Wie Eltern die Klassiker trotzdem erzählen können

Halten Sie diese bekannten deutschen Märchen für zu brutal für Kinder?

Kind weint an der Schulter der Mutter.
Damit Kinder keine Angst bei einst populären Geschichten bekommen, können Eltern einige Tipps beachten.
Juanmonino, Fotolia Deutschland, fotolia
von Lauren Ramoser

Je brutaler die Kindergeschichte, desto größer der Lerneffekt, oder?
Über Jahrhunderte galten der Struwwelpeter, Hoppe hoppe Reiter, Hänsel und Gretel und viele andere deutsche Erzählungen als geeignete Kinderlektüre. Das hat sich gewandelt. Wir haben einen erfahrenen Erzieher gefragt, wie Sie Ihren Kindern die bekannten Geschichten dennoch erzählen können.

Bei Struwwelpeter wird abgehackt, gebissen und gebrannt

Ganz oben auf der Liste der brutalen deutschen Kindererzählungen steht der Struwwelpeter. 1844 fasste der Frankfurter Arzt Heinrich Hoffmann die Kurzgeschichten zu einem Buch zusammen – eine grausamer als die andere.

In der Geschichte vom bösen Friederich heißt es: „Der bitterböse Friederich; Und schlug den Hund, der heulte sehr, Und trat und schlug ihn immer mehr. Da biss der Hund ihn in das Bein, Recht tief bis in das Blut hinein.“ Was wir daraus lernen? Wie wichtig der respektvolle Umgang mit Tieren ist, sonst wehren sie sich – mit schmerzhaften Konsequenzen.

Die „gar traurige Geschichte mit dem Feuerzeug“ verbreitet allerdings neben einer wichtigen Botschaft vor allem Angst und Schrecken. Dort heißt es über das kleine Paulinchen: „Doch weh! die Flamme faßt das Kleid, Die Schürze brennt; es leuchtet weit. Es brennt die Hand, es brennt das Haar, Es brennt das ganze Kind sogar. [...] Verbrannt ist alles ganz und gar, Das arme Kind mit Haut und Haar; Ein Häuflein Asche bleibt allein, Und beide Schuh', so hübsch und fein.“ Die simple Moral von der Geschichte: Mit Feuer spielt man nicht. Viele Jahre lang nutzten Eltern das brutale Narrativ, um Kindern den richtigen Umgang mit Kerze & Co. zu lehren.

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"Fällt er in den Graben, fressen ihn die Raben" - was für ein Spaß

Das lustige Kinderlied „Hoppe Hoppe Reiter“ bringt die meisten Kinder zum Lachen. Aber was genau steht da eigentlich im Text? „Hoppe, hoppe Reiter, wenn er fällt dann schreit er. Fällt er in den Graben, fressen ihn die Raben. Fällt er in den Sumpf, macht der Reiter plumps.“

Mit diesem Lied sind viele Generationen aufgewachsen, heute schrecken viele Eltern vor dem brutalen Text zurück. Ein vermeintlicher Lerneffekt wie beim Struwwelpeter fehlt hier ganz, das Kinderlied soll schlicht unterhalten.

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Hänsel und Gretel - Mordanschlag auf Mordanschlag

Eins der bekanntesten Märchen der Gebrüder Grimm ist die Geschichte um Hänsel und Gretel. Wer genauer auf den Text achtet, wird merken: Hier folgt ein Mordversuch auf den nächsten. Erst setzt die böse Stiefmutter die Kinder zum Verhungern im Wald aus, dann wird Hänsel von der Hexe gemästet, um schließlich geschlachtet zu werden. So weit kommt es nicht, weil die Kinder die Hexe zuvor ins Feuer stoßen, wo sie jämmerlich verbrennt.

Und die Moral von der Geschichte? Hier gehen die Meinungen auseinander. Manche sehen das Märchen als Kritik an Hänsels Völlerei, der sich ungefragt am Lebkuchenhaus der Hexe bedient hatte.

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Düsterer Erziehungshelfer: Knecht Ruprecht

Was wäre der Nikolaus ohne seinen düsteren Helfer Knecht Ruprecht? Mit Ketten rasselnd begleitet er den Nikolaus von Haus zu Haus. Wer nicht artig die Regeln der Eltern befolgt hat, muss die Bestrafung durch den unheimlichen Knecht fürchten.

Theodor Fontane schreibt in seinem Gedicht „Knecht Ruprecht“: "Hast denn die Rute auch bei dir?" Ich sprach: "Die Rute, die ist hier; doch für die Kinder nur, die schlechten, die trifft sie auf den Teil den rechten!"

Damit sich das auch nachhaltig einprägt, gingen noch bis in die 1980er und 1990er Jahre vielerorts verkleidete Verwandte durch die Dörfer, ihre Mission: Kinder einschüchtern und an ihre Versprechen, den Eltern ab jetzt viel besser zu hören, erinnern.

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Warum werden die brutalen Märchen heute nicht mehr so erzählt?

Die Liste an brutalen Geschichten ist lang. Viele der alten Märchen wurden in den letzten 50 Jahren in Kinderbüchern und Filmen schon deutlich abgemildert. Doch woran liegt das?

„Insgesamt sind wir in der heutigen Zeit weicher geworden, weil wir als Gesellschaft heute alles hinterfragen“, erklärt Kita-Leiter Stefan Feldmann im Gespräch mit RTL. „Die Märchen sind in der Tat oftmals brutal, sollten aber eine Lehre für Kinder sein. Sozusagen: Das passiert, wenn du so handelst - handel besser nicht so.“

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Sollte man Kindern die Märchen denn überhaupt noch erzählen?

„Natürlich können Eltern ihren Kindern auch heutzutage noch Märchen erzählen“, sagt der erfahrene Erzieher. „Nur beim Erzählen sollte es aber nicht bleiben.“ Wichtig seien Erklärungen dazu, um die Kinder aufzufangen. „Ohne Aufklärung geht es nicht“, sagt Feldmann.

Viele der klassischen Geschichten gibt es mittlerweile auch in deutlich abgeschwächter Form. So müssen Eltern nicht auf das Erzählen von Klassikern aus der eigenen Kindheit verzichten, den Kindern bleiben gleichzeitig nächtliche Albträume von Struwwelpeter & Co. erspart.

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