Ohne Geduld läuft hier nichtsIch habe einen Angsthund: Mit diesen Tipps vertraut euch auch euer Tier

Autorin Jessica Bürger mit ihrer Hündin Liv.
Unsere Autorin mit ihrer Hündin Liv. Als die beiden sich kennenlernten, lief Liv erst einmal vor ihr davon.
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Bin ich ein Hundeschreck?
Dieser Gedanke geisterte mir durch den Kopf, als ich das erste Mal auf Liv traf. Denn der Hund, den ich eigentlich adoptieren wollte, war von diesem Gedanken wenig angetan – und rannte erst einmal vor mir davon. Für mich, die bisher nur mit Hunden zu tun hatte, die bei meinem Anblick vor Freude fast explodierten, ein sehr unangenehmes Gefühl. Was ich damals noch nicht wusste: Ich hatte es mit einem Angsthund zu tun. Und die ticken einfach anders.

Das erste Treffen: Liv war von mir alles andere als begeistert

Ein kleines, plüschiges Wesen, das über meinen Schoß krabbelte und mich ganz verliebt anstarrt – ungefähr so stellte ich mir mein erstes Treffen mit meinem ersten eigenen Hund vor. Liv saß damals im Tierheim von Dormagen und war erst wenige Wochen zuvor von der rumänischen Straße aufgelesen worden. Plüschig war sie damals noch etwas. Verliebt allerdings weniger.

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Es begann damit, dass sie kaum aus ihrem Gehege herauswollte. Auf der Wiese, auf der wir uns dann etwas beschnuppern sollten, setzte sie sich so weit weg von mir wie nur möglich. Dabei starrte sie mich an, als würde ich sie am liebsten auf den nächsten Dönerspieß stecken und essen wollen.

Noch nie hatte ein Hund vor mir Angst, und ich nahm das in dem Moment etwas persönlich. Dass sie ein Angsthund war und dieses Verhalten für diesen Typ Hund ganz normal war, wusste ich einfach nicht.

Im Video: Angsthund Axel erträgt keine Berührungen

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Die erste Woche: Würde sich mein Hund für den Rest seines Leben vor mir verstecken?

Ich adoptierte Liv trotz ihrer Angst vor mir. Mein Bauchgefühl sagte mir, dass ich einfach geduldig sein musste. Trotzdem waren die ersten Tage nervenaufreibend. Liv kauerte einem kläglichen Haufen Elend gleich in die hinterste Ecke des Wohnzimmers.

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Sie aß nichts, sie trank nichts – obwohl es draußen fast 40 °C waren – sie machte ihr Geschäft nicht, auf den Spaziergängen duckte sie sich vor allem weg. Zwar traute sie sich nach zwei Tagen aus ihrer Ecke heraus, flüchtete jedoch sofort wieder, wenn ich nur zu laut hustete.

Wie gesagt: Ich wusste, dass ich geduldig sein musste. Aber wie lange brauchte der Hund, um zu verstehen, dass ich sie eben nicht zum Döner verwerten wollte, sondern sie ganz gern hatte?

Die Antwort war ernüchternd: viele, viele Monate.

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Das erste halbe Jahr: Das schreckhafte Hündchen taut so langsam auf

Liv
Als Liv zu unserer Autorin kam, traute sie sich kaum aus ihrer Ecke im Wohnzimmer hinaus. Mittlerweile hat die Hündin ihre Angst und Unsicherheit fast vollständig abgelegt.
privat

Nach einem halben Jahr rauften Liv und ich uns endlich zusammen. Ich hatte irgendwann begonnen, sie immer wieder neuen, für sie beängstigenden Situationen auszusetzen. Sie wurde gebürstet und gewaschen, fuhr Auto und kam sogar zur Hochzeit meiner besten Freundin mit.

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Natürlich wird es immer Dinge geben, vor denen sie Angst hat. Fellpflege verabscheut sie bis heute. Da packt Liv auch weiterhin ihren „jetzt lande ich doch noch am Dönerspieß“-Blick aus.

Doch wenn sie Angst hat, versteckt sich nun an meiner Seite statt unterm Tisch und vor ein paar Wochen haben wir das erste Mal miteinander gespielt. Für mich, die noch immer das klägliche Häufchen Elend vor Augen hat, das Liv einst war, sind das die größten Geschenke, die mir dieser Hund machen kann.

Ihr habt auch einen Angsthund? Das könnt ihr tun!

Wer noch nie mit einem Angsthund zu tun hatte, findet es zunächst vielleicht etwas verstörend, wenn der eigene Hund vor einem abhaut. Doch das ist ganz normal für einen Angsthund, erklärt Hundeerziehungsberaterin Marion Huber im Gespräch mit RTL.

„Einen Angsthund erkennt man daran, wenn er vor einem auf der Flucht ist“, sagt sie. „Er wird sich wahrscheinlich verstecken, die Rute einziehen, sich klein machen und die Hinterläufen einknicken und ängstlich wegschauen.“ Wichtig sei, nichts von dem Hund zu erzwingen, ihn zum Beispiel nicht aus seiner Schutzecke herauszulocken. Stattdessen sollte man auf den ersten großen Hunger des Tieres warten. „Über das Futter lässt sich am besten die erste Brücke schlagen“, empfiehlt Huber.

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„Dann lässt man ihn aus der Hand oder am besten aus einem Beutel mit Futter fressen, der später dann als Spielersatz zum Beziehungsaufbau dienen kann.“ Dadurch lerne der Hund, dass von dem Menschen an seiner Seite keine Gefahr ausgeht und er sich um ihn kümmere. „Es braucht eine positive Bindung, um dem Hund etwas erklären zu können“, sagt Huber.

Dazu gehören nicht nur regelmäßiges Füttern und Spaziergänge. Der Hund muss auch davor bewahrt werden, von Fremden angefasst zu werden oder mit jedem Hund in Kontakt zu kommen. Beides müsse laut Huber vom Menschen kontrolliert werden. „Nur dann wird der Hund einen als Orientierungshilfe sehen und Anleitungen übernehmen.“

Hundeerziehungsexpertin Marion Huber und ihr Hund
Hundeerziehungsexpertin Marion Huber erklärt, wie Halter von Angsthunden ganz einfach deren Vertrauen gewinnen können.
Marion Huber

Das A und O ist eine gute Beziehung zum Hund

Erfahrungsgemäß brauche das Tier ein bis zwei Wochen, um anzukommen und seine erste Angst abzulegen, so Huber. Die sollte man dem Hund auch zugestehen. So richtig auftauen wird der Hund aber erst in den nächsten Monaten. Das bedeute auch, dass das Tier überraschende Verhaltensweisen zeige, die es vorher nicht gezeigt habe – es zum Beispiel andere Hunde anpöbele, so Huber.

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„Aber dann heißt es: Den Hund mit allem konfrontieren, wo er später integriert werden soll.“ Das fängt bei der Fellpflege an und endet noch lange nicht beim Autofahren. Denn der Hund werde mit seinem Halter ständig in neue Situationen kommen und immer weiter dazu lernen, stellt die Hundeexpertin klar. „Jeder Halter muss für seinen Hund das richtige Maß an Herausforderung finden.“

Beschäftigung, Schutz und Fürsorge sind also die Basis für eine gute Bindung. „Denn stimmt die Beziehung“, fasst Huber zusammen, „folgt der Hund einem gerne“.