Sie wurde gehänselt und sogar bespuckt - nur weil sie anders aussieht als die anderen
Eine Körperhälfte wuchs nicht mit! Sabrina (29) durchlebte jahrelang die Hölle
von Vera Dünnwald
Als ihre Mutter mit Sabrina Hillermeier schwanger war, sah auf den Ultraschallbildern alles normal und unbedenklich aus. Die Ärzte versicherten ihr regelmäßig: Das Kind ist gesund. Als Sabrina dann vor 29 Jahren das Licht der Welt erblickte, bekam die frisch gebackene Familie dann den Schock: Sabrinas linke Körperhälfte war scheinbar nicht richtig mitgewachsen und viel kleiner als die rechte. Wie kann das sein? Die Ärzte taten sich schwer damit, die seltene Krankheit zu definieren und diagnostizierten eine Hemihypertrophie.
Die Erkrankung bestimmt seitdem Sabrinas Leben. Sie hat viel erlebt und durchmachen müssen, wurde als Jugendliche gehänselt und sogar bespuckt. Heute ist sie eine selbstbewusste junge Frau, die weiß, was sie will und worauf es im Leben wirklich ankommt. Deswegen möchte sie anderen Menschen Mut machen.
Hemihypertrophie: Der einseitige Überwuchs des Körpers
„Meine Krankheit habe ich seit meiner Geburt. Meine Mutter hat während der Schwangerschaft auf alles geachtet und es gab nie etwas, wo man hätte drauf schließen können, dass mit mir etwas nicht stimmt“, erzählt Sabrina Hillermeier aus Ansbach im RTL-Interview. „Als ich dann zur Welt kam, hat man sofort gesehen, dass mein linkes Bein sieben Zentimeter kürzer war als mein rechtes. Auch mein Kopf war unförmig. Aber keiner wusste, woher das kommt und was das ist.“
Als sie klein war, begann die Ärzte-Odyssee: „Ich musste in alle möglichen Kinderkliniken, jeder Arzt wollte herausfinden, was mit mir los ist. Es wurde immer dasselbe gefragt, ob während der Schwangerschaft etwas passiert ist.“ Wenn sie heute an die Zeit zurückdenkt, sagt sie: „Ich habe mich schon manchmal gefühlt wie ein Versuchskaninchen.“
Schließlich erhielt sie die Diagnose Hemihypertrophie. Doch so richtig zufrieden ist sie damit bis heute nicht, denn darunter versteht man eigentlich einen einseitigen Überwuchs des Körpers: „Eigentlich ist damit gemein, dass eine Körperhälfte größer gewachsen ist, als die andere. Bei mir ist das aber ja eigentlich genau andersherum. Aber genau so steht es eben in all meinen Unterlagen.“
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Sabrina Hillermeier ist fast blind, taub und gehbehindert
Über die Jahre glich sich die kleinere Körperhälfte immer weiter an – aber noch immer sieht der jungen Frau ihre die Krankheit an: „Ich habe eine schiefe Nase und ein hängendes, schiefes Auge. Meine linke Gesichtshälfte sieht schmaler und eingefallener aus. Auch mein Mund ist viel zu klein, wodurch ganz viele meiner Zähne kaputt gegangen sind. Die mussten mir dann als Kind schon entfernt werden.“ Die 29-Jährige hat links mittlerweile gar keine Zähne mehr und ist es gewohnt, ihr Essen nur auf ihrer rechten Seite zu kauen. „Später hat man dann sogar festgestellt, dass auf der linken Seite auch gar keine richtigen Zähne angelegt waren. Kein Wunder also, dass nach den Milchzähnen nichts mehr kam.“
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Auf ihrem linken Auge ist Sabrina Hillermeier seit ihrer Geburt blind; ihre Pupille ist schief. „Ich habe schon häufig danach gefragt, ob man das nicht optisch korrigieren könnte, weil ich mich damit oft unwohl gefühlt habe. Aber da wurde mir von den Ärzten immer nur gesagt, dass das nicht zu empfehlen wäre.“ Der Grund: Weil sie auf dem betroffenen Auge nicht richtig blinzeln kann und es einfach nicht so angelegt ist, wie das gesunde, rechte Auge, würde es sich nach einer Korrektur wieder von selbst verschieben. Auch ihr linkes Ohr ist beeinträchtigt: „Da höre ich so gut wie nichts mehr und bin quasi taub. Seit kurzem habe ich aber zum Glück ein Hörgerät, was mir ein Stück Lebensqualität zurückgibt.“
