Ein Kommentar

Die schrecklichen Lügen über den Tod von Shani Louk

Da war die Welt von Shani Louk noch in Ordnung
Shani Louk wurde von Hamas-Terroristen getötet.
Instagram, shanukkk
von Gordian Fritz

Ihr Tod ist ein großer Schock – und offenbart auch einen eklatanten Offenbarungseid in den Medien und in der Politik: Shani Louk (22) ist ein Opfer der Terror-Organisation Hamas. Nach der brutalen Hinrichtung geht ihr Schicksal um die Welt.

Shani Louk wird von Hamas-Terroristen brutal hingerichtet

Es ist Montagmorgen, als mir Shanis Mutter eine WhatsApp-Nachricht schickt. Es ist nur ein einziger Satz, aber er beendet schlagartig alle Hoffnung: „Leider haben wir gestern die Nachricht bekommen, dass meine Tochter nicht mehr am Leben ist.“

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Mein Kameramann und ich sind geschockt. Noch am Abend zuvor waren wir bei der Familie zu Hause. Hatten lange über Shani und das, was am 7. Oktober passiert sein könnte, gesprochen. Die Familie wirkte auf mich einigermaßen gefasst. Natürlich auch etwas verzweifelt, aber da war eben noch diese letzte Hoffnung, dass Shani noch lebt und bald wieder zurückkommen könnte. „Das Schlimmste“, so sagte es mir Shanis Mutter, Ricarda Louk, zum Abschied, „sei die Ungewissheit. Nicht zu wissen, was mit Shani ist. Wie es ihr geht. Wo sie ist“.

Nur ein paar Stunden später klingelte das Telefon der Mutter. Es meldete sich ein Soldat vom israelischen Militär. Sie hätten jetzt Gewissheit, dass Shani tot sei. Erschossen am 7. Oktober, als sie mit Freunden von einem Festivalgelände mit dem Auto fliehen wollte. Sie fuhren nichtsahnend direkt in eine Gruppe Hamas-Terroristen. Die schossen sofort. Shani konnte noch andere Freunde warnen, dann wurde sie offenbar durch einen Kopfschuss getötet.

Falschmeldungen zum Tod von Shani Louk verbreiten sich rasend schnell

RTL und n-tv veröffentlichen die traurige Nachricht als Erste und schnell verbreitet sie sich überall. Die Anteilnahme ist groß. Aber dann wird ihr Tod zum medialen und politischen Spielball. Sogar Teil der israelischen Propaganda. Wie der Zufall es will, führt die Bild-Zeitung an dem Tag ein Interview mit dem israelischen Präsidenten Isaac Herzog und befragt ihn zum Tod von Shani. Kurz danach veröffentlicht sie diese Schlagzeile: „Diese Tiere haben ihr den Kopf abgehackt“.

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So sagt es der israelische Präsident Herzog im Interview. Ein Schock. Auch für uns, aber anders, denn diese Aussage ist nicht wahr. Shani wurde nicht enthauptet. Ein simpler Anruf bei der Familie hätte Gewissheit gebracht, aber dann hätte man wohl auf diese Schlagzeile verzichten müssen. Bis heute hat die Bild-Zeitung ihren Bericht nicht korrigiert.

Andere Journalisten sind kritischer und fragen beim Pressesprecher des Präsidenten nach und der muss nur Stunden nach dem Interview zugeben, dass die Aussage von Herzog nicht wahr ist. Wörtlich heißt es: „Die Tatsache, dass ein erheblicher Teil ihres Schädels gefunden wurde, löste die Angst aus, dass sie geköpft wurde.“ Man hat es also vermutet. Vermutet. Jetzt gibt man den Fehler zwar zu, aber es ist zu spät. Die Erzählung von der „Enthauptung“ lässt sich nicht mehr einfangen. Überall verbreitet sie sich. Und manche verstärken es noch.

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Auf X machen immer mehr Falschmeldungen die Runde

Aus „den Kopf abgehackt“ wird jetzt sogar „geköpft und zerstückelt“. Nur um es klar zu sagen: Bis heute wurde die Leiche von Shani nicht gefunden. Wieso manche trotzdem so etwas behaupten? Wir wissen es nicht. Ich frage nach, bekomme keine Antworten. Offenbar zu lästig. Aber es sind nicht nur Influencer, die die Lügen einfach so glauben und weiter verbreiten. Am Donnerstag postet die FDP-Bundestagsabgeordnete Katja Adler auf X (ehemals Twitter) eine Nachricht.

