Exklusives Bildmaterial der explodierten Pipeline
RTL Investigativ: Die Nord Stream-Story
Es ist eines der geheimnisvollsten Kapitel in der jüngeren europäischen Geschichte – wer hat die Nord Stream Pipelines in der Ostsee in die Luft gesprengt? Waren es die Ukrainer, die Russen, oder gar die Amerikaner?
RTL-Reporter Markus Frenzel auf dem Weg in die Ostsee
Zielstrebig pflügt die „Sea Twin of Karlskrona“ durch die Ostsee. Kapitän Tommy Olsson schaut besorgt auf die blaue Weite vor ihm. Noch ganz klein am Horizont lässt sich ein grauer Strich erkennen. „Das sind die Deutschen“, brummt er, „ein Militärschiff.“ Wir suchen einen äußerst präzisen Punkt auf der Seekarte – er befindet sich exakt bei 54° 52,623' Nord - 015° 24,529' Ost. Aber genau dort, nur wenige hundert Meter entfernt, patrouilliert gerade das Schiff der Bundesmarine.
Regelmäßig tauchen hier in den vergangenen Monaten Militärs auf und suchen die Gegend ab. Olsson fährt den Motor runter, wir warten eine gute halbe Stunde. Auf dem Radar erkennt der Kapitän endlich, dass das deutsche Schiff weiter Richtung Norden gefahren ist. Er wirft den Motor wieder an und sein Boot schiebt sich die letzten Kilometer zu unserem Ziel.
54° 52,623' Nord - 015° 24,529' Ost ist ein geschichtsträchtiger Ort. Einige Meter davon entfernt schmeißt Olsson den Anker. Es braucht zwei Versuche, bis uns die Strömung schließlich exakt über den Punkt getrieben hat. Jetzt befinden wir uns 72 Meter über der Stelle, an der am 26. September 2022, um 2.03 Uhr morgens die Nord Stream 2-Pipeline in die Luft geflogen ist. Später stellte sich heraus, dass nur eine Röhre, der Strang A durch die Explosion zerstört wurde. Im Strang B befindet sich noch immer Gas und könnte jederzeit von Russland weiter nach Deutschland gepumpt werden. Doch über die Explosion und das Ausmaß des Schadens am Meeresboden ist so gut wie nichts bekannt. Es wird geraunt, dass so gut wie alle Geheimdienste und Militärs der Anrainerstaaten – dazu die Amerikaner und Russen – die Explosionsstelle inzwischen erkundet haben sollen. Doch von den Untersuchungen ist in der Öffentlichkeit nichts bekannt.
Eine Spur führte vor kurzem in die Ukraine. Laut dänischem Militär wurde aber auch schon ein russisches Schiff kurz vor der Explosion am Tatort gesichtet.
Internationales Expertenteam auf Spurensuche in der Ostsee
An Bord der „Sea Twin of Karlskrona” befindet sich ein internationales Team von Experten und Journalisten. Reporter von RTL, TV2 und Ekstra Bladet aus Dänemark, Libération aus Frankreich. Dazu der Norweger Trond Larson, der mit seinem Unternehmen Blueye auf Unter Wasser-Untersuchungen spezialisiert ist, weshalb er mehrere silberne Kisten und Rucksäcke mit an Bord gebracht hat. Das Herzstück ist eine Schäferhund-große Drohne, mit der er den Meeresboden absuchen kann. Dazu begleitet uns Oliver Alexander, ein junger dänischer Geheimdienst-Experte, der akribisch die Fakten um die beiden Explosionen recherchiert hat. Wir wollen endlich wissen, was dort unten am Meeresboden genau vor sich gegangen ist. Als Seismologen auf der nahen Insel Bornholm die heftigen Signale aus der Tiefe des Meeres auf ihren Messgeräten ablesen konnten. Bis heute ist die erste Explosionsstelle ein einziges großes Rätsel.
