Streeck, Zinn und Co. wagen den Blick in die ZauberkugelDie Prognose der Top-Corona-Experten: Das erwartet uns in diesem Sommer

Young Caucasian woman in mask standing in the crowd on Grand Bazaar in Istanbul
Lockerungen und sommerliche Freiheiten genießen vs. auf die nächste Corona-Welle vorbereiten: So bewerten die Corona-Experten den bevorstehenden Sommer.
oleh slobodeniuk, Oleh_Slobodeniuk

Wenn man die aktuelle Corona-Lage mit wenigen Worten beschreiben müsste, wären das vermutlich vor allem: Unstimmigkeit, Uneinigkeit und Unsicherheit. Während sich ein Teil der Bevölkerung auf die unmittelbar bevorstehenden Lockerungen freut, will der andere Teil weiterhin an einigen Hygienemaßnahmen im Kampf gegen die Pandemie festhalten. Zudem kommen immer mehr Fragen auf: Was genau bedeutet die Hotspot-Regel? Warum sind die Corona-Zahlen noch immer so hoch? Wo muss ich noch eine Maske tragen? Bringt es überhaupt noch etwas, wenn ich mich regelmäßig testen lasse?
Die Top-Corona-Experten, die uns in den letzten zwei Jahren der Pandemie begleitet haben, wagen eine Prognose, was in den kommenden Monaten auf uns zu kommen könnte. Außerdem geben sie ihre Einschätzung darüber ab, welche Maßnahmen auch nach wie vor im Sommer noch von Bedeutung sein werden.
Lese-Tipp: Alle aktuellen Informationen zum Coronavirus finden Sie in unserem Live-Ticker auf RTL.de

Dr. Georg-Christian Zinn: Sinnvoll, weiterhin Maske zu tragen

Dr. Zinn, Direktor Hygienezentrum Bioscientia.
Dr. Zinn, Direktor Hygienezentrum Bioscientia, unterstreicht im RTL-Interview, wie wichtig es ist, auch weiterhin die Maske zu tragen.
RTL

Deutschland steuert mit großen Schritten den – für viele – langersehnten Lockerungen entgegen. Ab dem 3. April ändert sich einiges und die Weichen für einen entspannten, sorgenfreien Sommer sollten somit gestellt sein. Aber macht das eigentlich Sinn, wo aktuell so viele Menschen mit dem Coronavirus infiziert sind und für Rekord-Inzidenzen sorgen?

Dr. Georg-Christian Zinn, den Direktor Hygienezentrum Bioscientia, sieht die momentane Situation in einem RTL-Interview durchaus kritisch: „Wir sind noch mittendrin in der aktuellen Omikron-Welle, haben sogar nochmal einen oben drauf gekriegt mit dieser hochansteckenden BA.2-Variante. Wir werden noch einige Zeit mit sehr hohen Zahlen zu tun haben. Wir haben sogar Angst, dass die Zahlen nochmal steigen werden, wenn jetzt keine klaren Regelungen bezüglich der neuen – und auch notwendigen – Hygienemaßnahmen greifen.“ Regelungen, die es in diesem Umfang, wie wir ihn bisher kannten, eigentlich gar nicht mehr gibt.

Aus medizinischer Sicht sei es dem Direktor „viel, viel lieber“, man hätte mit den Lockerungen bis zum Ende der Omikron-Welle gewartet. Dann hätte man auch den Sommer mehr genießen können. „Aber ich glaube, durch den Regelwirrwarr wird es da noch einige offene Fragen geben.“

Lese-Tipp: Sind Lauterbachs Hotspot-Kriterien aus medizinischer Sicht sinnvoll?

Für ihn spielt die Maskenpflicht auch in den kommenden warmen Wochen und Monaten weiterhin eine große Rolle. „Als Hygieniker muss ich ganz klar sagen: Wir haben ein Riesenproblem, wenn wir die Maskenpflicht jetzt von heute auf morgen fallen lassen.“ In geschlossenen Räumen, in Schulen, medizinischen Einrichtungen, im öffentlichen Nahverkehr und auf Reisen mache es für ihn durchaus weiterhin Sinn, eine Maske zu tragen – auch wenn es in einigen Bereichen vielleicht nicht mehr vorgegeben ist.

