Vergewaltigungsprozess in FrankreichGericht zeigt erstmals Aufnahmen der Vergewaltigungen – Beobachter schämt sich, ein Mann zu sein

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Gisèle Pélicot betritt am 4. Oktober das Gericht in Avignon.
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Sie will, dass es alle sehen!
Gisèle Pélicot hat sich durchgesetzt. Fotos und Videos ihres Martyriums werden beim Massenvergewaltigungs-Prozess in Avignon nun doch der Öffentlichkeit gezeigt. Die ist schockiert, im Gerichtssaal fließen Tränen.

Aufnahmen zulässig, „wenn es um die Wahrheitsfindung geht”

Es ist eine neuerliche Zuspitzung in einem Verfahren, wie es die Welt noch nie gesehen hat. In einem Prozess um ein unvorstellbares Verbrechen. Begangen von Gisèles damaligem Ehemann Dominique Pélicot, dem Monster von Mazan. Er hat sie jahrelang unter Schlafmittel gesetzt und immer wieder vergewaltigt und vergewaltigen lassen, wie er zum Beginn des Prozesses gestand. In mindestens 92 Fällen waren weitere Männer beteiligt, gegen 51 wird in Avignon verhandelt.

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Banner mit der Aufschrift „Nicht hinter verschlossenen Tüten” an der Stadtmauer von Avignon. Viele Menschen sind wie Gisèle Pélicot der Ansicht, dass die Öffentlichkeit genau wissen soll, was ihr angetan wurde.
IMAGO/MAXPPP

Ursprünglich sollten Videos und Fotos der abscheulichen Taten nicht öffentlich gezeigt werden. Doch Gisèle Pélicot setzt sich gegen das Gericht zur Wehr, Richter Roger Arata gibt am Freitag (4. Oktober) nach. Er lässt zu, dass die Öffentlichkeit die Aufnahmen sehen darf, sofern es „um die Wahrheitsfindung geht“, wie er laut dem Magazin „Spiegel“ sagt.

Video: Mutige Gisèle bricht ihr Schweigen

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Kein Detail der Misshandlung bleibt der Kamera verborgen

Und diese Wahrheitsfindung ist nur schwer zu ertragen, wie sich bei der Fortsetzung des Prozesses am Freitag zeigt. Es ist das erste Mal, dass Prozessbeobachter anwesend sind, während Aufnahmen der Vergewaltigungen gezeigt werden. Die Atmosphäre im Gerichtssaal ist angespannt, „es ist kein Ton zu hören“, berichtet der französische TV-Sender BMTV. Eine Gerichtssprecherin hatte die Menschen im Saal kurz zuvor darüber informiert, dass es eine Übertragung geben würde. „Sensible Seelen, zögern Sie nicht, sich zu outen“, sagt sie dem Sender zufolge.

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Eine Stunde lang werden dem „atemlosen“ Publikum Aufnahmen präsentiert, die nur schwer zu ertragen sind, so BMTV. „Harte Bilder“, heißt es in dem Bericht. „Kein Detail der Misshandlung“ von Gisèle Pélicot bleibt der Kamera ihres Mannes verborgen, nichts bleibt dem Publikum erspart. Es sieht „Weitwinkelaufnahmen einer trägen Frau“, die den Anschein erweckt, als sei sie tot. Es werden Nahaufnahmen der Geschlechtsteile gezeigt. Besonders beklemmend dem Bericht zufolge: Gisèle Pélicots Schnarchen.

Aufnahmen für viele Betrachter nur schwer zu ertragen

Nicht alle Anwesenden ertragen die Aufnahmen. Einige wenden den Blick ab, halten sich die Hände vor die Augen. Andere verlassen den Saal. Von Bild zu Bild, von Video zu Video können immer weniger Menschen hinsehen, so der Sender.

Einige Beobachterinnen und Beobachter kommen zu Wort. Sie hätte gewusst, dass es schlimm war, konnte sich aber nicht vorstellen, „wie schlimm“, sagt eine Frau namens Celine. Ihre Freundin Amanda sagt dem Sender, sie habe „nur ein paar Sekunden“ hinsehen können.

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Gisèle Pélicot erfährt große öffentliche Unterstützung. „Je suis…“, zu Deutsch, „Ich bin“ ist seit dem Anschlag auf die französische Satirezeitschrift Charlie Hebdo 2015 als Ausdruck der Solidarität weit über die Grenzen Frankreichs hinaus bekannt.
ApaydinxAlain/ABACA

„Wie können wir so bestialisch reagieren, sie benutzen wie ein Stück Fleisch?

Nur wenige Männer seien im Saal gewesen. Einer von ihnen sagt geschockt: „Wir hatten den Bericht der Anhörungen, aber die Bilder zu sehen…“ Er sei „wie bewusstlos“, fügt er an, ehe er zu weinen beginnt. Nachdem er sich mühsam gefasst hat, fragt er: „Wie können wir so bestialisch reagieren, sie benutzen wie ein Stück Fleisch?“ Dann sagt er: „Ich schäme mich, ein Mann zu sein.“ Auch Dominique Pélicot gibt vor, sich zu schämen. Das sagt er dem Sender zufolge seinem Anwalt zur Begründung, warum er die selbst gemachten Aufnahmen nicht nochmal sehen wollte.

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Dass der Bilder die Aufnahmen zur „Wahrheitsfindung“ zeigen ließ, liegt an sieben Angeklagten. Die hatten zuvor ungeachtet der Beweislast behauptet, sie hätten geglaubt, ihr Opfer würde schlafen. Andere hatten die Vergewaltigungen als eine Art „freizügiges Spiel“ bezeichnet. Ein Angeklagter gab vor, nur aus Angst vor Dominique Pélicot mitgemacht zu haben.

„Die Scham muss die Seite wechseln“

Gisèle Pélicot hat sich die Aufnahmen dem Bericht zufolge nicht erneut angesehen. Dass sie jetzt gezeigt wurden, sei ein „Sieg“ für Pélicot, sagte einer ihrer Anwälte. Er befürwortet die breite Berichterstattung. „Die öffentlichen Debatten können dazu beitragen, dass andere Frauen nicht in die Situation geraten.“

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Die Schweizer Opernsängerin Rose Marie Denise Doblies singt im Gericht, um ihre Unterstützung für Gisele Pélicot zu bekunden.
REUTERS/Manon Cruz

Seine Mandantin setzte sich von Beginn des Prozesses dafür ein, dass der Prozess nicht wie ursprünglich vorgesehen unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet. Ihr Credo: „Die Scham muss die Seite wechseln.“ Dafür wird sie regelmäßig auf dem Weg vom und zum Gerichtssaal mit Beifall bedacht.

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Sollten auch ihr unter sexueller Gewalt leiden, finden ihr Hilfe unter der kostenlosen Hotline 08000 – 116 016 oder unter www.hilfetelefon.de.