Denn Untersuchungen, über die in der Öffentlichkeit berichtet wurde, hat es nur zur zweiten Explosionsstelle gegeben. Achtzig Kilometer im Norden, auf beiden Seiten der dänisch-schwedischen Grenze. Siebzehn Stunden nach der ersten Explosion war dort ebenfalls am 26. September 2022 eine heftige Detonation erfolgt. Um 19.03 Uhr waren beide Röhren der Nord Stream 1-Pipeline explodiert. Am Meeresboden soll dort heute eine fast 250 große Lücke in der Pipeline klaffen, was auf eine enorme Explosion hindeutet. In einem großen Radius über den Meeresboden verteilt sollen Bruchstücke, Zerborstenes und Pipelinefetzen herumliegen. Das zeigen Unterwasser-Bilder, welche die britische BBC und die schwedische Zeitung Expressen veröffentlicht hatten. Für die Explosion seien erhebliche Mengen Sprengstoff notwendig gewesen, haben Experten kurz nach Bekanntwerden des Szenarios behauptet. Umso erstaunlicher, dass sich bis heute kaum jemand für die erste Detonation, die Explosion der Nord Stream 2-Pipeline interessiert.
Inzwischen hat Trond Larsson seine Unterwasser-Drohne vorbereitet, eine Trommel mit 150 Metern gelbem Kabel stellt er an die Reling. Dann lässt er vorsichtig sein Gerät in die Tiefe. Wie ein ferngesteuertes Auto lenkt er sein Tauchgerät nun von Bord aus, dabei konzentriert auf eine Bildschirm vor sich blickend. Um ihn herum haben wir uns alle versammelt und verfolgen gebannt mit, wie die Drohne immer weiter in die dunkle Tiefe taucht.
Hängen die beiden Pipeline-Explosionen zusammen?
Nach einiger Zeit hat das Team die exakte Stelle gefunden. „Jetzt befinden wir uns 72 Meter über der Stelle, an der am 26. September 2022, um 2 Uhr morgens die North Stream 2-Pipeline in die Luft geflogen ist“, berichtet RTL-Reporter Markus Frenzel.
Im September 2022 waren sowohl die Nord Stream 1 als auch ein Strang der Nord Stream 2 Pipeline explodiert – in einem Abstand von 80 Kilometern. Details zur Zerstörung gab es bislang nur zur nördlichen Explosionsstelle.
Die Drohne nimmt exklusive Bilder von der zerstörten Pipeline auf. Auffällig – es gibt keine größeren Sprengspuren, auch keine herumliegenden Teile – die Pipeline ist relativ sauber auseinandergetrennt.
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Endlich wird klar: Die Explosionen müssen unterschiedlich verlaufen sein
Die Bilder zeigen auch, dass die Pipeline sehr sauber mit einem einzigen Riss in der Mitte im Wasser steht. Eine Hälfte des Rohres steht dabei in die Höhe. Eines ist nun klar – für die Explosion der Pipeline war wohl kein großer Aufwand nötig. RTL-Reporter Markus Frenzel: „Klar ist, die Explosion hier, bei Nord Stream 2 muss sehr viel geringer gewesen sein, als bei Nord Stream 1.“
Bislang gingen Experten davon aus, dass eine große Menge Sprengsstoff für die Explosion verantwortlich war. Doch dann müssten viele kleine kaputte Teile zu finden sein. „Dafür hätten wir überall kaputten Beton finden müssen, zerkratztes Metall und Brandspuren finden müssen. Und geborstene Röhren. Hier sieht es eher nach einer Präzisionssprengung aus“, sagt Geheimdienst-Experte Alexander.
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Der Experte Lars Nohr-Nielsen von Force Technology bestätigt dem Team den Verdacht. „Ich würde sagen, mit einer Wahrscheinlichkeit von 70 Prozent hat hier ein kleiner Sprengsatz von außen die Explosion provoziert. Also eine Hohlladung. Für die Platzen der Pipeline hat dann der innere Gasdruck ausgereicht.“
Markus Frenzel und seine Kollegen kommen nun zu dem Ergebnis: die Explosion von Nord Stream 1 und 2 ist sehr unterschiedlich verlaufen. Gut möglich also, dass zwei unterschiedliche Akteure dafür verantwortlich sind.