. Für Lev stand jedoch fest: „Ich will kein Teil von Putins Kriegsmaschinerie sein.“

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VIDEO: Ändern die Russen ihre Kriegsstrategie?

Statt weiter auf große Geländegewinne zu setzen, verteidige Russland momentan die bereits besetzten Gebiete. Die Hauptstadt Kiew wurde am Montagmorgen nach Angaben des Präsidialamtes mit Kamikaze-Drohnen angegriffen. Russland ändere gerade seine Strategie, erklärt Walter Feichtinger, österreichischer General a.D.. Es werden zivile Ziele getroffen und sie wollen die Ukraine "zermürben." Welche Rolle iranische Drohnen dabei spielen und welche Waffen Russland noch hat, erklärt er im Ukraine Talk.

Entfernte Verwandte leben in Deutschland

Als er die Hauptstadt Tallinn erreicht, spürt er die Erleichterung, endlich auf sicherem Boden zu sein. Er ruft seine Familie an, die stundenlang nicht wusste, ob es Lev wirklich über die Grenze schafft.

Aus Tallinn nimmt Lev eine Linienmaschine nach Düsseldorf. Entfernte Verwandte seiner Familie leben hier. Mit seinem Schengen-Visum kann Lev insgesamt 90 Tage in Deutschland bleiben.

Unterstützung in Deutschland erhält er vom Verein Freies Russland NRW. Sie helfen der Demokratiebewegung in Russland. Und jetzt auch russischen Kriegsdienstverweigerern, die es nach Deutschland geschafft haben. Der Verein organisiert Kennlern-Runden der russischen Männer, die nach Deutschland geflohen sind. Das seien bislang nur ein paar wenige, berichtet der Vorsitzende des Vereins Yuri Nikitin.

Levs Fluchtgeschichte ist eine von vielen in diesen Wochen. Tausende Russen versuchen, der Mobilmachung zu entgehen. Da die Einreise in die EU durch die Visasperre in Osteuropa enorm erschwert ist, schlagen sich die meisten in Richtung der georgischen und kasachischen Grenze durch. Doch dort hat Russland einige Tage nach der Mobilmachung Soldaten stationiert. Wer jetzt noch flüchten will, nimmt große Risiken in Kauf.

Obwohl Levs Chancen auf Asyl in Deutschland gut sind, hat er es nicht beantragt. In ein paar Wochen will er nach Georgien fliegen, um dort wieder zu arbeiten. Als Unterstützer der russischen Opposition im Exil. Wann er seine Familie wiedersehen kann, das kann er nicht sagen. Es könne Monate oder Jahre dauern.

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