Welche Maßnahmen Dr. Zinn ebenfalls für sinnvoll hält? „Eine gewisse Testpflicht“ und die Möglichkeit, dass Schnelltests noch eine zeitlang kostenfrei bleiben. Denn: „Wir haben die große Befürchtung, dass ein Großteil oder mindestens die Hälfte der Corona-Infektionen uns zur Zeit durch die Lappen geht, also wir keinen richtigen Überblick haben.“ Zudem halte er die AHA-Regeln für „nicht unsinnvoll.“

Virologe Hendrik Streeck: Jetzt die Hausaufgaben für Herbst und Winter machen

Rolf Vennenbernd
Auch für Hendrik Streeck, Direktor des Instituts für Virologie an der Uniklinik Bonn, spielt die Maske weiterhin eine große Rolle.
deutsche presse agentur

Prof. Hendrik Streeck, Virologe an der Universität Bonn, ist vor allem, was das Tragen einer Maske angeht, einer ähnlichen Meinung: „In Schulen kann ja trotzdem die Maskenpflicht beibehalten werden. Das gehört ja zum Infektionsschutzgesetz dazu, dass man in bestimmten vulnerablen Gruppen, also in Schulen, Flüchtlingsheimen, Krankenhäusern, Pflegeheimen und Ähnlichem, die Maskenpflicht weiter aufrecht erhalten kann.“ Dass die Maskenpflicht aufgehoben wird, sei für ihn nicht gleichzusetzen mit einem Maskenverbot.

Auch der Virologe hätte sich eine längere Übergangszeit gewünscht. „Aber im Grunde gehen wir immer mehr in die eigene Gesundheitsvorsorge über“, erklärt er RTL. Was das bedeutet? Man müsse schauen, was man selbst, in eigener Verantwortung tun könne, um die Pandemie zu beenden. Dazu gehört für Streeck die Impfung gegen das Coronavirus und das Masketragen an Orten, wo man selbst eine Infektion vermutet und sich vielleicht nicht ganz so gut geschützt fühlt. All das solle jedoch im Ermessen eines Einzelnen liegen.

Laut ihm sei es wichtig, zum jetzigen Zeitpunkt zu schauen, welche Maßnahmen funktionieren – und welche eben nicht. Gegebenenfalls „müssen wir auch vielleicht das Gesetz ein bisschen nachschärfen, dass wir besser und schneller reagieren können, wenn die Infektionszahlen wieder hochgehen.“ Oberste Priorität hat nun, dass wir jetzt unsere Hausaufgaben für Herbst und Winter machen.

Lese-Tipp: Öffnen trotz Rekord-Inzidenzen - wie passt das zusammen? Streeck ordnet ein

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Dr. Susanne Johna rechnet damit, dass die Zahl der Patienten in den Krankenhäusern wieder steigen könnte.
www.imago-images.de, IMAGO/Jürgen Heinrich, IMAGO/Jürgen Heinrich

Im ntv-Talk spricht die Medizinerin und Vorsitzende des Marburger Bundes, Dr. Susanne Johna, ebenfalls darüber, inwieweit sich die Lockerungen auf den Sommer auswirken werden. Denn wenn jetzt die Corona-Regeln wegfallen, rechnet sie damit, dass es wieder mehr Patienten geben wird – zumal man jetzt gerade schon wieder mehr Ältere beobachtet, die mit Corona ins Krankenhaus müssen. Sie fordert die Bundesländer dazu auf, von der Hotspot-Regelung Gebrauch zu machen und die Maske weiterhin freiwillig – zumindest noch in Innenräumen – zu tragen.

Virologe Klaus Stöhr: Um eine Infektion kommen wir nicht herum

Klaus Stöhr
Virologe Klaus Stöhr befürchtet wenig Schlimmes für den kommenden Sommer.
Imago Entertainment

Virologe Klaus Stöhr sieht das Ganze anders – und entspannter. Laut ihm kommen die Lockerungen nicht zu früh, denn: „Zu früh wäre es, wenn die Maßnahmen, die man besitzt, noch nicht ausgeschöpft wären. Aber alle medizinischen Interventionen liegen auf dem Tisch, die Impfstoffe existieren, es gibt Medikamente und es gibt eine symptomatische Behandlung – mehr gibt es nicht.“ Keine der Maßnahmen, die wir genutzt haben, um die Corona-Pandemie in den Griff zu kriegen, habe eine hundertprozentige Wirksamkeit. „Und da sich alle infizieren werden, gibt es jetzt keine zusätzlichen Dinge mehr, um Erkrankungen und Todesfälle zu verhindern. (...) Damit muss man also leider leben.“

