Sebastian Delius und Familie isolieren sich seit zwei Jahren

Leben in einer "Schattenfamilie": Vater findet Ende der Corona-Regeln "fürchterlich"

Familienvater Sebastian Delius über sein Leben in einer "Schattenfamilie".
Weil seine Tochter schwerbehindert ist, findet Familienvater Sebastian Delius die Corona-Lockerungen alles andere als gut.
RTL
von Tobias Grimm und Vera Dünnwald

Die Coronavirus-Pandemie belastet seit zwei Jahren jeden Einzelnen von uns – die einen leiden mehr, die anderen weniger. Ganz besonders leiden allerdings sogenannte „Schattenfamilien“. Aus Angst vor einer Ansteckung mit dem Virus, isolieren sie sich, denn: Ein Familienmitglied ist meist vorerkrankt, was beeutet, dass es ganz besonders intensiv vor einer Infektion – und den damit verbundenen Risiken – geschützt werden muss.
RTL hat einen Vater einer schwerbehinderten Tocher in Berlin getroffen. Sebastian Delius ist vom Wegfall der Corona-Maßnahmen alles andere als begeistert.
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Was genau sind eigentlich "Schattenfamilien"?

„Schattenfamilien“ ziehen sich meist aus dem normalen Alltag zurück und isolieren sich, um das vorerkrankte Familienmitglied vor einer potenziell gefährlichen Corona-Infektion zu schützen. Denn erkrankt der Risikopatient erst einmal, ist ein schwerer Verlauf – der unter Umständen sogar lebensgefährlich enden könnte – nicht unwahrscheinlich. Sie heißen so, weil sie sich aufgrund der Pandemie in den Schatten, ins Private, zurückgezogen haben.

Auch wenn die aktuellen Lockerungen von vielen Menschen begrüßt werden: Für „Schattenfamilien“ ändert sich reichlich wenig. Denn: Auch wenn eine 2G+-Regel, die Masken- oder sogar die Quarantänepflicht aufgehoben sinddas Virus verschwindet nicht einfach von jetzt auf gleich, wird nicht weniger gefährlich.

IT-Entwickler Sebastian Delius aus Berlin kann davon ein Lied singen. Er ist Vater von Zwillingen, die sieben Jahre alt sind. Während sein Sohn gesund ist, ist seine Tochter schwerbehindert. Damit gehört sie zu der vulnerablen Gruppe, für die eine Corona-Infektion gefährlich werden kann und ein „unklares Risiko“ birgt, wie er im RTL-Interview erklärt. „Unsere Tochter darf kein starkes Fieber bekommen. Dann muss sie im schlimmsten Fall sofort ins Krankenhaus. Daher wollen wir es erst gar nicht drauf ankommen lassen.“ Für die „Schattenfamilie“ habe das zur Folge, dass sie sich weiterhin – und vielleicht jetzt sogar noch mehr als zuvor – isolieren muss.

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"Kinder verpassen Teil ihrer Kindheit"

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Die Tochter von Sebastian Delius ist schwerbehindert und muss daher ganz besonders vor einer Infektion mit dem Coronavirus geschützt werden. Daher isoliert sich die "Schattenfamilie". (Symbolbild)
Symchych Maria, Maria Symchych-Navrotska

Die Corona-Pandemie habe für die Familie im März 2020 so angefangen, wie für jeden anderen Menschen auch. Im Sommer 2020 seien die beiden Kinder dann eingeschult worden und sogar für sechs Wochen zur Schule gegangen. Aufgrund der damals hohen Infektionszahlen mussten sie dann jedoch wieder von zu Hause aus unterrichtet werden – das Risiko war einfach zu groß. Im Sommer 2021, also etwa ein Jahr später, haben die Zwillinge dann ihre Off-Label-Impfung gegen das Virus erhalten. Weil es jedoch nach kurzer Zeit vermehrt zu Impfdurchbrüchen kam, nahmen Delius und seine Frau ihre Kinder dann erneut aus der Schule. Jetzt steht Home-Schooling für die Eltern an der Tagesordnung. Das funktioniere an sich gut – aber die Sozialbeziehungen der Familie seien – so Delius – eine „Katastrophe“.

