Bedrohungen, sexualisierte Gewalt und Vandalismus gehören zur TagesordnungLand Niedersachsen ignorierte Brandbrief - jetzt wenden sich verzweifelte Lehrer an die Öffentlichkeit

ARCHIV - ILLUSTRATION - Zwei Schüler prügeln sich auf dem Schulhof in Leichlingen, aufgenommen am 26.11.2008. (zu dpa «Studie: Weniger Gewalt unter Jugendlichen» vom 20.04.2017) Foto: Oliver Berg/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++
Fast jeden Tag kommt es an der IGS Stöcken in Hannover zu Übergriffen. (Symbolbild)
obe_htf fux jol, dpa, Oliver Berg
von Jessica Sander

Sie haben ihrer Verzweiflung Luft gemacht, doch nichts passiert!
Im Dezember 2023 schreiben Lehrer der IGS Stöcken in Hannover einen Brandbrief an die Schulbehörde. Die Situation an der Brennpunktschule eskaliert immer mehr. Es geht um Gewalt, Bedrohungen und Ängste. Fast täglich kommt es zu Übergriffen. Die Lehrer stellen klare Forderungen, aber auch drei Monate später ist noch nichts passiert.
RTL.de ist jetzt auch bei WhatsApp - HIER direkt ausprobieren!

Waffen gehören zum Alltag

Es ist der 19. Dezember 2023, an dem Tag verlässt der Brandbrief der IGS Stöcken in Hannover das Postfach des Sekretariats. Es ist ein Hilferuf an die Schulbehörde, denn die Lehrkräfte sind an ihrer Belastungsgrenze angekommen. „Wir haben Kollegen mit Burnout. Das ist nicht mehr aushaltbar“, erzählt Anja Mundt-Backhaus, didaktische Leiterin der IGS im Gespräch mit RTL. Fast täglich komme es zu Übergriffen, so die Leiterin weiter. Regelmäßig ist die Polizei vor Ort. „Sie kommen wegen Schlägereien, Körperverletzungen, Bedrohungen. Wir haben manchmal Diebstähle. Wir hatten mehrere Reizgas-Attacken und eine Eisenstange“, so Anja Mundt-Backhaus. Mit der Eisenstange wurde ein Schüler außerhalb der Schule bewusstlos geschlagen. Unter den Tätern waren auch einige seiner Mitschüler. Waffen, wie Messer, gehören laut des Brandbriefes in Hannover zum Alltag.

Lese-Tipp: Das können Kinder und Eltern gegen Mobbing tun

Das Problem fängt zuhause an

Auch sexualisierte Gewalt sei ein großes Problem, erzählt die didaktische Leiterin. Die Schultoilette sei dabei das größte Problem und werde deswegen von vielen gemieden. Denn immer wieder werden Aufnahmen gemacht und diese dann veröffentlicht. „Also wir haben tatsächlich Kinder, die sich deswegen nicht zur Toilette trauen. Die sind nach oben und unten nicht geschlossen und dann werden Handys drüber oder unter der Tür durchgehalten und es werden Fotos gemacht oder gefilmt“, so Anja Mundt-Backhaus. „Viele Kinder fühlen sich einfach nicht mehr sicher.“ Aber auch Respektlosigkeiten gegenüber der Lehrkräfte sollen immer mehr zugenommen haben.

Die IGS Stöcken gilt als Brennpunktschule. 900 Schüler aus den unterschiedlichsten Nationen, mit den unterschiedlichsten Wertevorstellen treffen hier aufeinander. „Wir haben viele sozial schwache Familien und wir sind überzeugt, dass das unter anderem in vielen Fällen daran liegt, dass sich nicht adäquat um die Kinder gekümmert wird“, vermutet die Leiterin. Sie glaubt, dass sich viele Kinder als soziale Verlierer fühlen und es sich dann so ausdrücke.

Anzeige:
Empfehlungen unserer Partner

Im Video: Herausforderungen einer Brennpunktschule

Das fordert die Schule

Brandbrief
Ein Auszug aus dem Brandbrief, den die Gesamtkonferenz der IGS Stöcken Hannover an die Schulbehörde verschickt hat.
IGS Stöcken Hannover

Das alles aufzufangen, für die IGS allein nicht möglich. Sie brauchen Hilfe und untermauern das mit klaren Forderungen:

  • Kleinere Klassen, geringere Gesamtschülerzahl

  • Mehr Personal für die Gestaltung von Pausenangeboten

  • Schließung der Toilettenwände und -türen, um Fotografieren unter den Türen zu unterbinden

  • Dolmetscher/innen, die in Akutsituationen angefordert werden können

  • Deutliche Aufstockung der finanziellen Mittel für Gewaltprävention

  • Kulturvermittler, auch für Alltagssituationen

Lese-Tipp: So schützen Sie Ihre Kinder vor Missbrauch im Netz

Sicherheitspersonal lehnt die Stadt ab

Auch der Wunsch nach Sicherheitspersonal wurde aufgelistet. Das habe die Stadt jedoch bereits abgelehnt. Man wolle keine amerikanischen Verhältnisse, so die Begründung des Oberbürgermeisters gegenüber der IGS. Das Land Niedersachsen habe den Brandbrief und die Forderungen gänzlich ignoriert, erzählt Anja Mundt-Backhaus. Deswegen wenden sie sich jetzt an die Medien. Sie wollen für Aufmerksamkeit sorgen, weil einfach etwas passieren muss. „Wir wissen genau, wie wir es schaffen können und dass wir es schaffen können. Man muss uns nur die Bedingungen zur Verfügung stellen“, so Anja Mundt-Backhaus ganz deutlich. Immerhin soll es bauliche Maßnahmen geben, bestätigt die didaktische Leiterin. Diese, so ergänzt sie, werden aber nicht die großen Probleme lösen.