Er behandelte die Kölnerin auf Rückenschmerzen Lungenkrebs! Arzt "vergisst" zwei Jahre lang, Patientin wichtigen Befund mitzuteilen

Es ist eine Geschichte, die dazu verleitet, das Vertrauen in die Ärzteschaft zumindest infrage zu stellen: Eine Patientin klagt über Schmerzen beim Atmen, ihr Arzt glaubt an Rückenprobleme und behandelt sie entsprechend. Bereits zwei Jahre zuvor war sie wegen Lungenproblemen nach einer Überweisung geröntgt worden, doch ihr Arzt hat auf das Ergebnis nie reagiert. Ein fataler Fehler, wie sich herausstellen sollte.
Kein Anruf nach Besuch beim Radiologen
Birgit Wilde-Salim wendet sich per Mail an uns, die Vorwürfe gegen ihren Arzt wiegen schwer. Sie behauptet: Der Mediziner hat vergessen, ihr ein überlebenswichtiges Untersuchungsergebnis mitzuteilen. Die Vorgeschichte: Im Dezember 2019 fühlt sich die 59-jährige Kölnerin sehr krank, hat Angst vor einer Lungenentzündung. Ihr Arzt überweist sie auf ihr Drängen hin zu einem Radiologen, wo sie sich röntgen lässt. Da sie in der Folge nichts mehr von ihrer Arztpraxis hört, geht sie davon aus, dass alles in Ordnung ist.
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„Ich bat um das Abhören meiner Lunge“
Mitte 2021 hat Birgit Wilde-Salim wieder starke Beschwerden, leidet unter „atemabhängigen Schmerzen“. Ihr Arzt, dem ja bereits ein radiologischer Befund konkrete Anhaltspunkte geben sollte, geht dennoch weiter von Rückenproblemen aus. Die verschriebenen orthopädischen, physiotherapeutischen und osteopathischen Therapien bringen nichts, im Gegenteil: Die Symptome werden schlimmer.
„Ich bat daher bei einer weiteren Konsultation um das Abhören meiner Lunge“, schildert die Kölnerin uns die Ereignisse, 2012 hatte sie bereits eine stärkere Lungenentzündung. „Mein Arzt lehnte das ab. ‚Ihre Wirbelsäule kann ich nicht abhören‘, sagte er mir. Dann hörte er mich schließlich doch ab – und sagte, es sei alles in Ordnung.“ Auf die Idee, noch einmal auf die Röntgenuntersuchung von 2019 zurückzukommen, kommt sie damals nicht.
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Bilddiagnostik nach Besuch der Notaufnahme: Es ist Lungenkrebs!
Doch zu diesem Zeitpunkt kann von „alles in Ordnung“ eigentlich nicht die Rede sein: Am 8. November 2021 sind die Beschwerden so schlimm, dass Wilde-Salim sich in die Notaufnahme des St. Antonius Krankenhaus in Köln begibt und um eine Bilddiagnostik bittet. Am 10. November 2021 erhält sie schließlich die niederschmetternde Diagnose Lungenkrebs. Erst jetzt erinnert sich die 59-Jährige daran, dass sie ja bereits im Dezember 2019 im Strahleninstitut geröntgt wurde. Sie fordert den Befund an – und fällt aus allen Wolken.
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Röntgenaufnahme zeigt „26 Bildmillimeter große Verschattung“
Denn: Bei der Untersuchung wurde damals eine „26 Bildmillimeter große Verschattung“ in ihrer Lunge festgestellt. „Weitere Klärung mittels CT des Thorax kann angeboten werden“, heißt es seitens der Fachärzte. Birgit Wilde-Salim kann es nicht fassen und fordert ihre Krankenakte an – und auch dort steht es schwarz auf weiß. Hat ihr Arzt etwa Kenntnis von dem Befund gehabt, hat ihn aber nicht an seine Patientin weitergegeben? RTL liegen entsprechende Dokumente vor, die dies nahelegen. Mittlerweile lässt sich Wilde-Salim anwaltlich beraten.
