Darauf solltet ihr wirklich setzen!Bis ins hohe Alter fit bleiben? Orthopäde empfiehlt „keinen Sport“

Eine Frau treibt im Fitness-Studio Sport.
Ihr habt Rückenschmerzen, obwohl ihr Sport treibt? Der Orthopäde Dr. Arvid Neumann weiß, woran das liegen könnte. (Symbolbild)
iStock

Wer Sport treibt, lebt gesund?
Nach diesem Motto leben viele Menschen. Doch so einfach ist es laut des Orthopäden Dr. Arvid Neumann leider nicht. Der erfahrene Mediziner räumt mit Schönheitsidealen, Sport- und Gesundheitsmythen auf – und erklärt im RTL-Interview, worauf ihr wirklich setzen solltet, wenn ihr schmerzfrei und bis ins hohe Alter fit bleiben wollt.

Orthopäde: „Plädiere dafür, dass wir Fitness anders definieren“

Ein Sixpack sieht super aus und ist gesund? Nö – überhaupt nicht! „Der Bauch braucht Flexibilität“, sagt Dr. Arvid Neumann stattdessen. Alles andere sei ein falsches Schönheitsideal und eine Gesundheits-Lüge, die uns die Fitness-Industrie aufgetischt habe. Wenn ein Sportmuffel Neumanns aktuelles Buch: „Die Fitness-Lüge“ liest, kann er sich zunächst bestätigt fühlen. Denn zumindest klassischer Sport im Fitness-Studio macht uns laut des Arztes nicht fitter, sondern oft sogar krank! Muskelaufbau kann demnach sogar schaden, wenn er falsch betrieben wird. Der Arzt beklagt, dass viele Hobby-Sportler Beschwerden durch einseitige Bewegung sogar verschlimmern.

Lese-Tipp: „Die Fitness-Lüge” – warum uns Sixpack und Co. krank machen

Doch was hilft stattdessen gegen das Volksleiden Nummer eins: Rückenschmerzen?

„Um dauerhaft schmerzfrei zu sein, ohne dass regelmäßige Übungen notwendig sind, muss man an der Ursache arbeiten. Dazu muss der behandelnde Therapeut die Körperstruktur und somit die Faszie in den Blick nehmen“, rät der Orthopäde. Wichtig sei, vorab einen Arzt zu konsultieren, der Empfehlungen für bestimmte Bewegungen ausspricht, die dann wirklich gegen Rückenschmerzen helfen. Denn: „Fit sein bedeutet für mich in Form sein und nicht mit einer falschen Haltung zu stehen, zu sitzen oder sich zu bewegen. Außerdem plädiere ich dafür, dass wir Fitness anders definieren, nämlich als die Fähigkeit, im Alltag leistungsfähig und belastbar zu sein. Und zwar bis ins hohe Alter“, führt der Experte aus.

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Wann es für Hobby-Läufer sogar gefährlich wird

Im Buch des Orthopäden kommen auch Hobby-Läufer nicht gut weg! Zu oft würden sich Freizeitsportler „falsch bewegen“ und daher Schmerzen haben. Häufig seien Läufer sogar mit Schmerzmitteln wie Diclofenac unterwegs, um trotzdem laufen zu können. Aus Sicht des Arztes eine fatale Entwicklung. „Es sollte stets die Freude an der Bewegung im Vordergrund stehen. Ich möchte beim Laufsport Menschen sehen, die jede Minute genießen, die innerlich beim Sport strahlen. Leider sehe ich häufig das Gegenteil, eine innere Qual, die letztendlich zu mehr Körperspannung führt und so gegebenenfalls vorhandenen mentalen Alltagsstress noch verstärkt.“

Dr. Arvid Neuman
Dr. med Arvid Neumann ist zweifacher Sportwissenschaftler, Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie. Er war Chefarzt in einer Rehaklinik und ist als Faszien-Orthopäde in Oberursel (Taunus) tätig.
Elena Reinsch | querformArt fotografie

Was raten Sie also Hobby-Läufern stattdessen? „Zunächst rate ich dazu, neben einer sportmedizinischen Diagnostik, welche einzelne Organsysteme näher beleuchtet, einen Faszien-Check-up durchzuführen. Also zu schauen, ob die eigene Körperstruktur im Lot ist“, erklärt der Arzt. So könnten mögliche Fehlhaltungen beim Laufen ausgeschlossen oder vom Laufen als Sportart generell abgeraten werden, wenn die körperlichen Voraussetzungen dafür nicht gegeben sind.

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Arzt kritisiert Ziel von 10.000 Schritten – doch was dann?

