Untergegangene Siedlung Rungholt

Forscher buddeln norddeutsches Atlantis aus

Archäologen untersuchen untergegangenen Handelsplatz Rungholt
Archäologen untersuchen Erdproben im schleswig-holsteinischen Nordstrand.
dpa

Unter dem Wattboden ist die Zeit eingefroren!
Seit Jahrhunderten beflügelt der Ort Rungholt die Fantasie – versunken im Meer, wie das mythische Inselreich Atlantis. Eine verheerende Sturmflut reißt den einstigen Handelsort in die Nordsee. Im Watt legen Forscher jetzt Teile der untergegangenen Siedlung frei.

Siedlung ist mehrere hundert Jahre alt

Eigentlich ist vor Nordstrand in Schleswig-Holstein nichts als Watt, so sieht es zumindest aus. Doch wirklich spannend wird es für die Forscher unter der Oberfläche. Etwa einen halben Meter tief haben Archäologe Bente Sven Majchczack und seine Kollegen hier den versunkenen Ort Rungholt entdeckt. Der Forscher vom Exzellenzcluster Roots der Kieler Christian-Albrechts-Universität hat im Frühjahr die Überreste einer Kirche nahe der Hallig Südfall lokalisiert.

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Als der Handelsplatz im Jahr 1362 Opfer einer schlimmen Sturmflut wird, geht auch das Gotteshaus in der Nordsee unter. Für die Wissenschaftler ist die Ausgrabung im Watt besonders spannend – wegen der einzigartigen Erhaltungsbedingungen. „Klassische Ausgrabungen auf großer Fläche sind halt nicht möglich”, erklärt Majchczack im Interview mit RTL. Lange Wege zur Ausgrabungsstelle sowie die Gezeiten machen es den Forschern bei der Arbeit schwer. „Dafür finden wir dort aber gut erhaltene mittelalterliche Strukturen aus einer einheitlichen Zeit, die 1362 quasi eingefroren wurden.” Und Rungholt habe als symbolischer Ort für die mittelalterlichen Landverluste eine besondere Bedeutung für die Region.

Im Video: Schafe stecken fest – Rettungsaktion im Watt

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Raue Geburtsstunde: Heutiges Nordfriesland entsteht durch schwere Sturmflut

Rungholt ist im ausgehenden Mittelalter eine Siedlung im schleswig-holsteinischen Wattenmeer nahe Nordstrand und der Hallig Südfall. Die unter dem Namen Grote Mandränke bekannte Sturmflut, lässt den Handelsort in der Nordsee versinken. Dieses Ereignis gilt bei den Wissenschaftlern als Geburtsstunde Nordfrieslands in seiner heutigen Form.

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Die Sturmflut trennt Halbinseln vom Festland und verpasst der damaligen Insel Strand einen Keil. Dieser wurde 1634 nach einer weiteren schweren Flut endgültig zerschlagen. „Seitdem gibt es dort die Insel Pellworm, die heutige Halbinsel Nordstrand und die Hallig Nordstrandischmoor”, so Majchczack. Mehr ist nicht geblieben, alles andere sei heute Wattenmeer.

Forscher: „Man kratzt die letzten Informationen aus dem Boden”

Archäologen untersuchen untergegangenen Handelsplatz Rungholt
Bei ihren Grabungen finden die Forscher zahlreiche Hinweise auf das Leben in der einstigen Siedlung, darunter auch Schmuck.
dpa

Mehr als zehn Quadratkilometer Watt suchen die Wissenschaftler nach dem sagenumwobenen Rungholt ab. Durch Bodenmessungen stoßen sie im vergangenen Jahr schließlich auf mehrere mittelalterliche Wohnhügel, mit der Kirche als Mittelpunkt.

Nach Grabungen sind Majchczack und sein Team sicher: Sie haben Rungholt gefunden. Nur einen halben Meter unter der Wattoberfläche wechselt die Farbe des Untergrunds vom typischen Grau zu einem roten Ton – es ist das Fundament der einstigen Kirche. Aus den wenigen Informationen, die es im Watt noch gibt, versuchen die Forscher ein vollständiges Bild über das Leben in dem einstigen Handelsort zu bekommen. Aus dem Forscher-Team erklärt Geophysiker Dennis Wilken von der Uni Kiel: „Man kratzt hier die letzten Informationen aus dem Boden, die man noch haben kann – im wahrsten Sinne des Wortes.”

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Auch 800 Jahre später - Probleme an der Küste bleiben die gleichen

Für Archäologe Bente Sven Majchczack ist das versunkene Rungholt vor allem eins: eine Mahnung! „Wenn man hier lebt in dieser Landschaft, dann muss man sich wirklich darum kümmern, dass hier alles passt mit dem Meer, mit dem Sturm und den Gezeiten”, sagt der Forscher. „Das Problem ist ja heute das Gleiche wie vor 800 Jahren.” (okr mit dpa)