„Ich hatte jahrelang Probleme, weil ich nicht arbeiten konnte"

Opfer erzählt seine Missbrauchsgeschichte in der katholischen Kirche

Wilfried Fesselmann war elf Jahre alt als er im Sommer des Jahres 1997 von einem Kaplan zum Fernsehabend eingeladen wurde – als Belohnung dafür, dass er so ein „gutes Kind“ gewesen sei. Seine Mutter dachte sich nichts dabei. Sie war streng katholisch und der Geistliche war beliebt in der St. Andreas-Gemeinde in Essen. Doch in seiner Wohnung verschloss der Kaplan Peter H. die Tür und begann über Sex zu reden. "Das hat ihn dann immer mehr erregt. Zum Ende - dann haben wir uns ausgezogen - und dann sollte ich ihn oral befriedigen", berichtet der Betroffene.

Wechsel nach München - zu Bischof Ratzinger

Danach habe er einen Filmriss bis zum nächsten Morgen, berichtet Wilfried Fesselmann. Wochenlang habe er gar nicht über den Vorfall gesprochen. Dann vertraute er sich einem Schulfreund an. Er wollte ihn vor dem Täter warnen.

Nach einer Anzeige musste der Pfarrer die Gemeinde in Essen verlassen. Doch der damalige Bischof von München und Freising Joseph Ratzinger - der spätere Papst Bendikt XVI. - holte den Geistlichen in sein Bistum und ließ ihn weiter seelsorgerisch arbeiten. Auch noch nachdem der Mann 1986 wegen mehrfachen sexuellen Kindesmissbrauchs verurteilt worden war. „Die Kirche hat damals schon abgeblockt und ihn in den Schutz genommen“, berichtet Fesselmann.

Schwere Vorwürfe gegen emeritierten Papst

Genau das wirft dem emeritierten Papst nun auch ein neues Gutachten über sexuellen Missbrauch im Erzbistum München und Freising vor: Der damalige Kardinal Joseph Ratzinger habe in seiner Zeit als Münchner Erzbischof Missbrauchstäter „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ wissentlich in der Seelsorge eingesetzt und darüber die Unwahrheit gesagt. In insgesamt vier Fällen werfen ihm die Gutachter Fehlerverhalten vor. Das Gutachten wird nach dem Gespräch zwischen RTL und Wilfried Fesselmann veröffentlicht.

Die Anwälte, die nun ihr Gutachten zum Missbrauch in der Erzdiözese München vorlegten, haben den Papst im Ruhestand mit Protokollen von Sitzungen konfrontiert, in denen es um den pädophilen Pfarrer ging. Doch Joseph Ratzinger gibt an, damals nicht anwesend gewesen zu sein.

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„Bilanz des Schreckens“

Ein Papst als Mitwisser des Missbrauchs - die Gutachter sprechen von einer „Bilanz des Schreckens“: Mindestens 497 Kinder und Jugendliche sind laut der am Donnerstag vorgestellten Studie zwischen 1945 und 2019 im katholischen Bistum München und Freising von Priestern, Diakonen oder anderen Mitarbeitern der Kirche sexuell missbraucht worden. Mindestens 235 mutmaßliche Täter gab es laut der Anwaltskanzlei - darunter 173 Priester und 9 Diakone. Allerdings sei dies nur das sogenannte Hellfeld. Es sei von einer deutlich größeren Dunkelziffer auszugehen.

Der betroffene Wilfried Fesselmann kämpft noch immer mit den Folgen des sexuellen Missbrauchs. Lange plagten ihn scheinbar zusammenhangslose Symptome – Schwindel und Übelkeit etwa. Später stellte sich heraus, dass diese mit einer posttraumatischen Belastungsstörung zusammenhingen. „Ich hatte jahrelang Probleme, weil ich nicht arbeiten konnte“, berichtet er. Währenddessen konnte der Täter weiterarbeiten – bis ins Jahr 2012. Für Wilfried Fesselmann ist klar: „Ich glaube nicht, dass der Täter und die Beteiligten in den beiden Bistümern ein Gewissen haben“. (agr/dpa)

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