Nach Ausschreitungen und Plünderungen
RTL-Reporterin: Was wir über die sogenannte "Partyszene" in Stuttgart wissen
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Die Stuttgarter "Partyszene" - wer ist das?
Bei Straßenschlachten mit der Polizei haben in der Nacht zum Sonntag dutzende gewalttätige Kleingruppen die Stuttgarter Innenstadt verwüstet und mehrere Beamte verletzt. Die Polizei macht die „Party- und Eventszene“ für die Ausschreitungen verantwortlich – doch wer ist eigentlich damit gemeint? RTL-Reporterin Melanie Britz hat sich in der Stuttgarter Clubszene umgehört.
Im Video erklärt eine Stuttgarter Clubbesitzerin, warum es sie wütend macht, wenn die Taten jetzt der Party- und Eventszene der Stadt zugeschrieben werden.
Nur noch acht Randalierer in U-Haft - 16 wieder auf freiem Fuß!
Mehrere Handy-Videos im Internet dokumentieren das Ausmaß der Gewalt. Junge Männer, viele von ihnen vermummt, ziehen randalierend durch die Einkaufsstraßen. Acht von ursprünglich 24 mutmaßliche Aggressoren sitzen noch in Untersuchungshaft, einer von ihnen - er ist erst 16 Jahre alt - wegen Verdachts auf versuchten Totschlag. Ein Richter habe die beantragten Haftbefehle erlassen, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft. Ein weiterer Haftbefehl war gegen Auflagen außer Vollzug gesetzt worden. 16 zunächst vorläufig festgenommene mutmaßliche Beteiligte wurden den Angaben zufolge wieder entlassen.
Den Männer im Alter zwischen 16 und 33 Jahren wird Landfriedensbruch vorgeworfen sowie gefährliche Körperverletzung, tätliche Angriffe auf Vollstreckungsbeamte und Diebstahl in besonders schwerem Fall. Sie besitzen laut Polizei die deutsche, kroatische, irakische, portugiesische und lettische Staatsangehörigkeit.
Die Polizei sieht keine politischen Motive hinter der Gewalt, der Stuttgarter Polizeipräsident Frank Lutz machte stattdessen die sogenannte „Party- und Eventszene“ mit mehreren Hundert jungen Menschen verantwortlich. RTL-Reporterin Britz hat sich in der Clubszene umgehört und einen anderen Eindruck erhalten. In der Szene wehrt man sich einhellig gegen die Behauptung, die Krawallmacher stammen aus ihren Reihen. Zudem habe sich der Gewaltexzess länger angekündigt, die Polizei habe weggeschaut und nicht gehandelt.
Randalierer skandierten: „Endlich ist in Stuttgart was los“
Schon seit Wochen seien am Ort der Eskalation, dem Schlossplatz und am Eckensee, Massen an Jugendlichen und jungen Erwachsenen aufgefallen, die sich dort trafen, betranken und in den Sozialen Medien inszenierten. Dies sagte auch Polizeipräsident Lutz. Es sei im Vorfeld bereits zu Auseinandersetzungen mit der Polizei gekommen. Ein Jugendlicher erzählte Reporterin Britz, dass die Polizei in diesem Umfeld kaum noch wegen Verstößen etwa gegen Abstandsregeln vorgehe, weil es immer mehr Jugendliche werden und die Beamten in der Unterzahl seien.
Ein bedrohliches Szenario, das sogar dazu führe, dass Männer ihre Frauen dazu anhielten, dort abends nicht mehr unterwegs zu sein. Britz berichtet, dass die Gegend noch nie wirklich sicher gewesen sei, schon seit Jahren seien dort abends und nachts Drogenhändler und Alkoholiker unterwegs. Doch weil Clubs und Bars seit Wochen geschlossen sind, hätten sich die Treffen der Jugendlichen und jungen Erwachsenen zunehmend in den öffentlichen Raum verlagert, sagte Stuttgarts Polizeivizepräsident, Thomas Berger, bei einer Pressekonferenz. Nach seiner Einschätzung wollten sich die Täter in Sozialen Medien in Pose setzen und skandierten unter anderem: „Endlich ist in Stuttgart was los“. Diese Gruppe reagiere auf normale polizeiliche Ansprache sehr aggressiv.
Nach Ansicht von Grünenchef Cem Özdemir sei das Argument, die Jugendlichen seien durch die coronabedingten Clubschließungen gelangweilt, allerdings zu „unterkomplex“. Auch Clubgänger fühlten sich „von diesen Leuten bedroht“.
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19 Polizisten infolge "total enthemmter Gewalt" verletzt
Als die Polizei in der Nacht auf Sonntag im Schlossgarten einen 17-Jährigen wegen des Verdachts auf Drogen kontrolliert hatte, war die Situation eskaliert. "Bei diesem normalen Einschreiten haben sich sofort 200 bis 300 anwesende Personen aus der Samstagabend-Partyszene solidarisiert, mit Steinen und Flaschenwürfen", so Berger. Auf dem Schlossplatz sei die Gruppe dann auf 400 bis 500 Personen angewachsen. Es folgten Gewaltexzesse gegen die Polizei, Schlägerein und Plünderungen.
