Sie wurden ihren Eltern direkt nach der Geburt gestohlenElene (19) findet ihre Zwillingsschwester - über TikTok!

Die georgischen Zwillingsschwestern Anna Panchulidze (links) und Elene Deisadze bei einem Interview mit AFP in Tiflis am 23. März 2024. Elene und Anna entdeckten durch Zufall, dass sie Zwillingsschwestern sind. Erst kurz darauf erfuhren sie, dass sie zu den Zehntausenden georgischen Kindern gehören, die illegal an Adoptiveltern verkauft wurden.
Die georgischen Zwillingsschwestern Anna Panchulidze (links) und Elene Deisadze entdeckten nur durch Zufall, dass sie verwandt sind. Kurz darauf erfuhren sie, dass sie zu den Zehntausenden georgischen Kindern gehören, die illegal an Adoptiveltern verkauft wurden.
VANO SHLAMOV/AFP via Getty Images
von Vera Dünnwald

„Wir haben gespürt, dass uns etwas Besonderes verbindet.”
Beim Scrollen auf TikTok im Jahr 2022 stolpert die georgische Studentin über ein Profil eines Mädchens, das genauso aussieht, wie sie. Was schier unmöglich scheint, wird am Ende zur Realität: Anna Panchulidze ist ihr verlorener, eineiiger Zwilling! Und es kommt noch krasser.

Auf TikTok werden Elene und Anna aufeinander aufmerksam

Stellt euch mal vor, ihr verbringt Zeit auf TikTok, wollt abschalten - und auf einmal landet ihr bei einem Video, wo ihr eine Person entdeckt, die genauso aussieht, wie ihr selbst. Genau DAS ist der 19-jährigen Elene Deisadze aus Georgien vor zwei Jahren passiert.

Wenig überraschend, dass sie und Anna Panchulidze schnell Kontakt knüpfen und miteinander chatten. Psychologiestudentin Elene sagt gegenüber der Nachrichtenagentur AFP: „Wir haben uns angefreundet, ohne zu ahnen, dass wir Schwestern sind, aber wir haben beide gespürt, dass uns etwas Besonderes verbindet.”

Monate später, im Sommer 2023, erfahren dann beide - getrennt voneinander -, dass sie adoptiert wurden.

Und dann wäre da ja auch noch die Tatsache, dass sie sich so ähnlich sehen. Könnte es sein, dass die beiden vielleicht Schwestern, sind? Oder vielleicht sogar Zwillinge?

Elene und Anna entscheiden sich dazu, einen DNA-Test zu machen. Das Ergebnis stellt ihr Leben auf den Kopf: Sie sind tatsächlich verwandt!

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Elene Deisadze und Anna Panchulidze sind Opfer eines jahrzehntelangen Kinderhandels

Zwar haben die Geschwister dank einer Social-Media-Plattform zueinander gefunden. Doch warum wurden sie überhaupt getrennt? Wie konnte das passieren?

Elene Deisadze und Anna Panchulidze gehören zu den rund 120.000 Babys, die ihren Eltern in Georgien gestohlen und illegal an Adoptiveltern im Ausland verkauft wurden. Der Skandal erstreckte sich über Jahrzehnte und wurde von Journalisten, unter anderem von Tamuna Museridze, und betroffenen Familien, die nach verlorenen Verwandten suchten, aufgedeckt.

Der Kinder-Handel fand über mehr als 50 Jahre (!) hinweg statt und wurde den Recherchen nach von einem Netzwerk aus Entbindungskliniken, Kindergärten und Adoptionsagenturen organisiert. Sie alle arbeiteten zusammen, um Kindern ihren Eltern zu entreißen, Geburtsurkunden zu fälschen und sie gegen Geld an neue Familien zu vermitteln.

Ein ähnliches Schicksal ereilte auch das Zwillingspaar rund um Anna Sartania und Tako Khvitia: Die beiden wurden bei ihrer Geburt getrennt, an verschiedene Eltern verkauft und erst nach Jahren fanden sie zueinander. Sie sind ebenfalls durch Social Media aufeinander aufmerksam geworden.

