Er war am Tiefpunkt seines Lebens

Heikes Sohn war Schulschwänzer - doch mit diesem Projekt bekam er die Kurve

Mutter Heike erzählt im Gespräch mit RTL von der schweren Zeit.
Mutter Heike erzählt im Gespräch mit RTL von der schweren Zeit.
RTL
von Suana Boeck

Jugendknast statt Schulbank?
Es beginnt mit ein paar Fehlstunden. Aus den Fehlstunden werden Fehltage. Schlechte Noten, Drogenmissbrauch, kein Schulabschluss - und schließlich steht Hendrik M. vor dem Strafrichter im Amtsgericht Holzminden. Doch nicht nur für ihn ist es eine schwere Zeit, sondern auch für seine Mutter.

Seit seiner Jugend schwänzt er die Schule

Seit er 15, 16 Jahre ist, schwänzt er oft die Schule, erst am Gymnasium, dann an der Oberschule. 2019 steht der damals 17-Jährige kurz davor, ins kriminelle Milieu abzurutschen. Er begeht mit Kumpels eine schwere Straftat, beraubt einen wehrlosen Mann. Im Saal 33 des Amtsgerichts Holzminden muss er sich verantworten. „Wir waren [...] mit Freunden unterwegs und haben dann uns halt auch jegliche Drogen reingehauen und ja, dazu ist dann das eine zum anderen gekommen. Wir waren alle nicht mehr bei klaren Sinnen“, sagt Hendrik.

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Hendrik M. ist Mittäter. Es ist der Tiefpunkt in seinem Leben. Er fühlt sich allein. Als „der böse Mann im Raum, dem keiner hilft“, sagt uns Hendrik M. Seinen vollen Namen möchte er nicht nennen.

Hendrik schwänzt in seiner Jugend die Schule.
Hendrik schwänzt in seiner Jugend die Schule.
RTL

Erst Schulschwänzer, dann Straftäter

Es ist ein Weg, den Hendrik nie gehen wollte. Eigentlich wollte er Polizist werden wie sein großer Bruder. Der ist 17 Jahre älter. Doch dann kommt der heute 23 -jährige Hendrik von seinem Weg ab. Es beginnt auf dem Gymnasium, erzählt er RTL: Immer vor den Klassenarbeiten packt ihn die Prüfungsangst. Dann immer öfter auch an ganz gewöhnlichen Schultagen. „Dann hatte man am nächsten Tag dann keine Lust zur Schule zu gehen, weil man dann die Arbeit besprochen hat, dann wurde wieder alles, ja, war alles falsch. Das hat sich immer weiter so aufgebaut. Dann, kurz vor der nächsten Klassenarbeit, habe ich wieder kaum was in der Schule mitbekommen, dann gehe ich lieber gar nicht hin.“ sagt Hendrik M.

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Seine Noten werden so schlecht, dass er vermutlich seinen Abschluss nicht schaffen wird. Hendrik wechselt auf die Oberschule. Bald hat er einen neuen Freundeskreis. Sie haben einen schlechten Einfluss auf ihren Sohn, sagt seine Mutter rückblickend: „Erst mal war er sehr phlegmatisch. Er ist nicht aufgestanden. Wenn ich ihn was gefragt habe, [war er] immer sehr mürrisch, was ich überhaupt nicht von ihm kenne. Man hat irgendwie keinen Zugang zu ihm gefunden. Ja, und dann habe ich immer gedacht er geht zur Schule und wenn ich dann von der Arbeit nach Hause kam oder ich frei hatte, dann habe ich das dann halt gemerkt, dass überhaupt nichts war und er sich so zurückgezogen hat, immer nur mit diesen Freunden den Umgang gepflegt hat. Das war nicht schön“, erinnert sie sich.

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Hendrik fängt an, Drogen zu nehmen, fehlt auch in der Oberschule wieder häufiger. Mit seinen Eltern spricht er nur das Nötigste. In dieser Zeit gerät sein ganzes bisheriges Leben aus den Fugen: Seine Eltern trennen sich, müssen ihr Haus verkaufen. „Da hat es dann so wirklich richtig angefangen, dass ich halt auch mit Depressionen zu kämpfen hatte und ja dann halt wirklich gar nicht mehr zur Schule gegangen bin, auch mit meiner Mutter nicht mehr gesprochen habe. Da habe ich komplett [auf] stumm geschaltet”, sagt er.

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Seine Mutter weiß nicht mehr weiter „Das war für mich eine schwere Zeit damals , weil ich habe überall versucht Hilfe zu holen, keine bekommen, weil es nicht schlimm genug war in Anführungsstrichen.“ Über den Schulleiter der Oberschule bekommt sie schließlich Kontakt zu einem besonderen Projekt in Holzminden: dem Schulverweigerer-Wecker. Ein pensionierter Polizist arbeitet als Fallmanager ehrenamtlich für den Verein. Hans-Georg Riedel kommt zusammen mit einem Kollegen zu ihnen nach Hause. „Ich habe damals Hendrik eigentlich deutlich gemacht: ‘Junge, du musst was tun. Ohne Abschluss hast du keine Chance’“, sagt Hans-Georg Riedel.

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Jörg Mertens und Hans-Josef Winter gründen 2016 den Schulverweigerer-Wecker.
Jörg Mertens und Hans-Josef Winter gründen 2016 den Schulverweigerer-Wecker.
RTL

Zunächst geht Hendrik dann wieder regelmäßiger zur Schule. Trotz der Begleitung gibt es wieder einen Einbruch: Fehlzeiten, schlechte Noten und schließlich nur ein Abgangszeugnis – ohne Schulabschluss. „Nach diesem Abgangszeugnis haben wir zusammen gesessen und gesprochen. Er hat mir das Zeugnis gezeigt, es war grauenvoll und ich habe ihm gleich gesagt, dass er sich so nicht bewerben braucht. Keine Chance“, erzählt der pensionierte Polizist rückblickend.

Diese Aussicht bestätigt sich schnell: Hendrik erhält nur Absagen auf seine Bewerbungen. Er hängt viel mit seinen Freunden herum, nimmt Drogen, begeht zusammen mit ihnen die Straftat.

Hendrik M. kriegt die Kurve

Hendrik ändert sein Verhalten schlagartig, als die Ladung vom Amtsgericht Anfang 2019 ins Haus flattert. Er geht wieder zur Schule, schafft seinen Hauptschulabschluss und bekommt die Zusage zu einem Ausbildungsplatz zum Maschinen- und Anlagenführer.

Sein damaliger Klassenlehrer Holger Sasse erinnert sich an den stillen, unauffälligen und freundlichen Schüler: „Auffällig war über das Schuljahr betrachtet, dass die Leistungen im ersten Halbjahr zum Zeugnisausgabe des Halbjahres schlecht waren. So schlecht, dass man absehen konnte, es ist eine Gefährdung des Hauptschulabschlusses absehbar und er wird ihn zum Sommer, so wenn es so weitergeht, nicht erlangen. Im weiteren Verlauf hat man gemerkt [...] das Notenbild wurde erheblich besser und der Abschluss wurde mit Bravour bestanden.“

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Hendrik räumt in der Verhandlung ein, einen großen Fehler gemacht zu haben. Er distanziert sich außerdem von seinen damaligen Freunden. Im September 2025 wird er seine Ausbildung beginnen und Unterricht hoffentlich nur noch entschuldigt verpassen.