Berger bezifferte den Schaden durch die marodierenden Gruppen auf einen sechs- bis siebenstelligen Betrag. Unter anderem wurden 40 Läden beschädigt und zum Teil geplündert, zudem zwölf Streifenwagen demoliert, sagte der Leiter des Polizeieinsatzes während der nächtlichen Randale. 19 Polizisten seien infolge „total enthemmter Gewalt“ verletzt worden, einer davon brach sich das Handgelenk.
Doch wer sind die Krawallmacher? Und sind sie wirklich der sogenannten „Party- und Eventszene“ zuzuordnen, wie die Polizei sagt?
Wer nicht auf Stress aus ist, trägt keine Sturmhaube bei sich
RTL-Reporterin Melanie Britz hat mit etlichen Clubbesitzern, Veranstaltern, Türstehern und Security-Mitarbeitern in Stuttgart gesprochen. Vor der Kamera wollen sie sich nicht äußern, zu groß sei die Befürchtung, als Rassist beschimpft zu werden, wenn sie sich über die Täter äußern. Stuttgart sei klein - die Meinungen aber ziemlich ähnlich.
So glaube man nicht, dass es Feierwütige waren, die Samstagnacht die Krawalle auslösten. Keiner, der nicht auf Stress aus sei, trage eine Sturmhaube bei sich, so die Argumentation. Der Geschäftsführer eines Clubs erzählt Britz außerdem, dass er in der Krawallnacht um kurz vor zwei Uhr morgens an einem Zebrastreifen gestanden habe, als plötzlich mindestens zehn vermummte Leute über diesen gerannt seien – circa 15 Gehminuten vom Schlossgarten entfernt.
Eine Beobachtung, die zu bestätigen scheint, was in der Clubszene viele vermuten, nämlich, dass die Täter nicht alle vom Schlossplatz aus agiert haben, sondern an mehreren Stellen auftauchten und es deswegen keine spontane Aktion gewesen sein könne. Die Vermutung liegt nahe, dass sich die Gruppe über die Sozialen Medien organisierte und vor Ort formierte.
Nur eine Frage der Zeit, bis so etwas passiert
Schon seit Wochen habe sich im Bereich Schlossplatz und Eckensee etwas zusammengebraut, die Polizei habe nach Meinung der Clubbesitzer zu spät reagiert und zu lange zugeschaut. Es sei nur eine Frage der Zeit gewesen, bis so etwas passiere. Die Sperrstunde, die jetzt etwa von Seiten der Polizeigewerkschaft angeregt wird, halten eigentlich fast alle für falsch, da sich das Problem nur ins „Dunkle“ verlagere und dann auch die ohnehin schon durch den Corona-Lockdown gebeutelten Lokalitäten betroffen wären, die länger als bis 3 Uhr geöffnet haben.
Auch Clubbesitzerin Femke Bürkle widerspricht dem Begriff „Party- und Eventszene“. Sie verstehe, dass die Clubs wegen der Coronapandemie noch geschlossen haben, aber dass die Krawallmacher nun pauschal der Feier-/Party-/Club-/Eventszene zugeordnet werden, sei unverschämt und beleidigend, erzählt sie im Gespräch mit der RTL-Reporterin. Britz habe außerdem erfahren, dass man Leute unter den Randalieren erkannt haben will, die bei der Antifa sind, also zur linksextremen/ autonomen Szene gehören.
In Stuttgart wurde die "Rechtsstaatlichkeit mit Füßen getreten"
Auch Thomas Mohr, Vorsitzender der Polizeigewerkschaft (GdP) Mannheim, äußerte sich in einem Facebook-Post kritisch zu der Party- und Eventszene-Theorie. „Wer hier die Randalierer einer „Event und Party-Szene“ zuordnet, verharmlost das Grundproblem“, schreibt er. „Nach Schilderungen der Einsatzkräfte vor Ort handelte es sich um überwiegend migrantische Jugendliche, Heranwachsende, aber auch Erwachsene in größerer Zahl, die sich grundsätzlich an keine Verhaltensregeln halten. Das sind weitgehend testosterongeladene junge Männer, die in der Gruppendynamik schnell eskalieren!“ Der Organisierungsgrad, der oft durch die sozialen Plattformen emotional transportiert werde, sei bei dieser Gruppe hoch.
Video: Psychologe erklärt die Ausschreitungen in Stuttgart
Wie sich ein solcher Gewaltausbruch wie der in Stuttgart in einer großen Menschengruppe entwickeln kann und wie die Randalierer ticken, erklärt ein psychologischer Berater im RTL-Interview.
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