Megaflut nach Gletscherabbruch?
Schweizer Behörden bereiten nächste Evakuierung vor
Steht die nächste Katastrophe kurz bevor?
Nach dem Gletscherabbruch über dem Dorf Blatten im Süden der Schweiz könnten nun mehrere Dörfer überflutet werden. Und zwar schon „in den frühen Morgenstunden“. Die genauen Auswirkungen sind dabei noch unklar, weitere Gemeinden bereiten sich nun auf Räumungen vor. Denn der Krisenstab sagt: Die Gefahr einer Flutwelle ist nach wie vor hoch.
Überschwemmung rund um Blatten droht bereits in wenigen Stunden
Noch gleicht die Umgebung des Dorfes Blatten im Lötschental einer Mondlandschaft, aber das dürfte sich bereits in wenigen Stunden ändern. Denn nun droht das, was die Expertinnen und Experten befürchtet hatten: Der Schuttkegel dürfte die riesigen, aufgestauten Wassermassen nicht mehr lange halten können, warnt Christian Studer von der Dienststelle Naturgefahren des Kantons Wallis am Donnerstag.
Aus Vorsicht bereiten die Behörden weitere Gemeinden auf eine Räumung vor. „Wir fordern die Bewohner auf, persönliche Vorbereitungen zu treffen, um innert möglichst kurzer Zeit die Wohnungen verlassen zu können“, teilen die Gemeinden Steg-Hohtenn und Gampel-Bratsch auf ihrer Webseite mit. Die beiden Gemeinden befinden sich rund 20 Kilometer unterhalb des verschütteten Dorfes Blatten. Insgesamt wohnen in dem Gebiet mehr als 2.000 Menschen, aber der Aufruf gilt nur für die Ortsteile am Talgrund, wie die Gemeinden mitteilen.

Der Pegelstand des künstlichen Sees hinter den herabgestürzten Eis- und Gesteinsmassen steigt ständig, heißt es weiter – teilweise bis zu drei Meter pro Stunde! Die Behörden im Lötschental rechnen damit, dass die immensen Wassermassen den See in den frühen Morgenstunden zum Überlaufen bringen.
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„Ziel ist es, diesen Prozess möglichst gut zu antizipieren und die Sicherheit der Bevölkerung weiter unten sicherzustellen“, so Studer. Was genau passieren könnte, ist jedoch noch unklar. Derzeit versuchen Spezialistinnen und Spezialisten rund um die Uhr mithilfe ihrer Erfahrung und Computermodellen Prognosen zu erstellen.

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Die Lage in der Schweiz ist extrem gefährlich!
Dass eine riesige Flutwelle das Tal hinunter donnert, sei zwar nicht wahrscheinlich, aber auch nicht auszuschließen, sagte Staatsrat Stéphane Ganzer, Mitglied der Walliser Kantonsregierung. Der Druck durch das nachfließende Wasser der Lonza sei vorhanden – insofern könnten sich die Wassermassen auch plötzlich einen Canyon durch den Schuttberg brechen. Zudem werde am Freitag oben im Tal mit 20 Grad Temperatur gerechnet. Dann schmelze der Schnee, was die Wassermengen noch weiter erhöht.

Nach Angaben von Studer ist aber ein Szenario wahrscheinlicher, bei dem es zu einem langsameren Abfluss kommt, „dass der See sich schrittweise entleert, dass das in geordnetem Rahmen abläuft“. Gut sei, dass das Gefälle am Schuttkegel eher flach ist, sagte Studer. Möglich sei auch, dass das Wasser das abgelagerte Material verflüssigt und mit ins Tal reißt. Aber auch dabei sei zu erwarten, „dass nicht allzu viel Geschiebematerial auf einmal abgeht.“ Im Ort Ferden weiter unten im Tal gibt es ein Staubecken und eine Staumauer. Experten gehen davon aus, dass dort sämtliches Material aufgehalten werde.
Die Lage am Berg ist nach wie vor gefährlich. Zum einen drohen am Berg Kleines Nesthorn weitere Hunderttausende Kubikmeter Fels abzustürzen. Von dort waren Felsbrocken auf den Birschgletscher gekracht, der unter der Last am Mittwochnachmittag abbrach und ins Tal donnerte. Von den gigantischen Mengen Geröll wurde ein Teil auf der gegenüberliegenden Talseite hochgeschoben. Dort drohen nun Gerölllawinen. Wie stabil der eigentliche Schuttkegel ist, weiß niemand. Weil darin Eis ist, könnten sich Wassertaschen bilden. Räumtrupps der Armee stehen zwar bereit, aber das Gebiet zu betreten sei noch zu gefährlich, so die Behörden.
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„Nie erlebt!” Jahrhundertkatastrophe in der Schweiz
Der Abgeordnete Beat Rieder sprach im Schweizer Fernsehen von einer Jahrhundertkatastrophe. „Es ist ein Ereignis, das das Tal seit Beginn der Geschichtsschreibung nie erlebt hat“, sagte er. „Die Leute haben alles verloren, was man sein ganzes Leben aufgebaut hat.“ Anwohner Daniel Ritler sagte dem Portal 20 Minuten: „In ein paar Sekunden war die ganze Heimat kaputt.“ Hof und Haus habe er auf Bildern nicht mehr gefunden. „Es sah so aus wie auf dem Mond.“
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Klimawandel Grund für die Katastrophe?
Ein einzelnes Ereignis direkt auf den Klimawandel zurückzuführen, sei schwierig, sagt Jan Beutel, Professor an der Universität Innsbruck. Er untersucht seit Jahren den Zustand von Felsen und Permafrost sowie Klimaeinflüsse. Dennoch: „Die starken Veränderungen, die wir heute im Hochgebirge erleben, sind zum großen Teil die Folge des Klimawandels der vergangenen Jahrzehnte”, sagte er laut Mitteilung der Universität Innsbruck. „Zu einem gewissen Teil ist die Reise für die nächsten Jahre gebucht – eingeheizt ist schon, und das Tauen und Schmelzen wird unweigerlich weitergehen.”
Durch Gletscherschmelze und schnelles Tauen von Schnee könnten Wasser und Wind das Gestein erodieren. Der Permafrost – die gefrorene Gesteinsschicht – werde immer wärmer, die Schicht, die bei Sommertemperaturen auftaue, immer tiefer. „Auftauen bedeutet aber auch, dass mehr flüssiges Wasser zur Verfügung steht – auch im Inneren des Berges – und das schmiert und fördert die Beweglichkeit, getrieben von der Gravitation.” (jow/dpa)