SPD-Gesundheitsexperte im RTL-Gespräch

Biontech-Impfstoff wirksam: Herr Lauterbach, kommen wir so vor die 3. Corona-Welle?

Es sind Nachrichten, die hoffnungsvoll stimmen: Zahlen des israelischen Gesundheitsministeriums sollen erstmals die hohe Wirksamkeit des Biontech-Pfizer-Impfstoffs im Kampf gegen das Coronavirus zeigen – als Schutz vor einer Infektion als solcher, aber auch auch als Schutz davor, dass die Krankheit ausbricht. Kommen wir damit vor die von vielen Experten befürchtete dritte Welle? Auch das milde Wetter könnte sich günstig auf das Infektionsgeschehen auswirken. SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach mit seiner Einschätzung im RTL-Interview.
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Erkrankung, Übertragung, Symptome: Zweifel an Studiendesign

Das Biontech/Pfizer Vakzin konnte laut der Vorabveröffentlichung der Studie eine Corona-Erkrankung zu 95,8 Prozent verhindern. Zudem biete der Impfstoff einen 98-prozentigen Schutz vor Fieber und Atemproblemen, in 99 Prozent der Fälle verhindere er Krankenhausaufenthalte, schwere Erkrankungen und Tod. Auch die Weitergabe des Coronavirus’ bei asymptomatischen Fällen werde zu 89,4 Prozent und bei symptomatischen Fällen zu 93,7 Prozent verhindert. Besonders dieser Wert mutet bemerkenswert an, denn bislang war unklar, ob die Impfstoffe nur dafür sorgen, dass die Krankheit nicht ausbricht, oder auch vor der Infektion als solcher schützen. Ein wichtiger Unterschied, denn um die Pandemie schnellstmöglich einzudämmen, sollten sich so wenig Menschen wie möglich anstecken.

Diese positiven Zahlen stimmen im Kampf gegen die Pandemie zunächst optimistisch, wie auch Medizinexperte Dr. Specht im RTL-Gespräch sagt. Auch Lauterbach zeigt sich hoffnungsvoll, betont aber, dass die Ergebnisse dieser Studie noch bestätigt werden müssen. „Das ist noch nicht sicher.“ Das Manuskript war israelischen Journalisten des Internetportals „ynet“ zugespielt worden und ist nicht offiziell veröffentlicht – weder auf einem Preprint-Server noch in einem von Fachexperten begutachteten Fachjournal. Biontech wollte das Dokument auf Anfrage am Sonntag nicht kommentieren. Auch das Gesundheitsministerium äußerte sich nicht dazu.

Die Studienautoren selbst hatten geschrieben, dass ihre Herangehensweise dazu führen könnte, dass der Effekt der Impfung auf Infektionen überschätzt wird. Sie hatten die Daten von Zehntausenden positiven Coronatests in Israel zur Verfügung und haben geschaut, wieviele der Infizierten geimpft oder eben nicht geimpft waren. Das Ergebnis: Der Anteil der Menschen mit vollem Impfschutz, der in einem bestimmten Zeitraum positiv auf Corona getestet wurde, war wesentlich niedriger als der Anteil bei den Nichtgeimpften. In Bezug auf diesen Schutz ist von einer „Effektivität“ von 89,4 Prozent die Rede. Doch diese nackte Zahl ist mit Vorsicht zu genießen, denn in Israel werden Ungeimpfte häufiger getestet als Geimpfte. Allein aus diesem Grund könnte es also schon mehr positive Tests in der Gruppe der Ungeimpften gegeben haben. Das israelische Nachrichtenportal „ynet“ schreibt zudem: „Im Gesundheitsministerium wurde klargestellt, dass die Daten zur Wirksamkeit gegen Ansteckungen im Vergleich zu den anderen Daten am wenigsten gewiss seien.“

Auch Impf-Experte Sebastian Ulbert vom Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie (IZI) hegt Zweifel an der Belastbarkeit der 84,9%. So habe es bei der Untersuchung nicht zwei definierte Gruppen (Geimpfte und Ungeimpfte) gegeben, die in festgelegter Form regelmäßig getestet wurden. Stattdessen wurde auf Daten freiwilliger Tests zurückgegriffen, die Vergleiche nur schwer möglich machen. Es seien weitere Studien erforderlich, um die Ergebnisse zu bestätigen.

Biontech-Impfstoff: Könnte das Vakzin die dritte Welle bremsen?

