Hunderte Arzneimittel knapp

Medikamenten-Krise mit Ansage! "Wir Apotheker sagen seit über zehn Jahren, dass das irgendwann schiefgeht"

Apotheker Erik Tenberken glaubt nicht, dass es eine schnelle Lösung für die Medikamenten-Krise gibt.
Apotheker Erik Tenberken glaubt nicht, dass es eine schnelle Lösung für die Medikamenten-Krise gibt.
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von Ingo Jacobs und Madeline Zilch

In der heftigsten Krankheitswelle, die Deutschland in der jüngeren Vergangenheit erlebt, gehen auch noch zahlreiche Medikamente aus. Eine Krise mit Ansage, sagt ein Apotheker. Im Gespräch mit RTL schildert er, wer besonders unter der Krise leidet und ob ihm sein Job unter diesen Umständen überhaupt noch Spaß macht.

Krise mit Ansage

Der Rebound-Effekt hat Deutschland fest im Griff. Er tritt auf, weil Viren nach einer langen Zeit von Corona-Isolation und Kontakteinschränkungen eine Renaissance erleben. Besonders betroffen: die Kinder. Gerade jetzt leidet das Gesundheitssystem unter Lieferengpässen. Für Apotheker Erik Tenberken eine Krise mit Ansage: „Einen Großteil der Schuld haben sicherlich auch Krankenkassen und Politiker“, sagt er im Gespräch mit RTL. „Wir Apotheker sagen schon seit über zehn Jahren, dass das irgendwann schiefgeht.“

Denn: Über Rabattverträge seien die Preise immer weiter gedrückt worden und die Produktionsmöglichkeiten in Europa abgewürgt und abgebaut worden – und schließlich nach China oder Indien gewandert. „Deswegen sind wir jetzt von diesen Ländern abhängig“, so der Leiter der Birken-Apotheke in Köln, „und dann kann so etwas passieren, was im Augenblick gerade passiert.“

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Leere Regale: So verunsichert sind die Kunden Apotheker in der Arzneimittel-Krise
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"Hilflose Menschen, denen geholfen werden muss"

Besonders leiden dabei, wie immer, die verletzlichsten Mitglieder der Gesellschaft. Kinder, die Infektionen nachholen, Diabetiker, Asthmatiker, Krebspatienten. Die Bewohner von Altenheimen bekommen eine doppelte Krise zu spüren: Einerseits durch den Mangel an Pflegekräften und dann fehlt auch noch Verbandsmaterial, um wund gelegene Patienten zu versorgen. „Das sind hilflose Menschen, denen geholfen werden muss“, klagt Tenberken. „Das ist natürlich eine ganz dramatische Situation.“

Dass die Kunden und Patienten deswegen teilweise auch unfreundlich werden, kann der Apotheker durchaus verstehen. „Wer kein Verständnis dafür hat, dass Eltern unter Druck geraten, wenn sie zu Hause ein fieberndes Kind haben, das sie nicht versorgen können, hat den Beruf verfehlt“, stellt er klar. Er und seine Mitarbeiter versuchen dann, die Lage ruhig zu erklären.

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Rückverlagerung der Produktion kostet Zeit und Geld

Ein schnelles Ende der Krise sei auch nicht in Sicht, sagt der Apotheker. „Es ist nicht so, dass es jetzt eine Maßnahme gibt und morgen ist das Ganze vorbei“, erklärt er. „Das ist schon etwas Langwieriges.“ Bis die Produktion wieder nach Europa verlagert sei, könnten acht bis zehn Jahre ins Land gehen – es kostet Zeit und Geld. Bis dahin gehe es darum, Übergangslösungen zu schaffen und vorhandene Produktionsstätten auszubauen, um Druck und Abhängigkeit zu mindern.

Die derzeitige Lösung, dass nämlich die Apotheker selbst wieder den Mörser in die Hand nehmen, könne nicht von Dauer sein und nur in Einzelfällen greifen. Zum einen fehlen selbst dazu Inhaltsstoffe – und die Möglichkeiten, Medikamente in großen Mengen ist nicht gegeben. Zum anderen das Personal – denn auch hier gibt es den Fachkräftemangel.

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deutsche presse agentur

Beruf des Apothekers wichtiger denn je

Trotz beziehungsweise gerade wegen der Widrigkeiten geht Tenberken morgens gerne zur Arbeit. „Wir sind Heilberufler“, sagt er. „Wir haben diesen Beruf ergriffen, weil wir Menschen helfen wollen, wir arbeiten alle am Anschlag – wenn nicht jetzt, wann dann?“

Was ihn aber ärgert, ist die zu geringe Anerkennung für ihre Berufsleistungen: „Apotheken verursachen im Gesundheitswesen gerade mal 1,9 Prozent aller Kosten. Und wenn man dann sieht, dass Ärzte oder Krankenkassen sagen, wir brauchen Apotheken nicht, das können wir alles digitalisieren, dann sage ich: Nein! Wir brauchen das – und das sehen wir jetzt. Die Leute brauchen einen Ort, wo sie sich hinwenden können. Sie brauchen die persönliche Zuwendung. Der Beruf des Apothekers ist wichtiger denn je.“