„Es gab Tränen, alles”Ihr Sohn hatte Schulangst! Für die rettende Idee ist Mutter Tanja unendlich dankbar

11.04.2025, Bayern, Ein Schüler sitzt an einem Tisch im Klassenzimmer einer Schule. (zu dpa: «Schulangst überwinden: Wie ein Junge zurück in den Alltag fand»)
Tobias (Name geändert) hatte lange Angst vor der Schule.
Leonie Asendorpf/dpa

„Ich konnte abends kaum oder gar nicht einschlafen.”
Plötzlich geht das eigene Kind Monate oder sogar Jahre nicht zur Schule – eine schwere Belastung für die gesamte Familie. Tanja Überall aus Bayern hat das mit ihrem Sohn (17) erlebt. Ihre Lösung war unkonventionell.

„Irgendwann war es so weit, dass man ihn gar nicht mehr zur Schule gebracht hat”

Tobias (Name geändert) konnte ein ganzes Jahr lang das Schulgebäude nicht betreten. Es fing schleichend an. „Etwa drei Monate konnte ich abends kaum oder gar nicht einschlafen. Dann kamen die Sommerferien, und danach ging gar nichts mehr”, erinnert sich der 17-Jährige. Woher die Angst kam, kann er sich nicht genau erklären.

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Das war vor vier Jahren, ein ganzes Schuljahr versäumte er. Seine Mutter Tanja Überall erinnert sich gut an die schwierige Zeit mit ihrem Pflegesohn: „Zuerst ist er noch aufgestanden, und wir haben es geschafft, dass er ins Auto gestiegen ist. Aber dann ist er an der Schule nicht aus dem Auto gestiegen. Irgendwann war es so weit, dass man ihn gar nicht mehr zur Schule gebracht hat.”

Die Belastung sei für alle Beteiligten groß gewesen: „Man spielt alles durch, da probiert man es sanfter, mal weniger sanft. Da entsteht sehr viel Druck, auch innerhalb der Familie. Es gab Tränen, alles”, sagt die Diplom-Pädagogin. „Das Kind möchte dazugehören und ist genauso verzweifelt wie man selbst.” Und dann seien da noch die gut gemeinten Ratschläge der Großeltern. Oder die Geschwister mussten immer wieder davon überzeugt werden, dass sie in die Schule sollen, obwohl ihr Bruder zu Hause bleibt.

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Mutter Tanja gründet eine Selbsthilfegruppe

Warum ihr Pflegesohn die Angst entwickelt hat, konnte nicht genau geklärt werden, sagt Tanja Überall. Um ihre Erfahrungen zu teilen, hat sie eine Selbsthilfegruppe gegründet. „Der Austausch für uns Eltern ist extrem wichtig, da man ansonsten komplett allein gelassen wird mit dem Thema”, so die Mutter. „Vielleicht hat es etwas mit meiner Vergangenheit als Pflegekind zu tun”, vermutet Tobias. „Als ich ein halbes Jahr alt war, wurde ich von meiner Familie getrennt und kam in eine neue.”

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Vormittags half Tobias während der Angst-Periode im Haushalt. „Nachmittags habe ich mich mit Freunden getroffen, die von meinem Problem nichts wussten, denn sie gehen in eine andere Schule”, erzählt er. Auch er empfand die Zeit als anstrengend: „Eigentlich wollte ich ja in die Schule und etwas lernen.” Dann endlich die rettende Idee!

Rettende Idee: Tobias (17) unterstützt den Schulhausmeister

„Von einem Lehrer kam der Vorschlag, mein Sohn solle doch einfach beim Hausmeister mitarbeiten”, erzählt Tanja Überall. „So haben wir ihn überhaupt erst wieder ins Schulhaus hineingebracht.” Etwa ein halbes Jahr lang standen für Tobias statt Deutsch und Mathematik praktische Dinge auf dem Tagesplan. „Ich habe Laub gerecht, Rasen gemäht, Hecken geschnitten. Drinnen haben wir Sicherungen geprüft, Probe-Feueralarm gemacht, Lichter ausgetauscht, Löcher in den Wänden zugespachtelt oder auch die Werkstatt aufgeräumt”, erzählt Tobias. Die Arbeit habe ihm sehr geholfen.

Nach und nach besuchte er wieder den regulären Unterricht. Zwei Jahre nach Beginn des kompletten Aussetzens hatte er wieder in den Schulalltag gefunden.

Ein Schüler (r) und Stefan Ressler, Hausmeister, trinken gemeinsam Kaffee in der Werkstatt einer Schule in Bayern. (zu dpa «Schulangst überwinden: Wie ein Junge zurück in den Alltag fand»)
Die rettende Idee für Tobias (Name geändert): Er half dem Schulhausmeister und besiegte so seine Angst.
Leonie Asendorpf/dpa

Tobias hat seinen Weg gefunden – und Pläne: „Ich möchte bald meinen Abschluss machen und eine Ausbildung zum Landwirt machen.” Gelegentlich hilft er dem Hausmeister noch bei Arbeiten. Und manchmal, wenn ihm alles zu viel wird in der Schule, trinkt er mit ihm einen Kaffee.

Schulangst kann gravierende Folgen haben

Schulangst ist ein Thema, das viele Familien in Deutschland kennen. Die Ursachen seien oft in der Schule selbst zu finden, etwa Leistungsdruck, Angst vor dem Versagen oder Mobbing, sagt Heinrich Ricking, der an der Universität Leipzig zu Schulabsentismus forscht. Aber auch familiäre Gründe können eine Rolle spielen. So kann Trennungsangst unter anderem dazu führen, dass Kinder morgens nicht das Haus verlassen wollen, weil sie sich nicht von der Bezugsperson, etwa der Mutter, trennen können. Schulangst könne mitunter auch einhergehen mit einer Depression, die den Antrieb der Betroffenen beeinträchtige.

Dem Wissenschaftler zufolge weisen Statistiken darauf hin, dass im Sekundarbereich – also ab der 5. Klasse – etwa drei bis fünf Prozent der Schüler betroffen sind. Die Folgen der Schulangst können gravierend sein. Laut Ricking zählen dazu Leistungsabfall, kein Schulabschluss, schlechte berufliche Perspektiven, soziale und psychische Probleme. (nlu/dpa)