„Sie wurde bestialisch malträtiert und schließlich geköpft“, schreibt eine gewählte Abgeordnete des Bundestags. Ich schreibe Frau Adler eine Mail, um zu erfahren, was ihre Quelle für diese Behauptungen ist. Ich bekomme keine Antwort.

Erinnerungen an Gräueltaten im Ukraine-Krieg werden wach

Das alles erinnert mich an die Ukraine. Ich war dort in Butscha. In Borodjanka und all den Orten, wo die schrecklichen Gräueltaten passiert sind. Als wir durch Straßen laufen mussten, die übersät waren mit toten Zivilsten. Wir hörten von anderen Massengräbern. Wir fuhren dorthin und fanden nichts. Eine Abgeordnete hatte sie erfunden. Es war vielleicht sogar keine böse Absicht. Sie wollte das russische Grauen nur noch schrecklicher machen, damit die Welt der Ukraine noch mehr hilft. Noch mehr unterstützt.

Und so passiert es im Fall von Shani Louk auch in Israel. Es gibt keinen Zweifel an den brutalen und abscheulichen Taten der Hamas. Keine Worte können das erfassen, was am 7. Oktober hier in Israel passiert ist. Aber es ist ein Sieg der Terroristen, wenn man nun Dinge erfindet und übertreibt. Wenn Medien oder Politiker dadurch völlig unnötig ihre Glaubwürdigkeit verlieren und damit den Terroristen in die Hände spielen. Wenn sie die „andere Seite“ dabei erwischen können, wie sie die Unwahrheit sagt.

Was hier am 7. Oktober in Israel passiert ist, braucht keine Übertreibung, braucht keine Erfindungen. Es ist schon schrecklich, grausam, unmenschlich genug und wird nie vergessen werden.

Familie von Shani Louk leidet sehr unter falschen Meldungen

Nissim and Ricarda Louk, the parents of Shani Louk, 22, who was taken hostage by Hamas after being seized from the Nova festival, following a deadly infiltration by Hamas gunmen from the Gaza Strip into Israel, and who was later confirmed dead by Israel's government, are photographed in their home in Srigim-Li On, Israel October 31, 2023. REUTERS/Evelyn Hockstein REFILE - CORRECTING LOCATION FROM "BEIT GUVRIN " TO "SRIGIM-LI ON\
Nissim and Ricarda Louk sind die Eltern von Shani.
REUTERS, EVELYN HOCKSTEIN

In den sozialen Medien werden meine Nachfragen und Richtigstellungen aber nun selber angegriffen. „Was es für einen Unterschied es macht?“, werde ich gefragt. „Konkurrenz-Gehabe“ wirft man mir vor, da ich die Bild-Zeitung kritisiere. „Ob geköpft oder nicht…Spielt das eine Rolle?“, erwidert man mir. Ich antworte immer das gleiche. Es sind nur zwei simple Sätze: „Fragen Sie die Familie. Für die ist das wichtig!“

Offenbar denkt niemand daran, was eine Mutter fühlen muss, wenn sie diese Lügen liest. Was Shanis 14 Jahre alter Bruder wohl durchmacht, wenn sich die Lügen in seinem Kopf in Bilder verwandeln und festsetzen. Wie sie ihn am Einschlafen hindern oder im Traum verfolgen.

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Paul Ronzheimer schreibt Stunden nach seinem Interview mit dem israelischen Präsidenten und der falschen Schlagzeile einen Kommentar in Bild. Die Überschrift lautet: „Wir sind es Shani schuldig“. Er und alle anderen, die solche Unwahrheiten unnötig verbreiten, sollten sich fragen, was sie vor allem Shanis Angehörigen schuldig sind. Nämlich die Wahrheit und nicht, den grausamen Tod einer jungen Frau mit Lügen für eigene Zwecke auszunutzen.

Als Shanis Mutter von den Berichten hört, bittet sie mich, sie ihr zu schicken. Ich zögere und möchte es eigentlich nicht. Ich ahne, was es auslösen wird. Sie ist zutiefst geschockt und will nicht glauben, was dort geschrieben wird. Vorher noch hatte sie mir gesagt: „Wenigstens wissen wir jetzt, dass Shani nicht leiden musste“.

Dafür muss die Familie nun leiden. Doppelt. Nicht nur weil ihre fröhliche und lebenslustige Tochter und Schwester nie wieder bei ihnen sein wird, sondern auch weil andere sie nun mit schrecklichen Lügen über Shanis Tod leiden lassen.