Wer sich – trotz Lockerungen – vor einer Infektion mit dem Virus schützen möchte, könne weiterhin seine Maske tragen. Aber im RTL-Interview erklärt er mehrmals, dass sich ohnehin jeder infizieren werde, „ob das jetzt oder später passiert macht dann keinen Unterschied mehr für die Einzelperson oder Gesellschaft.“

Warum? Weil man sich immer wieder in Erinnerung rufen müsse, dass Atemwegserkrankungen in Wellen kommen. Während das Infektionsgeschehen im Sommer eher harmlos ist, infizieren sich im Herbst und Winter mehr Menschen. Das haben wir bereits 2020 und auch 2021 beobachten können. Heißt aber im Umkehrschluss auch: „Im Sommer zirkulieren die Atemwegserkrankungen auf sehr niedrigerem Niveau, da merkt man fast gar nichts.“ Auch wenn Stöhr sich sicher ist, dass es in Zukunft neue Wellen geben wird und eine Auffrischungsimpfung im Herbst durchaus Sinn machen würde: Einem entspannten Sommer steht eigentlich kaum etwas im Weg.

Wie auch Prof. Hendrik Streeck spricht Stöhr von einem „normalen Lebensrisiko“ und dass wir wieder mehr Eigenverantwortung übernehmen müssen.

Virologe Martin Stürmer: Politik soll Sommer nutzen, um neue Strategien zu entwickeln

HANDOUT - 07.05.2020, Hessen, Frankfurt/Main: Virologe Martin Stürmer steht in seinem Labor. Er hält die geplanten Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie für sinnvoll, um die zweite Welle zu brechen - aber nur dann, wenn sich danach das Verhalten ändert.   (zu dpa - Virologe Stürmer: Nach «Lockdown Light» muss sich Verhalten ändern) Foto: Stürmer/privat/dpa - ACHTUNG: Nur zur redaktionellen Verwendung im Zusammenhang mit der aktuellen Berichterstattung und nur mit vollständiger Nennung des vorstehenden Credits +++ dpa-Bildfunk +++
Virologe Martin Stürmer sieht die aktuellen Lockerungen durchaus kritisch.
rho, dpa, privat

Der Frankfurter Virologe Martin Stürmer gibt sich im RTL-Interview nicht ganz so optimistisch: Wenn man das aktuell hohe Infektionsgeschehen – verursacht durch die Omikron-Variante BA.2 – und die allgemeine Auffassung, die Pandemie sei vorbei, betrachte, sehe er die Lockerungen und die Änderung des Infektionsschutzgesetzes als zu früh an und der Lage „nicht angemessen“.

Demnach spricht auch er sich weiterhin für eine Maskenpflicht in Innenräumen aus, um Infektionen weitestgehend vermeiden zu können. Er erklärt, dass Long Covid und die Ungewissheit darüber, was nach der Virus-Infektion kommt, nicht in den Hintergrund rücken dürfen.

Für die Sommerzeit appelliert er an die Politik: Der Sommer solle vor allem dafür genutzt werden, neue Strategien zu entwickeln, wie es in Zukunft – sprich im Herbst und Winter – weitergehen wird, wenn die Zahlen wieder hochgehen oder neue Corona-Varianten aufgetaucht sein sollten. Denn dahingehend, dass diese Mutationen kommen werden, ist sich Stürmer sicher: „Ja, ich gehe davon aus, dass wir immer wieder solche Wellen haben werden. Die werden sich im Herbst in der Regel auftürmen und im Frühjahr, Sommer“ verschwinden. „Es liegt an uns, wie wir damit umgehen. Wir werden dieses Virus nicht mehr los. (...) Wir müssen lernen damit umzugehen.“

Doch genau dazu brauche es eine gute Strategie, die es zu entwickeln gilt. Auch der Frankfurter Virologe spricht in diesem Zusammenhang von „Hausaufgaben machen“. (vdü)

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