Vom Rausch in den Tod
RTL-Reporter trifft cracksüchtige Hulio: „Ich werde sie wohl nie vergessen!“
Unterwegs in einem der wohl bedrückendsten Crack-Hotspots Deutschlands.
Es ist ein sonniger, heller Freitag. Ich bin am Worringer Platz in Düsseldorf unterwegs. In einer Seitenstraße steht eine Gruppe von Menschen um eine Bank herum, etwa zwanzig Männer und Frauen. Eine von ihnen ist Hulio, vielleicht Anfang 20. Sie kommt auf mich zu, traurig, schwankend. Rosa Mütze, leerer Blick. Ich werde sie wohl nie vergessen.
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So klar und trotzdem zerstört: Hulio ist eine von vielen Crack-Abhängigen am Worringer Platz in Düsseldorf

Umständlich beißt sie in ihr Schrotbrot mit Gouda. Warum sie Hulio heißt, will ich wissen. Ein Spitzname, sagt sie. Er sei besser als der, der ihr irgendjemand bei der Geburt gegeben habe. Sie fühle sich klar, obwohl sie Crack genommen habe, berichtet sie. Hulio erzählt mir von der Energie und der Euphorie, die sie im Rausch spürt. Von der Gier. „Beim ersten Mal wusste ich überhaupt nicht, was das ist“, sagt sie und lacht.
Dann erklärt Hulio, warum sie überhaupt mit mir, dem Reporter spricht: „Ich versuche, dass vielleicht ein bisschen mehr Verständnis herrscht, dass die Leute uns nicht alle abstempeln und nicht sagen: ‘Hey, das sind voll die doofen Junkies, die hängen alle in der Ecke.’ Sondern das sind alles Menschen!“ Ihre Sätze beeindrucken mich. Und sie erschüttern mich gleichzeitig. Eine junge Frau, so klar, und trotzdem so zerstört.
Hulio ist eine von unzähligen Crack-Konsumenten, hier am Worringer Platz. Nein, in Düsseldorf, Nein, in Deutschland. Es gibt keine offiziellen Zahlen, aber in nahezu allen Großstädten berichten Beratungsstellen von einem dramatischen Anstieg der Horrordroge.
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Horrordroge Crack boomt und ist eine tödliche Gefahr
In Düsseldorf gibt es einen Konsumraum, in dem Menschen legal Crack rauchen dürfen. Patrick Pincus arbeitet bei der Drogenhilfe, und auch er bestätigt mir: 2016 waren es einige hundert Konsumvorgänge. Im vergangenen Jahr: knapp 32.000. Es ist offensichtlich: Die Horrordroge boomt.
Crack ist eine rauchbare Form von Kokain. Das Pulver, also das Kokainsalz, wird mit Natron aufgekocht und getrocknet. Den Crackstein, der entsteht, raucht man in der Pfeife. Innerhalb von acht bis zehn Sekunden kann die Droge wirken, nach frühestens zehn Minuten lässt der Trip üblicherweise nach. Experten sind sich einig: von keiner anderen Droge kann man schneller psychisch abhängig werden als von Crack. Sie ist eine tödliche Gefahr.
An Hulios Hand baumelt eine schwarze Lederhandtasche, die viel zu groß ist. Ich möchte wissen, wie sie ihren Konsum finanziert. Das will sie mir nicht sagen, und ich denke an eine wahre Floskel: Keine Antwort ist auch eine Antwort.
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Als das Handy plötzlich klingelt, folgt die traurige Nachricht: Hulio hat es nicht geschafft

Immer wieder kippt die Stimmung, wir sollen die Kamera ausmachen, es wird laut, ein Hund bellt. Die Leute um uns herum trinken Energy Drinks oder Schnaps aus kleinen Flaschen, oder beides. Viele von ihnen wirken gestresst, in Eile. Hulio beißt kräftig in ihr Goudabrot.
Zwei Tage bin ich für meine Recherche unterwegs und steige tief in die Crack-Szene ein. Spreche mit den Menschen über ihre Wünsche, ihre Verzweiflung, ihre Not. Dabei begleiten uns Sozialarbeiter: niemand soll hier vorgeführt werden. Es geht um Würde. Ich frage mich, wie kann das sein? Ein Elendsort mitten unter uns, in einer der reichsten Städte des Landes, nur 18 Gehminuten von der Königsallee entfernt, der bekanntesten Luxusmeile Deutschlands.
Wenige Wochen nach den Dreharbeiten – ich sitze gerade in der vollen Straßenbahn – klingelt mein Handy. Eine Düsseldorfer Nummer. Einer der Sozialarbeiter, die uns begleitet haben, meldet sich mit leiser Stimme.
Hulio ist verstorben. Überdosis.
„Deine Welt - meine Welt“ auf RTL+ streamen
Horrordroge Crack – die höllische Billigdroge breitet sich in Großstädten rasant aus. Konsumenten geraten in eine teuflische Spirale aus Sucht und Hoffnungslosigkeit. In Düsseldorf taucht RTL-Reporter Lutz-Philipp Harbaum im Rahmen der Dokumentation „Deine Welt - meine Welt“ tief in die Szene ein. Die Folge sowie den Rest der Doku-Reihe könnt ihr hier bei RTL+ sehen.
Hier findet ihr Hilfe in schwierigen Situationen
Solltet ihr selbst Probleme mit Alkohol haben und/oder von Suchtproblemen betroffen sein, sucht euch bitte umgehend Hilfe. Versucht, mit anderen Menschen darüber zu sprechen! Das können Freunde oder Verwandte sein. Es gibt aber auch die Möglichkeit, anonym mit anderen Menschen über eure Gedanken zu sprechen. Das geht telefonisch, im Chat, per Mail oder persönlich.
Wenn ihr schnell Hilfe braucht, dann findet ihr unter der kostenlosen Telefon-Hotline des DRK unter 06062 / 607 67 Menschen, die euch Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen können.