Gesetzt den Fall aber, dass die neuen israelischen Ergebnisse einer Überprüfung durch weitere Studien standhalten, stellt sich die Frage, ob Impfungen eine dritte Welle verhindern können, auf die Deutschland Experten zufolge derzeit zusteuert. Immerhin hatte eine Studie gezeigt, dass das Biontech-Vakzin auch gegen Virusmutationen – etwa die britische und südafrikanische – wirkt.

Diese ansteckenderen Variationen treiben die Zahlen in Deutschland aktuell wieder in die Höhe. Die Neuinfektionen steigen, der R-Wert hat gerade die kritische Marke von 1 geknackt und liegt aktuell bei 1,07 – heißt, 100 Infizierte stecken rechnerisch 107 andere Menschen mit dem Coronavirus an.

Dr. Specht ist jedoch skeptisch und auch Karl Lauterbach macht wenig Hoffnung in Bezug auf die Impfungen. „In Deutschland wird das zunächst einmal keine große Rolle spielen, weil wir noch nicht genug Impfstoff haben“, sagt er. „Aber im Herbst ist das von größter Bedeutung, weil dann ist ja ein großer Teil der Bevölkerung geimpft – und dann ist eben die Frage: Verhindern diese Impfungen weitere Ansteckungswellen, ja oder nein? Und jetzt sieht es stark danach aus.“

Eine dritte Welle werde aber auf jeden Fall kommen. „Die Mutationen werden immer häufiger“. So sei in vielen Großstädten schon jede dritte Neuinfektion auf eine Virusmutation zurückzuführen. Wie sich die Corona-Mutationen in Deutschland ausbreiten, zeigt auch unsere interaktive Karte mit Fallzahlen. So lag vor knapp zwei Wochen der Anteil der B.1.1.7-Varianten in Deutschland noch bei sechs Prozent, inzwischen sind es bereits mehr als 22 Prozent. Dabei scheint die britische Variante nicht tödlicher zu sein, klar ist aber, dass sie viel ansteckender ist als die Urvariante – nach konservativen Schätzungen um bis zu 35%. Damit kann sie zur Belastung fürs Gesundheitssystem werden. „Wir kommen in eine dritte Welle. Wie gut wir diese Welle abgefangen bekommen, wird sich in nächsten Wochen zeigen“, so Lauterbach.

LESE-TIPP: Wie sich die Infektionslage in Ihrer Region aktuell entwickelt, sehen Sie anhand unserer interaktiven Karte

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Lauterbach: "Rechne mit einer dritten Welle, obwohl wir Frühjahr haben"

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Eine Mutter legt ihrem Sohn eine Maske an - viele Eltern sind ob der anstehenden Schulöffnungen verunsichert und haben Sorge, dass sich ihre Kinder mit dem Coronavirus infizieren könnten.
www.imago-images.de, imago images/Cavan Images, Cavan Images via www.imago-images.de

Doch was bedeutet das für die geplanten Schulöffnungen? Schon morgen wird in vielen Bundesländern der Betrieb nach dem Lockdown wieder aufgenommen. „Die Öffnung der Schulen ist sehr riskant, das ist ganz klar. Viel wohler wäre mir, wenn die Schulen erst geöffnet würden, wenn man Antigentests für die Schüler zur Verfügung hätte“, so Lauterbach. „Würde man in den Schulen zwei Mal pro Woche Schüler mit Antigentests testen, ließen sich die Schulen im Wechselunterricht sehr sicher betreiben.“ Doch das ist aktuell nicht der Fall und viele Eltern fragen sch, ob ihre Kinder trotz geltender Maskenpflicht, regelmäßigen Lüftens und Wechselunterrichts wirklich vor einer Infektion geschützt sind.

LESE-TIPP: Welche Maske für welches Alter geeignet ist und was ein Kinderarzt zum Masketragen für die Kleinen sagt, erfahren Sie hier.

Einen Lichtblick könnte das freundlich-milde Wetter bieten: Mehrere Studien zeigen, dass das Wetter – genauer Luftfeuchtigkeit, Temperatur, Windgeschwindigkeit und UV-Strahlung – die Überlebensdauer des Coronavirus’ an einem Ort beeinflussen kann. Aber auch unser Verhalten in der warmen Jahreszeit trägt dazu bei, dass sich das Virus nicht so gut ausbreiten kann. Könnte das sonnige Klima die dritte Welle also zumindest etwas abmildern? „Das Frühjahr ist tatsächlich eine gute Nachricht“, sagt auch der SPD-Politiker. „Aber ich denke, dass die Mutationen tatsächlich hier auch im Frühjahr gefährlich sein werden. Das heißt, ich rechne mit einer dritten Welle, obwohl wir Frühjahr haben.“