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Dr. Christoph Specht: „Wenn ich das so lesen würde, dann würde mir das keine Ruhe lassen“

Hat der Arzt den Befund womöglich nicht für relevant gehalten? Wir legen den Fall Medizinjournalist und Präventionsmediziner Dr. Christoph Specht vor. „Die Formulierung ‚Klärung kann angeboten werden‘ seitens des Strahleninstituts ist sicherlich sehr komisch und wird so auch normalerweise nicht verwendet“, erklärt er. „Aber unter dem Strich kann der Arzt froh sein, wenn er nicht verklagt wird.“ Denn eine Verschattung sei angesichts der Tatsache, dass der Verdacht Lungenentzündung sich nicht bestätigen ließ – trotz massiver Beschwerden und Symptomen – ein klares Alarmzeichen. „Wenn ich das so lesen würde, dann würde mir das keine Ruhe lassen.“
Der Experte sieht aber auch das Problem, dass Patienten oft aus Angst vor einer schlechten Diagnose selbst nicht nachfragen. Er rät daher: „Man sollte in einem solchen Fall immer selbst aktiv nachhaken: ‘Was ist da herausgekommen?’, sich den Befund geben lassen und durchschauen.“
Bundesgerichtshof: Bedrohliche Befunde müssen mitgeteilt werden
Rechtsanwältin Nicole Mutschke verweist auf RTL-Anfrage auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs. In einem Urteil vom 26. Juni 2018 hatte das Gericht geurteilt: „Der Arzt hat sicherzustellen, dass der Patient von Arztbriefen mit bedrohlichen Befunden – und gegebenenfalls von der angeratenen Behandlung – Kenntnis erhält, auch wenn diese nach einem etwaigen Ende des Behandlungsvertrags bei ihm eingehen.“ Der Arzt, der als einziger eine solche Information bekomme, müsse den Informationsfluss aufrechterhalten, wenn sich aus der Information selbst nicht eindeutig ergebe, dass der Patient oder der diesen weiterbehandelnde Arzt sie ebenfalls erhalten habe, heißt es dort weiter.
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Glück im Unglück: Spezielles Krebsmedikament schlägt gut an
Der Tumor von Birgit Wilde-Salim wird eingehend untersucht, zu ihrem Glück gehört die Kölnerin zu den zehn bis 15 Prozent der Lungenkrebs-Patienten, die gut mit dem Wirkstoff Osimertinib behandelt werden können. „Seit Beginn der Behandlung ist der Tumor bereits wieder auf die Hälfte geschrumpft“, erzählt sie uns. „Jetzt hat er wieder die Größe, die er bei der Röntgenaufnahme aus dem Dezember 2019 bereits hatte.“ Die Nebenwirkungen seien allerdings nicht ohne: Diarrhoe, Ausschlag, schmerzhafte Nagelrand-Entzündungen, trockene Haut und Mundentzündungen gehören dazu. Außerdem kann die 59-Jährige nicht mehr arbeiten, ist auf Erwerbsminderungsrente angewiesen. Mehr als 1300 Euro sind nicht drin.
Sie steht vor dem finanziellen Abgrund
„Finanziell bin ich am Abgrund, die ganze Familie hat durch die Todesangst um mich psychisch schwer gelitten“, sagt sie. Auch sie selbst sei psychisch und körperlich am Ende, könne sich noch nicht einmal gesunde Lebensmittel kaufen. Selbst ein Wochenende zur dringend nötigen Erholung ist nicht bezahlbar. „Da ich keine Rechtsschutzversicherung abgeschlossen habe, werde ich Schwierigkeiten haben, zu meinem Recht zu kommen“, ist sie sich sicher. Damit sie die nächste Zeit finanziell durchzustehen kann, hat ein Freund bei GoFundMe unter „Birgit braucht Hilfe“ einen Spendenaufruf ins Leben gerufen.