GdB und Schwerbehinderung
Könntet ihr einen Schwerbehindertenausweis bekommen? So findet ihr es heraus
Manchmal kann sich der Kampf durch die Bürokratie lohnen!
Viele Menschen mit chronischen Erkrankungen oder Behinderungen lassen Ihre Behinderung nicht anerkennen. Dabei bringt das in vielen Fällen Vorteile, selbst wenn es nicht für einen Schwerbehindertenausweis reicht. Hier erfahrt ihr, für wen es Sinn macht und wie man am besten vorgeht.
Viele wissen nicht, dass ihre Erkrankung als Behinderung gilt
Hättet ihr es gewusst? „Nur ein Prozent der Behinderungen sind angeboren. Viele entstehen im Laufe des Lebens, manchmal sogar im Job“, weiß Regina Escher, Konzernvertrauensperson bei RTL. Wer eine gesicherte Diagnose vom Arzt hat, weiß noch längst nicht, dass er oder sie auch einen Antrag auf Anerkennung einer Behinderung stellen könnte – gerade bei nicht sichtbaren Krankheiten wie Depressionen, Diabetes oder Endometriose. Fragt also beim Mediziner Ihres Vertrauens nach oder schaut im Internet. Bei Sozialverbänden wie dem VdK gibt es Listen, die Aufschluss geben, welche Krankheiten dazugehören. Und selbst Menschen, die um ihre Behinderung wissen, stellen oft den Antrag nicht – zum Beispiel, weil sie Angst vor dem Papierkram haben.
Vorteile durch Anerkennung einer Behinderung
Dabei kann die Anerkennung eines Grads der Behinderung (GdB) Vorteile haben. Ab einem GdB von 50 wird ein Schwerbehindertenausweis ausgestellt. Ist dieser das ganze Jahr über gültig, haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unter anderem
Steuerfreibeträge bis zu 2.840 € und die Möglichkeit, krankheitsbedingte Kosten von der Steuer in Abzug zu bringen
einen besonderen Kündigungsschutz, der Kündigungen nicht verhindert, aber eine Kündigung, die im Zusammenhang mit der Behinderung steht, erschwert
die Möglichkeit, zwei Jahre früher in Rente zu gehen, wenn sie 35 Jahre in die Rentenversicherung eingezahlt haben
fünf Tage mehr Jahresurlaub bei einer Fünftagewoche
Oft sind die Ausweise befristet. Warum das so ist und welchen Fehler ihr auf keinen Fall machen solltet, verrät Regina Escher im Video.
Auch ohne Schwerbehindertenausweis kann der Antrag Sinn machen
Menschen mit einem GdB zwischen 30 und 50 können bei der örtlichen Arbeitsagentur die Gleichstellung mit Schwerbehinderten beantragen, um Nachteile auf dem Arbeitsmarkt auszugleichen. Zusätzliche Urlaubstage bekommen sie aber nicht. Lasst euch auch hier von einem Sozialverband oder der Schwerbehindertenvertretung eures Unternehmens beraten – auch wie ihr vorgeht, falls ihr bei einer Ablehnung Widerspruch einlegen müsstet.
Ab einem GdB von 20 kann man immerhin noch einen Pauschbetrag bei der Steuer ansetzen, beginnend bei 384 € pro Jahr.
Wie stellt man einen Antrag auf Anerkennung der Behinderung?
Die wichtigsten Tipps, wenn ihr euch fragt, ob ihr behindert sein könntet:
Es schadet auf jeden Fall nicht, einen Antrag zu stellen.
Jedes Bundesland hat eigene Antragsformulare, die ihr hier herunterladen könnt.
Der Antrag muss gut vorbereitet werden. Dabei kann die Schwerbehindertenvertretung eures Unternehmens helfen oder ein Sozialverband. Sie kennen die Fallstricke, die es zu vermeiden gilt – auch bei Verschlimmerungsanträgen.
Ihr braucht gute medizinische Unterstützung durch Ärzte mit validen Diagnosen – hebt also Arztberichte gut auf.
Lasst euch in der Arztpraxis nicht abwimmeln.
Entbindet eure Ärzte von der Schweigepflicht.
Ganz wichtig: Tragt nicht nur die Diagnose(n) der Ärzte im Online-Formular ein, sondern schildert unbedingt auch selbst auf einem separaten Blatt, in welchem Maß euch die Krankheit in eurem Alltag einschränkt.
Solltet ihr eine Ablehnung erhalten oder der GdB nicht dem entsprechen, was ihr erwartet habt, lohnt es sich, über einen fristgerechten Widerspruch nachzudenken.
Wichtigster Punkt: „Einschränkungen im Alltag“ – wie formuliert man das?
Regina Escher: „Die Felder im Antragsformular sind so klein, dass eine ausführliche Beschreibung gar nicht reinpasst. Fügt unbedingt ein Zusatzblatt hinzu und schildert, wie genau euch die Erkrankung in Ihrem täglichen Leben beeinträchtigt.“ Am besten im betreffenden Formular-Feld auf das Zusatzblatt/die Zusatzblätter verweisen.
Beim Formulieren lohnt es sich, die Perspektive der anderen Seite einzunehmen. „Denkt daran, dass der Sachbearbeiter im Amt euch nicht kennt. Er liest am Tag hunderte Diagnosen“, erläutert Regina Escher und rät, den Text so konkret zu formulieren, dass er den Bearbeiter anspricht und motiviert, genau hinzuschauen.
„Wenn ihr Diabetes haben, beschreibt nicht nur, wie aufwändig es ist und welche Hilfsmittel ihr nutzt, um Ihren Blutzucker in Schach zu halten, sondern auch, dass ihr niemals spontan mit Freunden essen gehen können, sondern dann im Restaurant zuschauen müssen“, rät Regina Escher und fügt an: „Wenn ihr den Antrag wegen einer Depression stellen, schreibt, dass ihr euch morgens nach dem Aufwachen im Wohnzimmer wieder hinlegen müsst, dass ihr es nicht schaffen, den im Weg liegenden Staubsauger aus dem Weg räumen. Wirklich so detailliert.“
Es gibt Tabellen, in denen ihr nachschauen könnt, welchen Grad der Behinderung ihr ungefähr erwarten könnt. Achtung: Das sind nur Richtwerte, die von Entscheider zu Entscheider auch variieren können. Wichtig zu wissen: Die Einzel-GdBs werden nicht addiert, sondern der Gutachter legt einen Gesamt-GdB fest. Dennoch lohnt sich ein Blick in die Tabellen, um einzuschätzen, ob ein Widerspruch sich lohnt.