Top-Virologen über Virus-Veränderungen

Virus-Varianten: Wie Mutationen entstehen und was sie bedeuten

 News Bilder des Tages Buchstabenwürfel bilden das Wort Mutation neben einem Coronavirus-Modell *** Letter cubes form the word mutation next to a coronavirus model
Zu Beginn der Pandemie war das Coronavirus so gefährlich, weil es noch nicht an den Menschen angepasst war. Mit der Zeit und durch Mutationen ist dies dann passiert.
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Wenn das Virus mutiert, wird es gefährlich – ein Satz, der seit Beginn der Pandemie Angst schürt. Zu Beginn der Pandemie war das Coronavirus so gefährlich, weil es noch nicht an den Menschen angepasst war. Mit der Zeit und durch Mutationen ist dies dann passiert. Die Virus-Variante Omikron verursacht bislang weniger schwere Krankheitsverläufe als die Ur-Variante und wird deshalb als eine sogenannte „Escape-Variante“ diskutiert. Doch wie entstehen Virusvarianten und wie wirken sie sich aus? Wir haben die Meinungen der Top-Virologen zusammengefasst.
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Warum Omikron als sogenannte Escape-Variante diskutiert wird

Die Corona-Zahlen steigen. Das Robert Koch-Institut (RKI) registriert 112.323 Neuinfektionen (Stand 19.1. um 03:27 Uhr). Im Vergleich zur Vorwoche ist die Zahl der Neuinfektionen bundesweit um fast 32.000 Infektionen gestiegen. Die Sieben-Tage Inzidenz liegt bei 584,4.

Bei Omikron sind ungewöhnlich viele Veränderungen zu dem Urvirus nachgewiesen worden, die laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) besorgniserregend sind. Der Mutation hin zu Omikron wird eine größere Bedeutung zugeschrieben als anderen. Insbesondere mit Blick auf die Übertragbarkeit. Denn diese ist bei Omikron besonders hoch. Nun wird darüber diskutiert, ob Omikron die sogenannte Escape-Variante ist.

Der Virologe und Epidemiologe Prof. Dr. Klaus Stöhr erklärt in einem Interview mit RTL die Bedeutung einer Escape-Variante: „Escape bezieht sich auf das Immunsystem, soll heißen, man hat eine gewisse Immunität gegen eine bestimmte Variante, üblicherweise gegen die Urvariante. Die bisherigen Varianten, beispielsweise Beta und Delta haben sich in die gleiche Richtung entwickelt“, so Stöhr. Sie seien anders als das Wuhan-Virus, aber nicht deutlich anders. Im Gegensatz zur Omikron-Variante, die in ihrer Struktur deutlich anders als die ursprüngliche Variante sei, so Stöhr.

Stöhr erklärt, dass die Escape-Variante unserem Immunschutz ausweichen könne. „Das konnten auch Beta, Delta und Co. in gewisser Weise schon, aber bei Omikron ist es viel stärker“. Die Folge: „Infektionen bei Geboosterten und erst recht bei Einfach- oder Zweifach-Geimpften und Genesenen des Urtypen“, so der Epidemiologe.

Karl Lauterbach sicher: Weitere Delta-Mutation ist möglich

Wann der Höchststand der Omikron-Welle erreicht werden könnte, erklärt Karl Lauterbach im Video.

Für Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) ist die derzeitige Situation beunruhigend. Im Interview mit der „Bild am Sonntag“ spricht er ausführlich über die Gefahr, die von der Corona-Mutante ausgeht. „Ich warne dringend davor, Omikron zu unterschätzen“, so Lauterbach. Er gehe davon aus, dass Omikron nicht die letzte Virus-Variante gewesen sein könnte. Eine weitere Delta-Mutation sei möglich – und das schon in diesem Herbst, meint Lauterbach.

Eine vollständige Impfung aus drei Dosen sei eine Maßnahme sich „zumindest vor schwerer Krankheit und Tod“ zu schützen. Daher setzt Lauterbach auf die Impfpflicht.