Frau geht mit Hund spazieren.
Ihr wollt täglich auf 10.000 Schritte kommen? Das geht laut des Orthopäden auch flexibler.
fotografixx

Zudem rüttelt der Orthopäde am Grundziel vieler Menschen ihr Schrittziel am Tag zu erreichen. Doch wenn 10.000 Schritte am Tag nicht das Nonplusultra sind, welches Ziel sollten wir uns stattdessen setzen?

„Dass wir nur beim Sport, beziehungsweise nur während der 10.000 Schritte trainieren, ist leider eine Fitness-Lüge“, kritisiert Dr. Neumann. „Bewegungsvielfalt heißt da das Zauberwort. Unser Körper, genauer unsere Faszie, mag keine monotonen Wiederholungen. Und natürlich kommt es auf die Bewegungsqualität an, auf die natürlichen Bewegungsabläufe und günstigsten Körperhaltungen. Ob man nun sportliche Leistungssteigerung anstrebt oder einfach nur spazieren geht. WIE wir jeden einzelnen Schritt ausführen, ist bedeutsamer als die Anzahl der Schritte“, so das flammende Plädoyer des Mediziners.

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Bewegungsvielfalt! Zwei wichtige Tipps für Vielsitzer

Für einen rückenfreundlichen Arbeitsplatz daheim sind oft nur kleine Anpassungen nötig - sei es ein Kissen oder regelmäßige Positionswechsel.
Wie können sich Vielsitzer mehr bewegen?
Finn Winkler/dpa/dpa-tmn

Und wie könnte ein relativ bewegungsreicher Alltag für Vielsitzer konkret aussehen?

  • „Aufrecht sitzen und hierbei dynamisch verschiedene Positionen einnehmen, wie es uns Kinder vormachen“, rät der Arzt konkret. Also drehen, wenden, aufstehen und bücken nach dem heruntergefallenen Stift – alles ist erwünscht!

  • „Typische Bewegungen im Büroalltag optimieren: Wie den Gang zum Kopierer, das Stehen am Stehschreibtisch, das Öffnen einer Tür. Jede einzelne Bewegung kann man faszienfreundlich und ökonomisch gestalten.” Hilfreich hierbei: Bewusst regelmäßig aufstehen und sich unterschiedlich bewegen.

„Praktiziert man dies, wird man mit lebenslanger Schmerzfreiheit und Beweglichkeit belohnt und erspart sich Verschleißerkrankungen“, weiß der Orthopäde.

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Bewegung neu denken! Welchen Sport empfiehlt der Orthopäde?

Und jetzt wird es in Sachen Sport noch einmal richtig spannend! Welche Art von Sport empfiehlt der kritische Orthopäde, um sich fit, gesund und schmerzfrei zu halten? „Ich empfehle keinen Sport. Warum? Ich möchte es noch einmal betonen: JEDE Sportart erzeugt einen Bewegungsmangel. Ausschließlich die regelmäßige Anwendung freier, natürlicher Bewegung, intuitiv, spontan, situativ angepasst, beugt diesem Bewegungsmangel vor“, so Dr. Neumann.

Sein Vorbild bei dieser Empfehlung? Kinder! Sie würden sich ohne jegliche Einschränkungen bewegen und hätten dabei vor allem viel Spaß und Freude. „Fangen Sie an, den ganzen Tag – auch während der Arbeit und anderen Verpflichtungen – ganz bewusst auf Bewegungsvielfalt und Bewegungsqualität zu achten!“

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Diese fünf Gesundheits-Tipps machen euch wirklich fit

Wem diese Empfehlung noch nicht reicht, der kann sich an diese konkreten fünf Tipps von Dr. Arvid Neumann orientieren!

  1. Fragt euch: Was möchtet ihr mit 80 oder gar mit 99 Jahren noch können? Überlegt euch ein Ziel! Ihr wollt dann leichtfüßig noch einen 2.000 Meter hohen Gipfel erklimmen? Dann geht jetzt schon regelmäßig wandern! Beachtet: Geräte-Training im Fitness-Studio wird euch dabei nicht helfen.

  2. Ihr könnt klassischen Sport treiben, MÜSST aber nicht! Fragt euch dabei immer: Habe ich daran Spaß und freue ich mich schon auf die nächste Einheit? Tut der Sport mir seelisch und körperlich gut? Ansonsten bringt Vielfalt in eure Bewegung rein!

  3. Zieht Sport in der Natur dem Fitness-Studio vor! Geht spazieren, wandert, klettert. Geht häufiger barfuß.

  4. Macht etwas für die oberen und unteren Extremitäten. Und nutzt beide Seiten, rechts und links. Koordination ist das Zauberwort.

  5. Hört auf euer Bauchgefühl und nehmt euch ausreichend Zeit euch selbst und die Regeneration. Achtet auf gesunden Schlaf und die richtige Schlafposition (die Faszie „trainiert“ auch im Schlaf!).