Ausbleibende Lieferungen, volle Lager Das Impfstoff-Drama um AstraZeneca

Der Krimi beginnt im Dezember. Damals, am 8.12.2020 sagte ein gewisser Ian McCubbin der Nachrichtenagentur Reuters, dass „komischerweise“ zum Beginn der britischen Impfaktion 80 Prozent des Impfstoffs gar nicht aus den britischen AstraZeneca-Werken kommt, sondern aus Fabriken der EU. McCubbin muss es wissen, denn er ist der für Herstellung zuständiger Officer in der britischen Impf-Task-Force. 80 Prozent, das sind 80 Millionen Impfstoff-Dosen – die EU selber hätte sie ein paar Wochen später gut gebrauchen können.
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Offenbar hat sich McCubbin verplappert, denn auf mehrfache Anfragen von RTL/ntv wollte er sich dazu vor unseren Kameras nicht mehr äußern. Wer in der Reuters-Meldung noch einmal nachliest, findet dort auch den Hinweis, dass die EU-Werke in Deutschland und den Niederlanden stehen. In den Niederlanden – das kann nur das Werk von Halix in Leiden sein, eine gute halbe Stunde südwestlich von Amsterdam. Dahinter steckt, wie der Spiegel recherchiert hat, ein verschwiegener deutscher Patriarch, Walter Droege mit seinem Düsseldorfer Beratungs- und Investmentunternehmen Droege Group.

Und genau dieses Werk taucht auch immer wieder auf, wenn man wissen will, was es mit dem Impfstoff-Massenfund von Anagni, zwischen Rom und Neapel, auf sich hat. 29 Millionen dringend benötigte Dosen AstraZeneca stapeln sich da im Abfüllwerk von Catalent. Wo kommen die her, wo sollen die hin? In einer seltenen Pressemitteilung teilt AstraZeneca mit: „Der Impfstoff wurde außerhalb der EU hergestellt.“ Und dann weiter: „Knapp 10 Millionen Dosen werden in der letzten Märzwoche an die EU-Länder geliefert.“ Weitere gut sechs Millionen sollen im April folgen. So sehr das, die dringend auf Impfstoff wartenden EU-Bürger freuen würde, diese Aussage ist nicht plausibel.

EU-AstraZeneca-Vertrag liegt RTL vor

Für die Belieferung der EU sind in dem Vertrag mit AstraZeneca, der RTL/ntv ungeschwärzt vorliegt, lediglich fünf Werke genannt, aus denen die EU beliefert werden darf. Und wenn die in Italien gefundenen Chargen aus nicht EU Ländern stammen und in Teilen in die EU sollen, kommen nur drei Werke in Frage: Zwei in Großbritannien, eines in den USA. Beide, die USA und am Donnerstag auch der britische Gesundheitsminister haben aber sehr deutlich gemacht, dass sie keinen Impfstoff an die EU liefern. Irgendetwas stimmt also nicht.

Das bestätigen viele in Brüssel, die vermuten, dass große Teile des in Italien gefundenen Impfstoffes in Wahrheit für Großbritannien bestimmt sind und dass er – da schließt sich der Kreis – aus jenem Werk in Leiden, 40 Minuten von Amsterdam stammen. Das würde auch erklären, warum AstraZeneca für diese niederländische Produktionsstätte über Monate keine Genehmigung bei der europäischen Gesundheits Agentur, EMA gestellt hat. Damit war nämlich gesichert, dass Impfdosen aus diesem Werk in der EU nicht verwendet werden dürfen und damit für den Export nach Groß Britannien zur Verfügung stehen.

Seit Dezember waren das pro Monat immerhin fast 5 Millionen Dosen. Es würde in das schwer durchschaubare Geschäftsgebaren des britisch-schwedischen Konzerns passen, der bei Produktionsproblemen immer nur bei Lieferungen an die EU gekürzt hat, aber nie bei denen nach Großbritannien.

AstraZeneca: Neue Produktionsstätte - jetzt mehr Impfstoff für die EU?

„Die mauern“, hört man aus den Abgeordnetenbüros des EU-Parlaments, wo sich der Ärger über AstraZeneca immer mehr aufschaukelt. „Da passt vieles nicht zusammen, es riecht nach einem Skandal“, sagen andere.

Immerhin: Am Mittwoch hat AstraZeneca nun doch einen Zulassungsantrag gestellt und noch am Freitag wurde er von der EU bewilligt. Damit gibt es dann neben dem störanfälligen Werk in Seneffe, Belgien zumindest eine weitere EU-Produktionsstätte und zumindest eine Chance, dass der Konzern seinen Lieferrückstand verringern kann. Bis Ende März waren für die EU 120 Millionen Dosen vereinbart, geliefert werden wohl nicht einmal 30 Millionen. Ansonsten dürfte sich AstraZeneca von seinem Imageschaden nur schwer erholen.