Lese-Tipp: Karl Lauterbach hält Impfpflicht für den besten Weg aus der Corona-Pandemie

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Virologe Stöhr: Die Mutationen sind begrenzt

Anderer Meinung als Lauterbach ist Epidemiologe Klaus Stöhr. Er spricht in einem Interview mit ntv davon, dass das Virus in Zukunft weiter zirkulieren werde. Es werde endemisch, so der Epidemiologe. Das heißt, dass Menschen sich weiterhin infizieren und das Virus weitergeben würden. Intensivstationen würden aber nicht überlastet sein.

Lese-Tipp: Wie ausgelastet Intensivstationen aktuell in Ihrem Landkreis sind, können Sie hier nachsehen.

Das Virus versuche, die Immunantwort zu umgehen. „Ist ja klar, wenn das Virus weiter bestehen bleiben möchte, muss es sich irgendwas einfallen lassen, wie es die Immunität seiner Wirte austricksen kann“, so Prof. Stöhr.

Lese-Tipp: Virologe Klaus Stöhr: Erst geimpft und dann infiziert werden ist der Weg

„Bei Omikron haben wir jetzt eine ganz andere Mutation als die Vor-Varianten“, so Stöhr. „Es ist Gott sei Dank eine mildere Variante“. Ein Werk der Evolution, denn Mutationen würden entweder immer harmloser werden oder irgendwann stabil bleiben.

"Mutationen stehen an der Tagesordnung", so Dr. Specht

"Mutationen stehen an der Tagesordnung. Es entstehen andauernd viele weitere Mutationen, von denen man gar nichts mitbekommt", erklärt der Allgemeinmediziner und Medizinjournalist Dr. Christoph Specht gegenüber RTL. Eine neue Virus-Variante könne auch so gut wie gar keine Bedeutung haben und "schnell wieder verschwinden".

Specht erklärt, weshalb das Coronavirus weiter abschwächt: "Viren wollen sich vermehren. Die Variante, die sich am besten vermehrt, verdrängt die anderen Varianten. Evolutionär gesehen ist es aber aus Sicht eines Virus keine gute Idee, gefährlicher zu werden. Denn dann kann der Wirt, im Falle des Coronavirus wir Menschen, das Virus gar nicht viel verteilen, weil er durch die Infektion stirbt. Viren sind darauf angewiesen, dass der Organismus, in dem sie sich einnisten, lebt und hustet, damit sie sich verteilen können."

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Warum sollte man sich impfen lassen, wenn eine Escape-Variante die Immunantwort „umgeht“?

Virologe Klaus Stöhr erklärt, dass es kein „Alles oder nichts“-Prinzip sei: „Die Immunität liegt selten bei 0 Prozent und selten bei 100 Prozent, sondern meist irgendwo dazwischen.“ Bei Masern beispielsweise stecke man sich gar nicht erst an. „Bei Corona ist es so, wenn ich geimpft und am besten noch geboostert bin auf Basis der Urvariante, dann habe ich eine Immunität gegen die Urvariante.“ Diese gebe es aber heute nicht mehr. Dennoch habe man trotzdem auch gegen Escape-Varianten noch eine gewisse Immunität, so Stöhr.

„Das ist der entscheidende Unterschied zwischen Geimpften und Ungeimpften. Geimpft ist also deutlich besser“, sagt er im Interview mit RTL. Corona könne geimpft und ungeimpft übertragen werden. „Hauptpunkt der Impfung ist: Ich habe alles getan, was ich tun kann, um bei einer Infektion keinen schweren Verlauf zu haben“, so Prof. Stöhr.

Lese-Tipp: Omikron-Infektionen - Diese Studie zur vierten Impfung gibt wenig Hoffnung

Lauterbach fordert die Menschen auf, sich impfen zu lassen. Eine vollständige Covid-19-Impfung soll eine starke Immunantwort auslösen – und damit Virusmutanten mit neuen Fähigkeiten in ihrer Wirkung abschwächen.