Fragen und Antworten zur AnnexionPutins Unsicherheit lässt Krieg härter werden

Putin will sich mit aller Gewalt Teile der Ukraine unter den Nagel reißen. Nach den als Völkerrechtsbruch kritisierten Scheinreferenden in den besetzten ukrainischen Gebieten über einen Beitritt zu Russland soll die Annexion nun formal besiegelt werden. Was genau bedeutet das für den Krieg in dem Land?
Krieg geht in neue Phase über
Die Vereinten Nationen kritisieren Russlands Vorgehen als Völkerrechtsbruch. Der Krieg wird mit der Ankündigung in eine neue Phase gehen. Doch wie geht es jetzt weiter? Hier die Antworten auf die drängendsten Fragen.
Wie laufen die Annexionen ukrainischer Gebiete ab - und was bedeuten sie für den Krieg?
Moskau schließt mit den eigens eingesetzten russischen Führungen der ukrainischen Gebiete Luhansk, Donezk, Cherson und Saporischschja auf deren Antrag Verträge über die Aufnahme in sein Staatsgebiet. Dann werden die Dokumente vom russischen Verfassungsgericht geprüft und kommende Woche vom russischen Parlament - der Staatsduma - und dem Föderationsrat - dem Oberhaus - besiegelt. Den Krieg dürfte das weiter anfachen, weil die Ukraine Teile der Gebiete kontrolliert und sie mit Hilfe westlicher Waffen komplett befreien will.
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Allerdings hat die Atommacht Russland damit gedroht, alle verfügbaren Mittel zur Verteidigung der Gebiete zu nutzen. Zudem hat Moskau als Mindestziel die komplette Eroberung des Gebiets Donezk genannt. Bisher kontrollieren russische Truppen 58 Prozent dort.
Russland wirbt mit Heimkehr zum Mutterland
Wie groß ist das Gebiet - und was bedeutet die Annexion für die Menschen dort?
Es geht um eine Fläche von über 108.000 Quadratkilometern. Das entspricht der Größe von Bayern und Baden-Württemberg zusammen. Einschließlich der bereits auf ähnliche Weise 2014 annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim hat die Ukraine die Kontrolle über fast 20 Prozent ihres Staatsgebiets verloren. Wie schon damals ist eine internationale Anerkennung auch diesmal nicht in Sicht. Eine Rückgabe der Gebiete über diplomatische Verhandlungen schließt Moskau aus.
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Russland wirbt bei den Menschen mit einer historischen Heimkehr zum Mutterland und mit höheren Renten und Sozialleistungen als in der Ukraine. Wie bei der Krim-Annexion sollen die Menschen automatisch russische Staatsbürger werden. Auf der Halbinsel hatten Bürger damals übergangsweise Zeit, sich aktiv dagegen auszusprechen und nach einer Erklärung die ukrainische Staatsbürgerschaft zu behalten.
Begeisterung bei den Russen nicht zu spüren
Wie wird der Anschluss der Gebiete in der russischen Bevölkerung aufgenommen - mit Begeisterung wie bei der Krim 2014?
Eine Euphorie wie bei der Annexion der Krim 2014 ist in Russland überhaupt nicht zu spüren. Die Stimmung ist diesmal eher gedrückt, weil es anders als damals nun einen blutigen Krieg mit Tausenden Toten gibt. Ein Ende ist nicht in Sicht. Zudem drücken die westlichen Sanktionen auf die russische Wirtschaft. Patrioten sind zwar begeistert von Putins Vorgehen - auch nach den Niederlagen der Armee in der Ukraine. Es gibt aber auch massive Proteste gegen den Krieg.
Die von Putin angeordnete Teilmobilmachung trifft viele Familien ins Mark. Dabei war der Kremlchef lange deshalb populär, weil er sich nicht in das Privatleben der Menschen einmischte. Das ist jetzt vorbei, wie die russische Politologin Tatjana Stanowaja sagt. Sie meint auch, dass Teile der Elite nicht bereit sein könnten, jeden beliebigen Preis für einen russischen Sieg zu bezahlen. Sie hält es angesichts der Proteste gegen die Mobilmachung, der neuen Welle an Repressionen und der zunehmenden internationalen Isolation Russlands für möglich, dass es zu Rissen im System kommt, die Putins Macht gefährden könnten.
Wie begründet Putin die Annexion?
Putin begründet diese mit dem angeblichen Schutz der dortigen Zivilbevölkerung vor Angriffen ukrainischer Nationalisten. Zweieinhalb Millionen Menschen hätten wegen der Kämpfe fliehen müssen. „Diejenigen, die geblieben sind - etwa fünf Millionen Menschen - sind nun ständigen Artillerie- und Raketenangriffen von neonazistischen Kämpfern ausgesetzt. Sie greifen Krankenhäuser und Schulen an und verüben Terroranschläge gegen Zivilisten“, behauptete Putin in seiner Mobilmachungsrede. Inzwischen sagen auch viele russische Soldaten, dass sie dort keine ukrainischen Nazis gefunden hätten.

Ukraine bleibt gelassen
Was bedeuten die Entwicklungen für die ukrainischen Gegenoffensiven?
In der Ukraine wurden die Scheinreferenden und die Teilmobilmachung betont gelassen zur Kenntnis genommen. Der externe Berater des ukrainischen Präsidentenbüros, Mychajlo Podoljak, fragte auf Twitter: „Läuft immer noch alles nach Plan oder doch nicht?“ Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte bereits davor betont, die Ukraine lasse sich nicht einschüchtern. Zudem dürften in den kommenden Monaten auch auf ukrainischer Seite frische Kräfte eintreffen. So läuft etwa die Ausbildung ukrainischer Soldaten in Großbritannien und anderen westlichen Staaten.
Wie verhält sich der Westen?
Hochrangige Politiker aus dem Westen werten Putins Schritt als „Zeichen der Schwäche“ und als „Akt der Verzweiflung“ wegen der jüngsten militärischen Misserfolge Russlands. Kanzler Olaf Scholz sagte, Putin habe die Situation von Anfang an „komplett unterschätzt“. Offen ist aber, wie westliche Staaten abseits von Worten mit der neuen Eskalation umgehen - insbesondere mit Putins Drohung, notfalls auch Atomwaffen einzusetzen. Bislang wurden weitreichende Sanktionen gegen Russland verhängt und die Ukraine mit Waffen und Munition versorgt. Ein direktes militärisches Eingreifen des Westens gilt aber weiter als ausgeschlossen. (dpa)
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