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Kinder-Skandal in Georgien: „Den Müttern wurde gesagt, ihre Babys seien kurz nach der Geburt gestorben”

Die 19-jährige Anna Panchulidze sagt: „Ich hatte eine glückliche Kindheit. Aber jetzt fühlt sich meine gesamte Vergangenheit wie eine Täuschung an. [...] Ich habe Mühe, die neuen Information zu verarbeiten und die neue Realität zu akzeptieren - die Menschen, die mich 18 Jahre lang aufgezogen hatten, sind nicht meine Eltern”, so die Studentin weiter.

Trotzdem empfinde sie keinerlei Wut, „sondern nur große Dankbarkeit gegenüber den Menschen, die mich aufgezogen haben, und Freude darüber, dass ich mein Fleisch und Blut gefunden habe”.

Dass die verlorenen Zwillinge Elene und Anna überhaupt einen DNA-Test machen, verdanken sie vor allem der Journalistin Tamuna Museridze. Sie leitet seit 2021 eine Facebook-Gruppe mit über 200.000 Mitgliedern, die sich für die Wiedervereinigung von Babys einsetzt, die gestohlen wurden.

Seitdem deckt sie auf, wie viele Kinder in den letzten Jahrzehnten illegal verkauft wurden. „Den Müttern wurde gesagt, ihre Babys seien kurz nach der Geburt gestorben und würden auf einem Krankenhausfriedhof beerdigt”, so Museridze.

Aber einen solchen Friedhof gibt es gar nicht. Stattdessen werden die Babys heimlich weggebracht.

Ebenfalls perfide: Die neuen Eltern wissen oft nicht, dass die Adoptionen illegal waren, da man ihnen erfundene Geschichten über die Umstände erzählt. So auch Elenes Mutter, Lia Korkotadze.

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Elenes Mutter wusste nichts über die Umstände der Adoption

Die georgischen Zwillingsschwestern Anna Panchulidze (links) und Elene Deisadze (rechts) mit Elenes Adoptivmutter Lia Korkotadze.
Die georgischen Zwillingsschwestern Anna Panchulidze (links) und Elene Deisadze (rechts) mit Elenes Adoptivmutter Lia Korkotadze. Korkotadze wusste nicht, dass sie ihre Tochter illegal adoptiert.
VANO SHLAMOV/AFP via Getty Images

Als sie ein Jahr nach ihrer Hochzeit erfährt, dass sie keine Kinder bekommen kann, beschließt gemeinsam mit ihrem Mann, ein Kind zu adoptieren . Problem: „Eine Adoption aus einem Waisenhaus schien aufgrund der unglaublich langen Wartelisten praktisch unmöglich”, sagt die Wirtschaftswissenschaftlerin der Nachrichtenagentur.

2005 erfährt Korkotadze von einem Bekannten von einem örtlichen Krankenhaus, dass Babys gegen Gebühr zur Adoption anbietet. Ihre Chance, denkt sich die heute 61-Jährige.

Kurz darauf zieht die kleine Elene bei den Korkotadzes ein. Nie, so sagt ihre Mutter, habe sie damit gerechnet, dass sie damit etwas Illegales getan hat.

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Baby-Handel in Georgien - wie ist der Stand?

Andere wissen aber wohl auch über die Grausamkeiten Bescheid und umgehen sowohl das Gesetz als auch jahrzehntelange Wartelisten bewusst, wie Museridze gegenüber AFP erzählt.

Insgesamt, so sagt sie, habe sie Beweise dafür, dass zwischen 1950 und 2006 mindestens 120.000 Babys verkauft wurden.

Tato Kuchava, der Sprecher des Innenministeriums von Georgien, erklärte gegenüber AFP, dass eine „Untersuchung” der Enthüllungen von Journalistin Tamuna Museridze im Gange sei, wollte jedoch keine Einzelheiten nennen.

Laut DailyMail haben die georgischen Regierungen bereits mehrfach versucht, das System zu untersuchen. In den letzten 20 Jahren habe es eine Handvoll Verhaftungen gegeben.

Während Georgiens Premierminister Irakli Kobachidse Ende Juli sagte, Tiflis sei bei der Bekämpfung des Menschenhandels weltweit führen, widerspricht Museridze dem Ganzen. Ihr Standpunkt ist klar: Georgien tue nicht genug, die Reaktion des Staates auf den Kinder-Skandal sei bisher unzureichend. Laut ihr habe die Regierung nichts Konkretes getan, „um unsere Bemühungen zu unterstützen.”