IQB-Studie bestätigt:

Corona schafft unaufholbare Bildungsrückstände: So schlecht können Grundschüler lesen & rechnen

ARCHIV - 23.07.2019, Baden-Württemberg, Lenningen: Schülerinnen und Schüler sitzen in einem Klassenraum der Grundschule im Lenninger Ortsteil Schopfloch. Die kleine Grundschule besuchen gerade einmal 16 Schüler - was bedeutet, dass alle Kinder, von Klasse 1 bis zu Klasse 4, gemeinsam unterrichtet werden. (zu dpa: «Viertklässler im Südwesten rutschen ab - Lesen und Zuhören schwach») Foto: Marijan Murat/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Die Pandemie hinterlässt ihre Spuren: Die IQB-Studie verdeutlicht bundesweit einen enormen Leistungsabfall bei Viertklässlern.
mut bwe hot kno, dpa, Marijan Murat

Die Schulen sind seit einigen Monaten wieder bundesweit geöffnet, das Homeschooling ist wohl vorerst passé. An die Schulschließungen während der Corona-Pandemie werden sich Eltern wohl nur ungern zurückerinnern. Nun ist es an der Zeit, Bilanz zu ziehen. Denn was einige Elternteile wohl schon länger geahnt haben, wurde nun bestätigt: Die Pandemie hat langanhaltende Spuren im deutschen Bildungssystem hinterlassen. Besonders für Kinder, deren Eltern nicht in Deutschland geboren sind, war diese Zeit schwer. Wie der Bildungstrend des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) der Humboldt Uni zu Berlin belegt, sind sie besonders stark von Bildungsrückständen betroffen.
Im Bundesvergleich verdeutlicht die Studie außerdem, wie sehr sich die Leistungen und Lernkompetenzen von Viertklässlern im Zeitraum von fünf Jahren verschlechtert haben. In allen untersuchten Fächern ist ein Leistungsabfall im Schnitt zwischen acht bis zehn Prozent zu beobachten. Gleichzeitig hat der Anteil der Kinder, die am Ende der vierten Klasse den Mindeststandard an Lernkompetenzen verfehlen, deutlich zugenommen.
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Soziale Ungleichheit verstärkt Rückstände – Bildungslücken kaum aufzuholen

Immer mehr Grundschüler haben gravierende Probleme beim Rechnen, Schreiben und Zuhören. Schulschließungen und Homeschooling haben diesen Umstand vermutlich weiter verstärkt. Der IQB-Bildungstrend verdeutlicht aber auch enorme Unterschiede zwischen Herkunft und sozioökonomischer Stellung. Demnach müssten Kinder, deren Eltern nicht aus Deutschland stammen statistisch gesehen fast 15 Monate länger zur Schule gehen, um allein Rückstände in Mathematik aufzuholen. Zum Vergleich: Im Jahr 2016 waren es etwas mehr als zehn Monate. Kinder von Eltern, die in Deutschland geboren sind, benötigen laut Studie schätzungsweise nur 8,5 Wochen um einen Rückstand in Mathematik aufzuholen.

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In Hinblick auf die Lese- und Rechenkompetenzen lässt sich der Leistungsabfall durch die stetig größer werdende soziale Schere begründen. Das wird insbesondere bei der Verfügbarkeit von Büchern mit Lehrcharakter deutlich. Je mehr Bücher in einem Haushalt vorhanden sind, desto besser fallen die Kompetenzen eines Schülers aus. Wenn Familien mehr als 100 Bücher zu Hause haben, kann das sogar einen deutlichen Vorteil gegenüber Mitschülern bedeuten. Nach Angaben der IQB-Studie haben Kinder bücherreicher Familien sogar einen Lernvorsprung von sechs Wochen. Im Gegensatz dazu kann der Rückstand allerdings circa neun Monate betragen, wenn Eltern weniger als 100 Bücher mit Lehrinhalt besitzen.

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Die üblichen Schlusslichter: Berlin, Brandenburg und Bremen

  • Während im Südwesten Deutschlands fast jedes fünfte Kind die Mindeststandards in Deutsch und Mathematik nicht schafft, sind die Zahlen in Berlin, Brandenburg und Bremen erheblich höher.

  • Besonders Bremen schneidet, wie schon 2016, in fast allen Kompetenzbereichen am schlechtesten ab.

  • Viertklässler in Berlin, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen verbuchen allerdings ebenfalls Werte, die in allen Kategorien deutlich unter dem Bundes-Durchschnitt liegen.

  • In Berlin erreichen Schüler die Regelstandards noch deutlich seltener als 2016 und verfehlen die Mindeststandards sogar häufiger als in anderen Bundesländern.

Trotz starker Rückgänge: Bayern und Sachsen Spitzenreiter

Grundsätzlich hat aber jedes Bundesland mit deutlichen Bildungsrückgängen zu kämpfen. Besonders „gut“ schnitten allerdings Schülerinnen und Schüler aus Bayern und Sachsen ab. In den Fähigkeitsbereichen Lesen, Zuhören, Rechtschreibung und Mathematik erreichten in der Regel mehr als 60 Prozent der Schüler aus Bayern den Regelstandard. Damit verbucht das Bundesland zusammen mit Sachsen in nahezu jeder getesteten Kategorie das beste Ergebnis. Grund zur Freude bieten diese Ergebnisse im bundesweiten Vergleich allerdings kaum.

Die Studie zeigt ein Problem, das schon länger bekannt ist. Die Lücken werden immer größer und die Pandemie hat diesen Trend vermutlich sogar noch deutlich verschärft. Lösungen sind aber vorerst keine in Sicht. Ohne gezielte Aufholprogramme sind die Bildungsrückstände wohl nicht mehr zu kompensieren. Weitere Schulschließungen könnten die Lernrückstände daher sogar noch verstärken.

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Die wichtigsten Fakten zur IQB-Studie:

  • Seit 2011 erfasst die Studie im Fünf-Jahres-Takt bundesweite Ergebnisse zu Bildungstrends

  • Der Fokus der Tests ist auf die Fähigkeiten Rechtschreibung, Lesen, Zuhören und Mathematik ausgerichtet

  • Im Jahre 2021 wurden knapp 27.000 Schülerinnen und Schüler von über 1400 Schulen getestet

  • Für die Auswertung der Ergebnisse wird ein einheitlicher Score errechnet

  • Der Score lag im Jahr 2011 bundesweit noch bei 500 in allen untersuchten Fächern

  • Im Jahr 2021: Kein Bundesland konnte die 500 Punkte erreichen

  • Seit 2016 untersucht die Studie erstmals die Rechtschreibfähigkeiten der Schüler

  • Lediglich für das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern liegen für das Jahr 2021 keine Ergebnisse vor. (rdr/dpa)

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