Afghanistan

Islamistische Diktatur einziger Ausweg? Taliban nehmen Bevölkerung in Geiselhaft

Schülerinnen in Afghanistan
Junge afghanische Mädchen besuchen den Unterricht in einer Grundschule in Kabul. Foto: Oliver Weiken/dpa
deutsche presse agentur

von Liv von Boetticher, Kabul

Fast ein Dreiviertel Jahr gab es die zarte Hoffnung, dass die neuen Machthaber in Afghanistan tatsächlich versuchen würden, mit dem Segen der Bevölkerung zu regieren und nicht gegen sie.

Eine neue Freiheit wurde propagiert, eine Amnestie für all jene, die für Ausländer gearbeitet haben, Mädchen sollten ab dem 23. März wieder auf weiterführende Schulen gehen, junge Frauen auf die Universität. Doch dann traf sich die gesamte Führungselite vergangene Woche in Kandahar – und alle Hoffnungen für eine halbwegs freie Zukunft sind hinüber.

RTL-Reporterin Liv von Boetticher berichtet aus Afghanistan.
RTL-Reporterin Liv von Boetticher berichtet aus Afghanistan.
Christoph Klawitter

Taliban verbieten Schule für Mädchen und die BBC

Fast eine Stunde wartet Flug FG267 der afghanischen Ariana Airline am 20. März auf dem Rollfeld des Hamid Karzai International Airports auf fehlende Passagiere. Die Reisenden der Business Class werden in die Economy Class umplatziert, ein Mitarbeiter des Taliban-Geheimdienstes überprüft das Flugzeug. Schon seit mehreren Wochen hatten viele Menschen in Afghanistan eine ungute Vorahnung, dass sich das Schicksal ihres Landes in den Tagen rund um das Persische Neujahr „Nowruz“ am 21. März entscheiden könnte. Als sich das Flugzeug in Richtung Kandahar nun mit der gesamten Führungselite rund um den Interims-Premierminister Mullah Akhund zu füllen beginnt, ist klar, dass in den kommenden Tagen neu sortiert werden wird: sowohl die politischen Posten innerhalb der Regierung als auch die ideologische Ausrichtung des Islamischen Emirates.

Während der Zusammenkunft der Mullahs gleicht Kandahar einer hochgerüsteten Festung. Die Führung fürchtet offenbar Widerstand aus der Bevölkerung. Die Beschlüsse, die innerhalb weniger Tage gefällt werden, sind so radikal, dass sie den Grundstein für eine islamistische Diktatur und die absolute Kontrolle der Gesellschaft legen:

  • keine Schule für Mädchen ab der 7. Klasse.
  • Kein öffentliches Beisammensein von Frauen und Männern in öffentlichen Parks (diese dürfen von Montag bis Mittwoch nur von Frauen und männlichen Kindern bis 10 Jahren besucht werden, von Donnerstag bis Sonntag nur von Männern).
  • Außerdem verbieten die Taliban die Ausstrahlung von Sendern der BBC, die bisher in den Landessprachen Paschto, Dari und Usbekisch berichtet haben – und eine der letzten wirklich unabhängigen Informationsquellen waren.

Keine Schule für Mädchen - das stößt intern auf großes Entsetzen

Die Beschlüsse werden allerdings laut Taliban-nahen Quellen nicht von der gesamten Bewegung mitgetragen. Besonders das Verbot für Mädchen, weiterführende Schulen zu besuchen, stößt intern auf großes Entsetzen. Zum einen sehen einige Vertreter der Interimsregierung die Glaubwürdigkeit der Taliban in erheblicher Gefahr, hatte man doch erst vor wenigen Monaten Mädchen und jungen Frauen den Zugang zu Bildung garantiert, zum anderen schreibt der Koran ganz eindeutig einen Bildungsauftrag für beide Geschlechter vor: Bildung ist ein Grundrecht, auch für Frauen.

Zwar ist nicht von der Hand zu weisen, dass sich die Sicherheitslage unter den Taliban erheblich verbessert hat und sich viele Afghanen unter den neuen Herrschern sicherer fühlen als in den Jahren zuvor, jedoch wollen überwältigend viele Menschen auf Grund der wirtschaftlichen Lage das Land verlassen. Die Taliban versuchen, diesen Abgang von vor allem gebildeten Personen zu verhindern, indem sie u.a. das Ausstellen von Pässen pausieren und alleinstehenden Frauen das Reisen ohne männliche Begleitung verbieten. Auf Dauer werden sie aber den Freiheitsdrang der Menschen nur bezwingen können, wenn sie die totale Kontrolle über alle Aspekte des Lebens gewinnen – und dafür hat das Treffen in Kandahar den Grundstein gelegt.

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