Vor 10 Jahren flog der NSU auf
Kritiker sehen weiteren Reformbedarf bei Polizei - Kerzen für NSU-Mordopfer
Zehn Jahre nach dem Auffliegen der rechtsextremen Terrorzelle NSU sehen Kritiker noch Verbesserungspotenzial bei den Behörden, was den Umgang mit rassistischen Denkweisen und rechtsextremistischen Strukturen angeht. Eine veränderte Einstellung der Polizei gegenüber rechtsmotivierten Straftaten vermag etwa die Nebenklage-Vertreterin aus dem NSU-Prozess, Seda Basay Yildiz, nicht zu erkennen. "Damit sich etwas ändert, muss man erst mal einsehen, dass man Fehler gemacht hat", sagte sie dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Diese Aufarbeitung habe bei der Polizei aber nie stattgefunden. "Die vielen rassistischen Chatgruppen in der Polizei haben gezeigt, dass Rassismus anscheinend als normal aufgefasst wird."
Horst Seehofer: Notwendige Konsequenzen wurden gezogen

Ähnlich sieht es der Rechtsextremismusforscher Gideon Botsch vom Moses-Mendelsohn-Zentrum der Universität Potsdam. "Es gibt nach wie vor blinde Flecken bei der Polizei, auch einen strukturellen Rassismus", sagte er der "Passauer Neuen Presse". Die Anerkennung bei den Ermittlungsbehörden, dass es Rechtsterrorismus gibt, sei zwar gestiegen. "Aber wir sind erst auf halbem Wege."
Dagegen hatte der geschäftsführende Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) festgestellt, dass die notwendigen Konsequenzen aus dem damaligen Versagen der Behörden gezogen seien. Zwar sei es nicht möglich gewesen, alle Fragen restlos zu beantworten, hatte er der dpa gesagt. "Aber die Handlungsempfehlungen für die Bereiche Polizei, Justiz, Nachrichtendienste und Demokratieförderung sind weitestgehend umgesetzt."
Mehmet Daimagüler, der ebenfalls Vertreter der Nebenklage im NSU-Prozess war, erklärte am Mittwochabend bei einer Veranstaltung der Amadeu-Antonio-Stiftung, wenn Seehofer sage, die Probleme seien größtenteils gelöst, dann sei das "brandgefährlich". "Vielleicht muss man Horst Seehofer sein, um zu sagen, das gibt es nicht", sagte der Anwalt mit Blick auf die Debatte um sogenanntes Racial Profiling. Von Racial Profiling spricht man bei anlasslosen Personenkontrollen von Menschen aufgrund äußerer Merkmale.
Gedenken für NSU-Mordopfer

Mit Kerzen, Musik und Gebet ist am Donnerstag im Zwickauer Dom an die Opfer des rechtsterroristischen NSU erinnert worden. Sachsens Justizministerin Katja Meier (Grüne) mahnte, bei der Auseinandersetzung mit rassistischer Gewalt nicht nachzulassen. Jeder sei in der Pflicht, wachsam zu sein und eigene Vorurteile zu hinterfragen. Zwickaus Oberbürgermeisterin Constance Arndt (parteilos) betonte, der Geist des Rechtsextremismus sei nicht mit dem Auffliegen der Terrorzelle verschwunden. Die bisherige Aufarbeitung und Erinnerung reiche nicht, sagte Arndt: "Weil wir es den Opfern und ihren Angehörigen schuldig sind."
In der Gedenkstunde wurden die Namen der zehn Mordopfer verlesen und für jeden eine Kerze entzündet: Enver Simsek, Abdurrahim Özüdogru, Süleyman Tasköprü, Habil Kilic, Mehmet Turgut, Ismail Yasar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubasik, Halit Yozgat und Michèle Kiesewetter. Später zogen die Teilnehmer zum Gedenkort im Schwanenteichpark, wo für jedes Opfer ein Baum gepflanzt ist. Dort wurden Kerzen und Blumen niedergelegt.
Pläne für Doku-Zentrum
CDU, Grüne und SPD wollen laut Koalitionsvertrag die Errichtung eines Erinnerungsortes sowie eines Dokumentationszentrums für die NSU-Opfer unterstützen. Die Pläne für ein solches Dokumentationszentrum werden nun forciert - am Donnerstag hat Justizministerin Meier in Zwickau einen Förderbescheid über 95.000 Euro an den Verein Regionale Arbeitsstellen für Bildung, Integration und Demokratie (RAA Sachsen) übergeben. Mit dem Geld soll in einer ersten Phase ein Konzept für ein solches Zentrum erarbeitet werden. Wo genau es letztlich entstehen wird, sei noch offen, hieß es.
NSU flog im November 2011 auf
Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) war am 4. November 2011 aufgeflogen, mit dem Tod von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos. Erst dann stellte die Polizei fest, dass es Neonazis waren, die zwischen 2000 und 2007 neun Gewerbetreibende mit ausländischen Wurzeln und eine Polizistin getötet hatten. Nach den Attentaten war jahrelang in die falsche Richtung ermittelt worden.
Der Vorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Atila Karabörklü, fragte: "Aufarbeitung heißt auch Aufarbeitung bei Ermittlungsbehörden wie der Polizei und den Ämtern für Verfassungsschutz. Welche wichtige Veränderung gab es da denn in all der Zeit?"
Rechtsextremismus laut Horst Seehofer "größte Gefahr für Sicherheit in Deutschland"
Für Seehofer ist der Rechtsextremismus "die größte Gefahr für die Sicherheit in Deutschland". Die geschäftsführende Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) sagte: "Rechtsextremismus ist die größte Bedrohung für unsere freiheitliche Demokratie." Dem RND sagte sie weiter: "Wir müssen Betroffene rechtsextremistischer und rassistischer Gewalttaten besser schützen und unterstützen." Das Bewusstsein für menschenverachtende Taten müsse weiter geschärft werden. Das bleibe eine Daueraufgabe in der Ausbildung in Polizei, Justiz und Sicherheitsbehörden. "Zugleich müssen wir den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken."
Die Grünen-Bundestagsfraktion kritisierte: "Die versprochene vollständige Aufklärung und Aufarbeitung des NSU-Komplexes ist bis heute nicht abgeschlossen." Hier dürfe kein Schlussstrich gezogen werden. (dpa/bst)