„Wir haben niemanden mehr besucht, wir waren in keinem Restaurant mehr. Jede Aktivität, die nicht draußen stattfindet, geht nicht“, erklärt der Familienvater. „Zum Glück haben die beiden sich gegenseitig.“ Sein Sohn und seine Tochter können sich viel miteinander beschäftigen und sind der ganzen Situation gegenüber sehr einsichtig. „Aber sie tun mir auch leid, weil sie Teile ihrer Kindheit verpassen.“

Dass die Regeln jetzt gelockert wurden – und auch weiterhin gelockert werden – sei für Sebastian Delius persönlich „fürchterlich.“ Er habe den Eindruck, dass immer wenn man sich Hoffnungen mache, die Maßnahmen dann plötzlich zu einem zu frühen Zeitpunkt gelockert werden. „Was für ‘Schattenfamilien’ konkret bedeutet, dass sich unsere Isolation verlängert, weil sich entsprechend eben auch das Infektionsgeschehen nicht so schnell beruhigt, wie es das sonst tun würde, unter der Voraussetzung, dass es die Maßnahmen gibt.“

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Kritik an Corona-Lockerungen: Sollten nicht gerade die vulnerablen Gruppen geschützt werden?

Sebastian Delius ärgere sich und findet es „rücksichtlos“, dass die vulnerablen Gruppen, die man eigentlich schützen sollte, nicht der Maßstab dafür sind, welche Maßnahmen wann und wie getroffen würden.

Dass jetzt auch noch die Quarantänepflicht aufgehoben wird, und das Isolieren nur noch auf einer Empfehlung basiert, nimmt ihn mit: „Ich war entsetzt und schockiert.“ Dadurch ändere sich die Situation „komplett“. „Ich sehe jetzt kaum eine Möglichkeit, wie wir bis Herbst mit den Zahlen runtergehen sollen. Da könnte ich mich ja fast nur noch hier einsperren.“

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Auch seine Frau habe ähnlich reagiert, konnte es kaum fassen: „Als ich meiner Frau davon erzählt habe, hat sie direkt geheult.“ Mittlerweile ziehe die Familie dadurch sogar in Erwägung, ihre Kinder doch in die Schule zu schicken. „Ich kann meine Kinder nicht bis Herbst zu Hause lassen.“ Aber dennoch: „Wenn man sich das mal durchrechnet, wie viele Leute dann infiziert rumlaufen werden, dann ist das schon erschütternd.“

Normalität wie vor Corona wird es für Delius' Familie nicht geben

Um seine Familie und sich zu schützen, wolle er weiterhin eine FFP3-Maske tragen. Damit fühle er sich recht sicher. Für die Zukunft wünscht sich Familienvater Sebastian Delius zudem: „Ich würde mir wünschen, dass wir daraus lernen und dass wir lernen, mit dem Virus zu leben. Aber das bedeutet eben nicht, alles so zu machen wie davor.“ Regelmäßiges Lüften zum Beispiel oder in bestimmten Kontexten beziehungsweise zu bestimmten Jahreszeiten eine Maske tragen – das findet der IT-Techniker aus Berlin gut.

„Jetzt habe ich aber den Eindruck: Alle Leute wollen zurück in die Normalität. Und sie definieren Normalität als das, was vor Corona war. Und das wird für uns so nicht stattfinden, diese Normalität wird es auf absehbare Zeit für uns so nicht geben.“ Für ihn sei die Pandemie erst dann vorbei, wenn es effektive und wirksame Medikamente gibt, die man im Falle einer Infektion nehmen kann. Bis dahin ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Delius, seine Frau und die beiden Kinder weiterhin als „Schattenfamilie“ leben, um auch wirklich auf Nummer Sicher zu gehen.

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