Experten raten zu Vorsicht und VorbereitungDroht eine Vogelgrippe-Pandemie? „Potenzial ist da - und dann wird es sehr unangenehm”

Wird H5N1 schlimmer als Corona?
Star-Virologe Christian Drosten mutmaßt, dass die Vogelgrippe die nächste Pandemie werden könnte. Das Virus habe sich neue Infektionswege erschlossen. Wie es weitergeht? Unklar, so Drosten. Wie schätzen andere Epidemiologen die Lage ein? Müssen wir uns tatsächlich Sorgen machen, dass alles bald wieder „von vorne“ losgeht? RTL hat bei Epidemiologe Professor Dr. Timo Ulrichs nachgefragt.
Neuer Infektionsmechanismus
Das will wohl niemand von uns hören: Christan Drosten fürchtet, dass das Vogelgrippevirus H5N1 der nächste Pandemie-Kandidat wird. Der Grund? Das Virus kommt seit einigen Monaten auch bei Kühen vor, mindestens ein Mensch hat sich bereits auf diesem Weg angesteckt. Damit gibt es einen neuen Infektionsmechanismus, was Drosten besorgt. Er sagt: „Im Moment kann man gar nicht abschätzen, was das hinsichtlich der Eindämmung und der potenziellen Gefahr für den Menschen bedeutet.”
Ausführliche Infos dazu findet ihr hier: Christian Drosten schlägt Alarm! Star-Virologe warnt bereits vor nächster Pandemie
Welche Risiken würde eine solche Pandemie mit sich bringen? Und wie groß ist das Risiko wirklich? Antworten hat Epidemiologe Professor Timo Ulrichs.
Timo Ulrichs: „Halte die Vogelgrippe für einen neuen Pandemie-Kandidaten“
Doch für wie wahrscheinlich hält der Epidemiologe eine Vogelgrippe-Pandemie?
„Ich halte die Vogelgrippe für einen neuen Pandemie-Kandidaten. Die Vogelgrippe ist in Südostasien schon lange endemisch. Menschen, die eng mit ihren Hühnern zusammenwohnen, können sich direkt mit H5N1 infizieren und dann auch tatsächlich stärkere Erkrankungen bekommen. Wenn Menschen erkranken, ist die Letalität (Sterblichkeit) viel höher als bei der Corona-Pandemie. Hier liegt die Überlebenschance lediglich bei 50 Prozent und das macht die Vogelgrippe beim Menschen so gefährlich“, erklärt der Experte im RTL-Interview.
Die aktuellen Warnzeichen, die Ulrichs als gefährlich einschätzt, seien „vielfältig”.
„Es stellt sich die Frage, ob das Vogelgrippevirus lernen kann, von Mensch zu Mensch übertragbar zu werden, also den Menschen als neuen Wirtsorganismus übernehmen kann. Jetzt haben wir gerade einige Anzeichen dafür, dass sich das Virus dynamisch verändert, sich bei Kühen zeigt sowie in anderen Weltregionen, wie aktuell in den USA auftritt - das sind Warnzeichen“, erklärt der Experte.
Denn: „Möglicherweise gibt es also bei der Übertragung noch weitere Wege als vom Geflügel auf den Menschen. Eine Pandemie wird es, wenn das Virus von Mensch zu Mensch übertragbar wird. Das ist gerade noch nicht der Fall, doch das Potenzial ist da und dann wird es sehr unangenehm werden. Gegen eine Vogelgrippe-Pandemie nähme sich die Corona-Pandemie wie ein Spaziergang an“, schätzt Ulrichs ein.

Corona versus Vogelgrippe: Welche Parallelen gibt es?
Warum wäre eine Vogelgrippe-Pandemie anders als Corona?
„Die Parallele ist ganz klar vorhanden, aber erst, wenn das Vogelgrippe-Virus von Mensch zu Mensch übertragbar ist. Durch die aktuelle Dynamik erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass das Vogelgrippe-Virus auch ein pandemisches Potenzial im Menschen entwickelt. Der Mensch hat keine Immunität, das wäre die Parallele zur Anfangsphase der Corona-Pandemie. Unser Immunsystem kannte Corona nicht, und deswegen konnte es sich so leicht ausbreiten. Und das könnte sich bei dem Vogelgrippe-Virus durchaus auch so entwickeln“, befürchtet der Epidemiologe.
Daher sei die Entwicklung eines Impfstoffs wichtig und es gäbe bereits entsprechende Vorkehrungen. Diese Vorbereitungen würden jedes Jahr laufen. Erprobt hätten wir dies schon mit der Entwicklung eines spezifischen Impfstoffes gegen die saisonale Influenza.
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Vogelgrippe: „Es müsste dann schnell durchgeimpft werden“
„Ein neuer Impfstoff wäre mit der mRNA-Technologie sehr schnell und effektiv möglich“, schätzt Ulrichs weiter ein. Der Impfstoff sei auch deswegen wichtig, weil Medikamente gegen die Vogelgrippe beim Menschen nicht viel ausrichten könnten.
„Angesichts der hohen Letalität und der schweren Krankheitsverläufe, die dann zu erwarten wären, ist ein neuer Impfstoff das Mittel der Wahl. Es müsste dann schnell durchgeimpft werden.“
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Vogelgrippe: Welche Rolle spielt die Herden-Immunität?
Die Vogelgrippe ist schon länger ein Thema – haben wir bereits eine Herden-Immunität?
„Die Herden-Immunität wäre unbedingt anzustreben und durch Impfung zu erreichen, wenn sich die Vogelgrippe im Menschen ausbreiten sollte. Hier müssten wir dann schnellstmöglich eine Immunität aufbauen. Denn wir können es uns nicht leisten, das Vogelgrippe-Virus einfach durchlaufen zu lassen, weil die Letalität viel zu hoch wäre. Wenn die Hälfte der Erkrankten stirbt, möchte man dieses Virus einfach nicht durchlaufen lassen“, schätzt der Experte die Lage ein.
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Vogelgrippe: „Herr Drosten hat völlig recht, davor zu warnen“
Doch wie leicht, oder auch schwer ist es aktuell, sich mit der Vogelgrippe zu infizieren?
„Gerade ist eine Ansteckung noch sehr schwer, weil die meisten Menschen keinen engen Kontakt zu infiziertem Geflügel haben. Und weil auch Kühe und Menschen eher selten nah beieinander leben. Von daher besteht hier im Moment kein erhöhtes Risiko, aber das Potenzial, dass es sich so entwickeln könnte. Deswegen hat Herr Drosten völlig recht, davor zu warnen. Es ist wichtig, dass man rechtzeitig Vorkehrungen trifft, solange die Vogelgrippe noch im Tierbereich kursiert“, so der Experte.
Wichtig sei auch, mehr darüber zu lernen, wie sich das Vogelgrippe-Virus bei den Tieren verhält, damit wir uns adäquat dagegen schützen können, wenn die Vogelgrippe wirklich pandemisch werden sollte und von Mensch zu Mensch übertragen werden könne.
Laut Ulrichs wäre daher aktuell eine Förderung der Zoonose-Forschung wichtig - am besten in allen Bereichen. Zoonosen sind Infektionskrankheiten, die zum Beispiel von Bakterien, Parasiten, oder Viren verursacht und wechselseitig zwischen Tieren und Menschen übertragen werden können.