Orthopäde wagt steile These„Die Fitness-Lüge” – warum uns Sixpack und Co. krank machen können

Sport ist Mord – ist das auch euer Credo?
Dann dürft ihr euch jetzt kurz sagen: Ich hab’s doch immer gewusst! Denn viele Sportarten machen uns eher krank statt fit. Das behauptet gerade niemand mit innerem Schweinehund, sondern der erfahrene Orthopäde Dr. Arvid Neumann. Der Experte kritisiert die Fitness-Industrie und sagt, dass uns Schönheitsideale wie das Sixpack in völlig falsche Bewegungsmuster treiben. Welche vier Sport-Mythen absoluter Nonsens sind und worauf ihr euch bei Schmerzen stattdessen konzentrieren solltet.
Arzt über die „Fitness-Lüge“ – was machen die Deutschen falsch?
„Deutschland ist krank“, sagt Dr. med. Arvid Neumann.
Oft genug hört er von sportlichen Patienten, welche diverse Schmerzen sie haben. Vor allem Rückenschmerzen stehen seit Jahren hoch im Kurs. Die Krux: Die Schmerzen verschwinden nicht. Trotz des Sports. Oder bleiben sie etwa wegen des Sports? Dieser Frage ist der Orthopäde in seinem neuen Buch „Die Fitness-Lüge – warum Muskeln nicht vor Schmerzen schützen“ (DuMont, 256 Seiten, 20 Euro) nachgegangen. Und eins wird Lesern schon nach wenigen Seiten klar: Zum Vorteil des Geschäftsmodells von Fitnessstudios ist Neumanns Analyse nicht.
Doch was machen viele Deutsche beim Sport derart falsch?
„In der Fitness-Industrie geht es immer um ‚Kraft und Ausdauer‘, also letztlich um Muskelaufbau – Krafttraining stärkt die großen Muskeln, Ausdauertraining den Herzmuskel. Und starke Muskeln schützen uns vor Krankheiten. Das ist das Versprechen der Fitness-Industrie“, erklärt Neumann. „Und darin liegt die Fitness-Lüge. Denn der Muskelaufbau schützt vor Schmerzen nicht“, betont der Experte.
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„Trainierte Personen kommen mit Schmerzen in meine Praxis“
Und über diese Sport-Lügen will der Facharzt jetzt sprechen.
Das Kuriose hinter seiner Beobachtung: Immer mehr Menschen treiben Sport, viel mehr als früher. Müsste der Orthopäde also nicht weniger Patienten haben? „Die Deutschen leiden trotzdem an Rückenschmerzen und bekommen künstliche Gelenke. Viele trainierte Personen kommen mit Schmerzen in meine Praxis. Wie kann das sein? Falsche Versprechen der Fitness-Anbieter verstellen den Blick auf das Wesentliche. Wir brauchen ein neues Verständnis von Schmerzen und ihren Ursachen – die Faszie ist dafür viel entscheidender als die Muskulatur.“
Doch nicht ausschließlich Rückenschmerzen seien ein großes Thema, sondern beispielsweise auch das Verhalten von Freizeit-Läufern.

In seinem Buch zitiert Dr. Neumann eine erschreckende deutsche Studie. Bei der Befragung gaben mehr als die Hälfte der Hobby-Langstreckenläufer an, Schmerzmittel wie Diclofenac, Ibuprofen oder Indometacin einzunehmen. „Das bedeutet, dass auch Freizeitsportler zu einem erschreckend hohen Anteil an Schmerzen leiden“, gibt der Experte zu Bedenken.
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Vier Sport-Mythen, die falsch sind
Für diese Schmerzen sind aus der Sicht des Orthopäden unter anderem die folgenden vier Sport-Mythen mitverantwortlich.
Mythos eins: Ein starker Rücken kennt keinen Schmerz. „Diese Aussage stimmt nicht. Sie ist nicht mehr als ein weitverbreiteter Irrglaube. Zwar ist körperliche Aktivität gut und wichtig für den Menschen, aber es muss die richtige sein. Viele Menschen zwingen sich heute beim Sport, sie belasten sich zu sehr und verschärfen manchmal ihre Schwachpunkte.“
Mythos zwei: 10.000 Schritte am Tag halten dich fit. „Wer zum Beispiel falsch geht, sollte nicht stolz darauf sein, wenn die zehntausend Schritte am Tag geschafft sind, welche die Smartwatch als Ziel vorgibt. Geht man ungünstig, ohne Länge im Körper, angespannt und unter zu hohem Kraftaufwand, hat man im schlimmsten Fall zehntausendmal etwas getan, was den Körper immer weiter von einer guten Struktur entfernt.“
Mythos drei: Muskelaufbau tut immer gut. Übungen im Fitnessstudio werden laut Neumann „immer gleich ausgeführt“, und auch, wenn sich die Studios modernisiert haben, steht immer noch das Training an den Geräten im Vordergrund. Es ist aber laut des Mediziners nicht gut, immer nur die gleichen Muskelgruppen zu trainieren und kann sogar Beschwerden verschlimmern. „Das bleibt also ein isoliertes Training, auch wenn eine Muskelkette anstatt des Einzelmuskels trainiert wird. Im richtigen Leben ist jede Bewegung einzigartig, es gibt die gleiche Bewegung niemals zweimal.“
Mythos vier: Ein Sixpack ist nicht nur schön, sondern auch gesund. „Der Sixpack-Bauch hält die Struktur fest. Er erschwert manche Bewegungen, behindert sogar die Atmung. Genau wie mit vielen der anderen Schönheitsideale zwingen wir uns damit etwas auf, das die Menschen am Ende nur frustriert, ihnen schadet und auch davon abhält, auf ihren Körper zu hören und zu erspüren, was ihm wirklich guttut. Der Bauch braucht Flexibilität.“
Und was können wir stattdessen gegen Schmerzen tun? Tatsächlich sollten wir aus Sicht des Orthopäden beim Sport mehr auf „Geschmeidigkeit“ setzen und weniger auf Kraft. „Es kommt darauf an, Muskeln nicht nur anzuspannen, wie beim Krafttraining – sondern auch loszulassen.“
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„Wir quälen uns beim Fitness-Sport zu sehr“
„Wir quälen uns beim Fitness-Sport zu sehr, wir verhärten unseren Körper zu sehr, wir vertrauen falschen Idealen – etwa, uns mit Muskeln zu panzern. Wir sollten umdenken und die Faszie in den Blick nehmen“, rät der Experte. Unter Faszien verstehen Fachleute Bänder und Stränge aus dem Bindegewebe. Faszien sind kollagenhaltige Fasern in unserem Körper.
Die Faszien-Orthopädie bietet laut Neumann ein ganz neues therapeutisches System. „Auch eine neue Denkweise, eine neue Art des Patientenumgangs und damit auch ein neues Selbstverständnis des Arztes und der Ärztin.“ Neumanns wichtigster Alltagstipp: Wir sollten uns so oft wie möglich strecken und langziehen – das sei das wichtigste Prinzip. Und die beste Bewegungsroutine sei Abwechslung.
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