Berichte über Schlägereien und betrunkene Soldaten
Putins Pannen-Mobilisierung: Videos zeigen Rekrutierungschaos in Russland

13 Tage nach Putins Teilmobilmachung mehren sich die Berichte, die ein Bild des Chaos in der russischen Truppe zeichnen. Torkelnde Soldaten, die bei der Rekrutierung völlig betrunken erscheinen, Massenschlägereien zwischen Rekruten und Zeitsoldaten in Kasernen, zu wenig Ausbilder. Die Chaos-Liste scheint kein Ende zu nehmen. Gleichzeitig meldet Moskau: Die ersten Rekruten sollen im Kriegsgebiet Donbass eingetroffen sein.
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Massenschlägerei in Kaserne bei Moskau
Die Zustände in der russischen Armee wirken nach diesen Berichten geradezu absurd. So ist es Medienberichten zufolge auf einer Militärbasis bei Moskau zu einer Massenschlägerei zwischen den neu Einberufenen und länger dienenden Zeitsoldaten gekommen. „Die Neuen wurden dort nicht mit Brot und Salz empfangen - sondern im Gegenteil: Die dort dienenden Soldaten forderten von den Neuen deren Kleidung und Mobiltelefone“, berichtete das Internetportal Baza am Montag. Der Konflikt eskalierte in eine Massenschlägerei - bei der die frisch Rekrutierten die Oberhand behielten.
Sie sollen ihre Peiniger dermaßen verprügelt haben, dass sich schließlich rund 20 Zeitsoldaten in einem Gebäude einschlossen und die Polizei um Hilfe riefen. Erst nach deren Eintreffen wurde der Konflikt geregelt. Beide Seiten verzichteten auf eine Anzeige.
VIDEO: Putin kündigt Teilmobilisierung an
Putins Reservisten ziehen teilweise sturzbetrunken an die Front
Laut dem russischen Verteidigungsministerium werden die Reservisten nicht zum Lückenfüllen eingesetzt, sondern sollen nach ihrer Ausbildung im Rückraum der Front die Nachschubwege sichern. Von der russischen Führung hieß es, dass alle Reservisten vor ihrem Einsatz zunächst noch einmal eine Ausbildung durchlaufen sollen, um ihre militärischen Kenntnisse aufzufrischen. Nach Expertenschätzung käme das Gros der Rekruten dann erst in ein bis zwei Monaten zum Einsatz. Wer jedoch glaubt, dass die russische Teilmobilmachung in einem geordneten Verfahren verläuft, der täuscht sich. Etliche Videos in sozialen Netzwerken zeigen einen erschreckenden Zustand – nicht selten sind betrunkenen Soldaten zu sehen.
Nach Angaben des Anwalts Pawel Tschikow sind inzwischen sogar sechs mobilisierte Männer noch während der Ausbildungsphase gestorben - vor dem eigentlich geplanten Einsatz im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine.
Ungenügend ausgerüstet: russische Soldaten müssen unter freiem Himmel schlafen
Vielerorts soll es an Kleidung, Ausrüstung und Verpflegung fehlen. Weil die Kasernen überfüllt sind, müssen offenbar mobilisierte Soldaten in Omsk (Sibirien) unter freiem Himmel zelten. Ein russischer Soldat empfiehlt deshalb in einem bei Twitter geposteten Video, „alles mitzunehmen, einschließlich Lebensmittel, Schlafsack und Gasbrenner“. Die Temperaturen in Omsk gehen zu dieser Jahreszeit nachts auf -5 Grad Celsius.
Nawalny-Vertrauter: Durch die Mobilisierung zieht Krieg auch in jede russische Familie ein
Und doch bringt sich das Land langsam aber sicher in einen Kriegszustand. Erst durch die Mobilisierung sei der Krieg in der Ukraine in jede russische Familie eingezogen, ob sie wollten oder nicht, findet auch Leonid Wolkow, Vertrauter des Oppositionspolitikers Alexej Nawalny. „Väter, Söhne, Männer werden für den Krieg mobilisiert und sterben dort", sagt er im „heute wichtig“-Podcast von RTL/n-tv. Die mögliche Einberufung drohe Millionen russischen Männern. Doch diese verläuft vielerorts Medienberichten zufolge chaotisch. So werden Männer etwa trotz Vorerkrankungen oder fehlender Qualifikation einberufen oder nach der Einberufung teilweise auf dem freien Feld ohne Ausbilder abgesetzt.
Respektloses Verhalten russischer Soldaten
In einem weiteren Video scheint ein Ausbilder anwesend zu sein. Er fordert die eingezogenen Soldaten auf, zwei Reihen zu bilden. Doch die betrunkenen Soldaten zeigen sich lustlos, missachten den Befehl und beleidigen den Vorgesetzten.
Selbst Putin ist der Zustand seiner Armee ein Dorn im Auge
Dass seine Truppe nicht wirklich in einem kriegstüchtigen Zustand zu sein scheint, ist nun offenbar auch bei Putin persönlich angekommen. Immer mehr Reservisten kehren deshalb wieder zu ihren Familien zurück. In der Region Chabarowsk im äußersten Osten Russlands sagte Gouverneur Michail Degtjarjow, dass von "einigen Tausend" Einberufenen inzwischen die Hälfte zurückgekehrt sei. Sie waren demnach eingezogen worden, obwohl sie nicht den Kriterien entsprachen.
Der verantwortliche Leiter des Kreiswehrersatzamtes sei entlassen worden, schrieb Degtjarjow im Nachrichtenkanal Telegram. Wie es zu den Fehlern kommen konnte, erklärte der Gouverneur nicht.
Erste Rekruten nach Mobilisierung im Donbass eingetroffen
Dennoch seien nun die ersten im Zuge der Teilmobilmachung einberufenen Rekruten in den besetzten Regionen eingetroffen. „Mobilisierte Soldaten durchlaufen ihre Kampfausbildung in der Donezker Volksrepublik“, teilte das Verteidigungsministerium in Moskau am Montag auf seinem Telegram-Kanal mit.
Sowohl in Luhansk als auch im nördlichen Teil des Gebiets Donezk sind die russischen Truppen zuletzt in die Defensive geraten. So mussten sie die strategisch wichtige Stadt Lyman räumen. Ukrainische Verbände zielen jetzt auf die Verbindungsstraßen zwischen den Städten Swatowe, Kreminna und Rubischne, um die dort stationierten russischen Einheiten einzukreisen oder zum Rückzug zu zwingen. Moskauer Militärblogger berichten von Personalmangel auf russischer Seite. (kra mit dpa)