Ein Kommentar
Manifest von Schwarzer und Wagenknecht: Wenn Pazifismus Menschen tötet

Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer sehen die Welt auf einer „Rutschbahn“ in den Atomkrieg. In einem Manifest fordern sie gemeinsam das Ende der Waffenlieferungen. Dieser vermeintliche Pazifismus ist unerträglich, findet unser Autor Lucas Schäfer. Warum, das lesen Sie hier in seinem Kommentar.
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Dieser vermeintliche Pazifismus verschließt die Augen vor vielen Fakten
Die Welt könnte so schön sein: Seite an Seite kämpfen Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht für eine bessere Welt. Sie werben im Video für ein Nein zum Krieg, für ein „Manifest für Frieden“!
Damit erneuert Schwarzer ihre Forderung, die sie schon in einem offenen Brief an Kanzler Scholz im April letzten Jahres formuliert hatte und die auch viele prominente Unterstützer fand.
Mehr verhandeln wagen, wie mag man da widersprechen? Schlimmer noch: Wer hier widerspricht, muss doch ein Menschenhasser sein, wenn er nicht möglichst schnell diesen fürchterlichen Angriffskrieg auf die Ukraine beendet sehen möchte. Das Gegenteil ist der Fall: Dieser vermeintliche Pazifismus ist unerträglich, weil er die Augen vor vielen Fakten verschließt und eine Debatte um die tatsächlich gemachten strategischen Fehler des Westens verbaut.
Aber der Reihe nach.
Wann der Punkt für Verhandlungen gekommen ist, bestimmt die Ukraine
Hier geht es nicht etwa um eine Mindestlohndebatte, sondern um Leben und Tod. Wer sich hierzu äußert, muss maximal im Stoff sein und Handlungsempfehlungen zu Ende denken. So heißt es im Brief „Verhandeln heißt nicht kapitulieren. Verhandeln heißt, Kompromisse machen, auf beiden Seiten.“ Am 24. Februar jährt sich dieser Krieg. Einen Tag später wird Schwarzer eine Kundgebung in Berlin mit dem Titel „Aufstand für Frieden“ abhalten, sammelt dafür sogar Spenden ein.
Es ist bitter, dass Schwarzer und auch ihre zahlreichen prominenten Unterstützer so wenig aus der russischen Art, diesen Krieg zu führen, herauslesen. Mit Blick auf die bisher entdeckten Massengräber, den permanenten Beschuss von zivilen Zielen und diversen Kriegsverbrechen auf russischer Seite muss klar sein: Der Kreml kennt hier nur das Gesetz des Stärkeren, moralische Skrupel sind nicht zu erkennen. Demnach tun die vermeintlichen Pazifisten gut daran, die westliche Brille abzunehmen und der Realität zu begegnen – und diese wird vom Aggressor bestimmt.
Ja, verhandeln heißt nicht kapitulieren und nur durch Verhandlungen wird dieser Krieg hoffentlich sehr bald gestoppt. Diesen Weg dorthin erreicht man aber nicht dadurch, indem man „Waffenlieferungen stopp[t]“ und, auch das ist eine schmerzliche Erkenntnis, wohl auch nicht durch Sanktionen, die Russland weit weniger getroffen haben, als erhofft. Vielmehr wird der Weg zu Friedensverhandlungen auf dem Schlachtfeld erzwungen. Wann der Punkt für Verhandlungen gekommen ist, bestimmt die Ukraine selbstbestimmt und souverän, denn genau für diese Souveränität unterstützen wir sie am Ende.
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So paradox es klingen mag: Kriegsgerät rettet Menschenleben
Im Brief heißt es: „Es ist zu befürchten, dass Putin spätestens bei einem Angriff auf die Krim zu einem maximalen Gegenschlag ausholt.“ Für den Bürger ist die diffuse Atomkriegsangst nachvollziehbar, militärisch macht sie wenig Sinn: Die „materiellen Kosten“ durch westliche Gegenangriffe wären für die Russen derart hoch, dass sie den Krieg rasch verlieren würden. Die „Atomkrieg-Karte“ hat der Kreml schon oft gespielt, der neue Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius ordnet es richtig ein: „Am Ende wissen wir alle nicht was Putin macht, aber das darf uns in einer vernünftigen Unterstützung im Konzert mit den Verbündeten nicht abhalten.“
Dennoch treffen Schwarzer und Wagenknecht einen wunden Punkt: Das ist die Angst in Deutschland: Vor dem Ungewissen, vor der Eskalation. In Wahrheit ist die einzige Eskalation das Nichtstun oder das Zögern, eine Schuld, die die Bundesregierung nun schon auf sich geladen hat.
Angebracht wäre demnach vielmehr eine ganz andere Videobotschaft: Warum schafft es der Bundeskanzler nicht zu sagen, die Ukraine müsse gewinnen oder gar eine international abgestimmte Strategie zu kommunizieren, in der die Exitstrategie aus diesem Krieg hervorgeht. Stand jetzt hört man sie nirgends, vielleicht gibt es sie auch nicht. Vielleicht ändert sich das, wenn der Kreml in ein paar Monaten erkennen muss, dass etwa die Landbrücke zur Krim nicht mehr zu halten ist, vielleicht auch später.
Wenn weitere Kriegsverbrechen verhindert werden sollen, gibt es nur die Möglichkeit der Waffenlieferung. So paradox es klingen mag: Kriegsgerät rettet Menschenleben, der vermeintliche pazifistische Ansatz von Schwarzer und Wagenknecht führt zur weiteren Eskalation – das wollen sie sicher nicht, doch genau das würde durch die Hand des Aggressors passieren.
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