„Wir holen dich nach Hause!"

Nach Unfall schwerbehindert - Nicos (24) Träume zerplatzten an einem warmen Junitag

Nico vor und nach seinem schweren Motorrad-Unfall
Nico vor und nach seinem schweren Motorrad-Unfall
privat
von Larissa Königs

Ein Wimpernschlag, und nichts ist mehr, wie es war.

Im Sommer 2022 fährt Nico mit seinem Motorrad auf ein Polizeifahrzeug auf. Die Ärzte können sein Leben nur mit Mühe retten, bis heute hat er wegen Komplikationen einen offenen Schädel. Er kann sich nicht bewegen, nicht essen, trinken oder schlucken, kaum kommunizieren. Doch seine Familie hört nicht auf, für seine Zukunft zu kämpfen.
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Offen, engagiert, immer freundlich: Nico ist im ganzen Ort bekannt

Nico wächst in der Kleinstadt Warstein auf. Er arbeitet gerne mit Menschen, ist offen und hilfsbereit. Monika Wintergalen, Tante von Nico, erzählt im Gespräch mit RTL: „Er war als Kind schon immer fröhlich, hat sogar bei der Hausarbeit getanzt.“ Nico entscheidet sich, Erzieher zu werden, in seiner Kita ist er bekannt und beliebt. Seit seinem sechsten Lebensjahr ist er beim DLRG aktiv, macht eine Ausbildung als Rettungsschwimmer.

Er hat viele Pläne für seine Zukunft: Er will eine Wohnung im Haus seiner Eltern ausbauen, in die Jugendarbeit gehen, eine Familie gründen. Träume, die alle am 24. Juni 2022 platzten. Es ist ein lauer Sommerabend. Am nächsten Tag will Nico mit seiner Familie in den Urlaub fahren. Ein Urlaub, den niemand antreten wird.

Nico vor dem Unfall mit seiner Cousine Yara - er galt als offen, freundlich und hilfsbereit
Nico vor dem Unfall mit seiner Cousine Yara - er galt als offen, freundlich und hilfsbereit
privat

Motorrad kracht in Streifenwagen: Nico schwebt in Lebensgefahr

Nico und ein Freund fahren mit ihren Motorrädern los. Zeitgleich werden zwei Polizisten zu einer Unglücksstelle gerufen. Diese befindet sich am Ende einer langen Kurve. Ein Motorrad liegt im Straßengraben, vom Fahrer fehlt jede Spur. Die Beamten sichern die Unfallspuren und warten im Streifenwagen auf den Abschleppwagen. Dann kracht es – und ein Mann landet vor dem Streifenwagen. Es ist Nico.

Er ist auf den stehenden Wagen aufgefahren. Zu schnell war er nicht, die Staatsanwaltschaft sagt später, er sei etwa 70 Kilometer pro Stunde gefahren. Erlaubt sind auf der Strecke 100. Auch seine Tante betont: „Nico war ein extrem vorsichtiger Fahrer, er fuhr immer eher zu langsam als zu schnell.“

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War die Unfallstelle richtig abgesichert? Die Polizei sagt: Ja. Zeugen sagen: Nein. Das Gerichtsverfahren zu dem Fall ist mittlerweile eingestellt, die Beamten müssen 2.000 Euro zahlen. Was wirklich geschah, ist weiterhin nicht klar, ebenso, wie der Grund, warum Nico das Auto nicht sah. Ein Gutachter meint, möglicherweise sei Nico von der Sonne geblendet worden, was jedoch laut der Verteidigung unwahrscheinlich sei. Opfer-Anwältin Sandra Doelfs sagt der Lokalzeitung Soester Anzeiger, die den Prozess begleitete, das Urteil sei „mit normalem, nicht-juristischem Hintergrund nicht zu verstehen.“

Auch, da es an ein Wunder grenzt, dass Nico den Unfall überhaupt überlebt. Nach dem schweren Aufprall wird er in die nächste Klinik geflogen – mit unzähligen Verletzungen. Seine Tante listet auf: „Verletzungen an Lunge, Milz und Leber, zahlreiche Brüche, am Ober- und Unterkiefer, an der Wirbelsäule und ein Schädelbasisbruch und schweres Schädelhirntrauma.“ Nicos Leben hängt am seidenen Faden.

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Im Video: Hirn-OP wird zum Kleinkonzert

Nico lebt nun mit offenem Schädel

Zunächst operieren die Ärzte die lebensbedrohlichen inneren Verletzungen und stoppen die Blutungen. Danach folgen weitere Operationen, insgesamt sind es bislang 17 – und es folgen noch weitere. Denn wegen einer Hirn-OP musste seine Schädelplatte entfernt werden. Eigentlich zeitlich begrenzt – doch sein Körper stieß die Schädeldecke bei einem späteren Einsetzen ab. Auch eine künstliche Platte führte zu Komplikationen, das Gehirnwasser entzündete sich.

Bis heute ist Nicos Schädel offen, erzählt seine Tante. „Er lebt jetzt seit Monaten ohne Schädeldecke, und die Ärzte haben Angst, sie ihm wieder einzusetzen, weil Infektionen drohen. Aber ohne Schädeldecke geht es natürlich nicht“. Aktuell ist Nicos Lage so verzweifelt, dass seine Eltern sich die Frage stellen, ob es richtig war, sein Leben zu retten.

Dennoch: Nico kann an guten Tagen mit seiner Familie zumindest ein wenig interagieren. Er reagiert auf Fragen manchmal mit passendem Blinzeln der Augen. Auch seine Gefühle kann man sehen, sagt Monika Wintergalen: „Er hat Stress, er hat Angst, er hat Trauer – das merkt man.“

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Papa hat ihm versprochen: „Wir holen dich nach Hause"

Nico und seine Zwillingsschwester
Nico und seine Zwillingsschwester Linda
privat

Nico wird vermutlich sein Leben lang schwerbehindert bleiben. Dennoch hofft die Familie, ihn bald nach Hause zu bringen. Das hat ihm sein Vater im Krankenhaus versprochen. „Nico hat früher gesagt, dass er für immer in seinem Elternhaus wohnen bleiben möchte. Eigentlich wollte er sich dort eine eigene Wohnung ausbauen. Deshalb hat sein Papa ihm versprochen: Wir holen dich nach Hause“, erzählt seine Tante.

Doch es gibt ein Problem: Die Familie hat aktuell weder ein behindertengerechtes Auto noch ein entsprechendes Haus. Notwendig wären neben breiteren Türen und einem behindertengerechten Bad auch ein Aufzug. Der allein kostet 50.000 Euro. Die Krankenkasse bezuschusst zwar Umbauten – in Nicos Fall allerdings nur mit einem mittleren vierstelligen Betrag, sagt Monika Wintergalen. „Das Geld reicht hinten und vorne nicht.“

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Deswegen hat sie auf der Spendenplattform „Gofundme“ eine Kampagne erstellt. Mehr als 35.000 Euro sind bereits zusammengekommen. Geld, das den Eltern zumindest die finanziellen Sorgen etwas nehmen soll. Monika Wintergalen: „Ich bin sprachlos und gerührt von der Anteilnahme – und wir geben nicht auf. Wir gehen in Schulen, hängen Infos ans schwarze Brett oder gehen auf Weihnachtsmärkte. Wir halten als Familie zusammen – für Nico.“