Dass Sabrina auch geistig behindert ist, also dass auch ihre linke Hirnhälfte beeinträchtigt ist, ist nicht der Fall, wie sie im RTL-Interview weiter erzählt: „Das ist ausgeschlossen. Ich bin ‘nur’ körperlich behindert. Ich habe einen Schwerbehindertenausweis und gelte als gehbehindert. Ich kann nämlich meinen linken Fuß nicht richtig anheben und ziehe ihn meist hinter mir her. Leider kommt es dann auch öfter mal vor, dass ich hinfalle.“
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Beinchen gestellt, als sie auf Krücken gehen musste: Die Schulzeit war für Sabrina die absolute Hölle
Als Sabrina in der neunten Klasse war, unterzog sie sich einer Operation, die ihr verkürztes Bein angleichen sollte: „Mein Bein, das eigentlich sieben Zentimeter kürzer war, als das andere, habe ich mir verlängern lassen.“ Sie sagt, dass das eine schmerzhafte aber auch spannende Erfahrung war: „Ich musste ein halbes Jahr lang im Bett liegen. Aber die Prozedur wurde sogar fotografiert und dokumentiert und ist jetzt in Lehrbüchern zu finden.“
Je älter sie wurde, desto bewusster wurde ihr, dass sie anders aussieht als all die anderen: „Man sieht sich ja im Spiegel und merkt, dass man keinen normalen Körperbau hat. Gerade als Mädchen, als Jugendliche, wo man sich hübsch machen will, fortgehen will.“ Das habe alles schon sehr an ihrem Selbstbewusstsein genagt, erzählt sie.
Ohnehin geplagt von starken Selbstzweifeln, durchlebte Sabrina als Jugendliche dann auch noch die „absolute Hölle“: „Ich wurde während der Schulzeit gehänselt, ausgelacht und sogar bespuckt. Als ich – wegen meiner Bein-OP – eine Zeitlang auf Krücken gehen musste, haben mir die anderen ein Beinchen gestellt.“
Eine echte Stütze waren ihr während der Zeit ihre Schwester und ihre Mutter: „Meine Schwester ist zwar jünger als ich, aber sie hat irgendwann die Beschützerrolle eingenommen und mich auch in der Schule unterstützt. Wenn mir irgendwer blöd gekommen ist, ist sie sofort dagegen angekommen, genau wie meine Mutter im späteren Leben.“
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"Ich kann mich ja auch nicht operieren lassen, nur um andere Menschen glücklich zu machen"
Heute, mit 29 Jahren, hat Sabrina Hillermeier gelernt, mit ihrer Krankheit und ihrem Anderssein umzugehen: „An manchen Tagen klappt’s ganz gut. Aber an manchen Tagen wiederum hab ich das Gefühl, man schaut mich an. Viele Menschen sind einfach nicht offen dafür, dass jemand anders aussieht, das merkt man.“ Besonders schockierend: Wegen ihres Aussehens wurde sie sogar schon mal von einem Fremden gefragt, ob sie einen Autofall hatte. „Es ist einfach etwas, das man nicht los wird.“ Manchmal, so sagt sie, wäre Sabrina gerne wie jeder andere auch. Recht häufig denke sie, sie müsse sich anpassen. „Aber das wären dann wieder Operationen, die ich weder brauche noch haben will. Und ich kann mich ja auch nicht operieren lassen, nur um andere Menschen glücklich zu machen.“
Bis sie so über sich denken konnte, hat es lange gedauert. „Ich habe früher viel geweint. Mittlerweile weiß ich aber, dass ich gut so bin, wie ich bin. Wer mich nicht so akzeptiert, wie ich bin, der hat in meinem Leben auch keine Priorität.“ Mittlerweile sei es ihr sogar egal, ob sie schief angeschaut wird: „Da denke ich mir: Na und? Kein Mensch ist perfekt!“ Sabrina geht raus, hat Spaß, ist unterwegs und lebt das Leben einer 29-Jährigen – auch wenn sie durch ihre Hemihypertrophie mittlerweile auch noch zusätzliche Krankheiten hat: „Ich habe Diabetes Typ 1, Asthma, Skoliose – viel zu viele Baustellen, weswegen ich auch nicht arbeiten kann.“
Doch trotzdem lässt sie sich nicht unterkriegen; möchte anderen Mut machen: „Ich wünschte manchmal, mir würde nur dies oder jenes wehtun. Aber dann merke ich: Es gibt immer schlimmere Sachen im Leben. Es gibt immer Leute, die noch schlimmer dran sind, als ich. Also wieso sollte ich jammern?“