Eine Infektion kann zu dauerhaften Lähmungen führenGefährliche Viren im Abwasser gefunden – kommt diese Krankheit zurück nach Deutschland?

Das Ministerium rät, den eigenen Impfschutz und den von Kindern zu checken (Symbolbild).
Im Abwasser verschiedener Städte ist eine hohe Konzentration an Polio-Viren nachgewiesen worden. (Symbolbild)
Julian Stratenschulte/dpa

Diese Kinderkrankheit ist alles andere als harmlos!
In Proben aus dem Abwasser vier deutscher Städte sind nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) Polio-Viren nachgewiesen worden. Betroffen seien München, Bonn, Köln und Hamburg. Bisher wurden keine Polio-Verdachtsfälle oder -Erkrankungen an das Bundesinstitut übermittelt. Es gibt jedoch auch gute Nachrichten.

Erkrankungen auch in Deutschland möglich

Bei den gefundenen Erregern handelt es sich nicht um den Wildtyp des Poliovirus, sondern um Viren, die auf die Schluckimpfung gegen Kinderlähmung mit abgeschwächten, aber lebenden Polio-Erregern zurückgehen.

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Die kursierenden Erreger wurden wahrscheinlich von Menschen eingeschleppt, die in ihrem Land die vor allem in Afrika und Asien noch weit verbreitete Schluckimpfung erhalten haben. Die Viren können von Geimpften bis zu sechs Wochen lang ausgeschieden werden.

Ganz ungefährlich sind die Viren im Abwasser nicht, wie Allgemeinmediziner Dr. Christoph Specht im RTL-Interview erklärt. Denn: „Dieses Virus kann sich in ganz seltenen Fällen wieder zum gefährlichen Virus zurückentwickeln“, sagt er. Eine Epidemie haben wir zwar nicht zu befürchten, doch Menschen ohne ausreichend Schutz können sich anstecken. „Und das ist eine ernstzunehmende Erkrankung“, so Specht.

Impfung ist das A und O

Die Wahrscheinlichkeit, dass sich viele Menschen hierzulande anstecken, sei aber aufgrund der allgemein hohen Impfquoten von bundesweit 90 Prozent und guten Hygienebedingungen in Deutschland gering, schreibt das RKI. Dennoch könnten sich vor allem die Kleinsten anstecken. Denn vollständig mit Polio durchgeimpft sind nur 21 Prozent der Kinder – obwohl die Impfung das einzige ist, was gegen Polio schützt.

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Woher kommt diese geringe Impfbereitschaft? „Wir haben schon immer Impfskeptiker gehabt“, erklärt Specht, „das ist aber nochmal mehr geworden während der Corona-Maßnahmen. Da ist viel Vertrauensporzellan zerschlagen worden.“ Das werde leider von vielen auf alle Impfungen übertragen, was ein großer Fehler sei. „Die klassischen Impfungen, von denen Polio eine ist, sollte man schon ernst nehmen“, sagt er deutlich.

Um das Vertrauen zurückzuerlangen und wieder mehr Menschen zur Impfung zu bewegen, empfiehlt er eine offene Kommunikation. „Wir sollten offen kommunizieren und sagen, wie hoch das Risiko ist.“ Sowohl von der Impfung als auch von der Krankheit. „Die Impfung ist die einzige Möglichkeit, sich zu schützen“, wiederholt Specht.

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Kontakt früher meistens im Kindesalter

Poliomyelitis ist eine hochansteckende Krankheit, die bei nicht ausreichend immunisierten Menschen zu dauerhaften Lähmungen führen kann. Bestehende Impflücken sollten geschlossen werden, rät das RKI. Medizinisches Personal und Mitarbeitende im öffentlichen Gesundheitsdienst sollten jetzt eine erhöhte Wachsamkeit bei Poliomyelitis-typischen Symptomen haben.

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Erhält jemand die Schluckimpfung, können sowohl der Impfling selbst als auch Kontaktpersonen – in sehr seltenen Fällen - an sogenannter Impf-Polio erkranken. Die Symptome sind von Polio durch Wildviren nicht zu unterscheiden. Eine fortlaufende Vermehrung der Impfviren birgt das Risiko, dass der abgeschwächte Erreger sich verändert und das Nervensystem zu infizieren vermag – mit den poliotypischen Lähmungen als mögliche Folge.

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Polio wird auch Kinderlähmung genannt, weil der Erreger einst so verbreitet war, dass der Kontakt damit meist schon im Kindesalter erfolgte. Vor allem Kleinkinder waren von den poliotypischen Lähmungen betroffen – meist mit bleibenden Schäden fürs ganze Leben. Eine Therapie gibt es bisher nicht. (dpa/eon/jbü)