Besteht wirklich Grund zur Sorge?
Alarmierende Studie zu den Folgen von Bronchitis: Das sagt der Experte!
Eine Lungenentzündung oder Bronchitis in den ersten Lebensjahren kann die Entwicklung der Lungen so weit stören, dass die Anfälligkeit für tödliche Atemwegserkrankungen im höheren Lebensalter steigt – das haben Wissenschaftler aus England nach einer lebenslangen Studie mit 5.362 Kindern herausgefunden. Die Studie hatte 1946 begonnen. Allgemeinmediziner Dr. Christoph Specht sieht die Ergebnisse allerdings eher kritisch. Warum? Wir klären auf.
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Frühe Kindheit enorm wichtig für Entwicklung der Lungen
Die Ärzte bestätigen mit ihrer Studie einmal mehr, dass die frühe Kindheit eine enorm wichtige Phase für die Entwicklung der Lungen darstellt. Infektionen der unteren Atemwege können demnach zu Störungen führen, die sich auf die Lungenfunktion im Erwachsenenalter auswirken. Die Studienergebnisse wurden in der wissenschaftlichen Zeitschrift „The Lancet“ am 7. März 2023 veröffentlicht.
Frühere Studien hatten bereits gezeigt, dass Kinder, die in den ersten Lebensjahren an einer Pneumonie oder Bronchitis erkrankt waren, später häufiger unter Asthma oder chronischen Lungenerkrankungen wie der (COPD) leiden.
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NSHD-Studie begann 1946: Seitdem wurden 5.362 Kinder regelmäßig untersucht
Die Längsschnittstudie, die 1946 begonnen wurde, trägt den Namen „National Survey of Health and Development“ (NSHD) und bot dem Arzt James Peter Allinson vom Imperial College London und seinem Team die Möglichkeit, die Auswirkungen der frühen Atemwegsinfektionen auf die gesamte Lebensphase zu untersuchen.
Anfangs umfasste die NSHD-Studie 5.362 Kinder, die während einer Woche im März des Jahres in England, Schottland und Wales geboren wurden. Die Probanden wurden seither insgesamt 25 Mal kontaktiert, zuletzt dann im Alter von 73 Jahren, wie das „Ärzteblatt“ aktuell berichtet.
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Nachkriegszeit spielt bei Studie große Rolle
Bei einer Untersuchung im Jahr 1948, als die Kinder zwei Jahre alt waren, wurden die Eltern gefragt, ob ihr Kind schon einmal an einer Bronchitis, Bronchopneumonie oder Lungenentzündung erkrankt gewesen sei. In der Nachkriegszeit war dies bei 913 Kindern (25 Prozent) und damit recht häufig der Fall, was an den oft ärmlichen Verhältnissen und dem Fehlen jeglicher Antibiotika gelegen haben könnte. Im Jahr 1972 wurden 3.589 Teilnehmer untersucht, die inzwischen mit 26 Jahren das Erwachsenenalter erreicht hatten.
Das Forschungsteam ermittelte durch einen Abgleich mit den Sterberegistern, dass 674 Personen inzwischen gestorben waren. Bei 52 war eine Atemwegserkrankung die Todesursache. Am häufigsten war dies eine chronische Lungenerkrankung (31 Personen).
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Wer unter zwei Jahren an Atemwegsinfektion leidet, erhöht sein Sterberisiko als Erwachsener
Die Forscher setzten die Todesfälle durch Atemwegserkrankungen im Erwachsenenalter mit den unteren Atemwegserkrankungen in den ersten beiden Lebensjahren in Beziehung.
Das Ergebnis: Die Kinder, die in den ersten beiden Lebensjahren an einer Atemwegsinfektion erkrankt waren, starben im Erwachsenenalter doppelt so häufig an einer Atemwegserkrankung. Jene Kinder, die dreimal oder noch häufiger unter Atemwegsinfektionen gelitten hatten, starben später fast dreimal so häufig an Atemwegserkrankungen.
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Wenn die Atemwegserkrankungen bereits im 1. Lebensjahr getreten war, erhöhte sich das Sterberisiko ebenfalls, und wenn Kinder im Krankenhaus behandelt werden mussten, umso mehr. Das sogenannte „respiratorische Sterberisiko“ war dann sogar höher als die schädliche Wirkung des Rauchens.
Bis 2019: Hätten 20 Prozent aller respiratorischen Todesfälle in England vermieden werden können?
Nach weiteren Berechnungen des Studienleiters James Peter Allinson könnten die unteren Atemwegsinfektionen in den ersten beiden Lebensjahren in England sogar für 20,4 Prozent aller Todesfälle an Atemwegsinfektionen verantwortlich sein.
Laut des Forschungsteams wären das hochgerechnet für den Zeitraum zwischen 1972 und 2019 in England und Wales 179.188 vorzeitige Todesfälle, die hätten vermieden werden können, wären die Kinder in den ersten beiden Lebensjahren nicht an unteren Atemwegserkrankungen erkrankt.
Hier ein Vergleich: Auf das Rauchen waren im gleichen Zeitraum 57,7 Prozent der respiratorischen Todesfälle zurückzuführen, was hochgerechnet 507.223 Todesfälle bedeutete.
Specht gibt Entwarnung
Allgemeinmediziner Dr. Christoph Specht ordnet die entsprechende Studie eher kritisch ein, der Grund: Die Ergebnisse seien nicht auf die heutige Zeit übertragbar.
„Durch die schlechteren Versorgungsbedingungen und die hohe Schadstoff-Belastung der Luft waren die Menschen damals anfälliger für Atemwegserkrankungen. Diese traten dadurch zum einen häufiger und zum anderen mit schwereren Verläufen auf“, so der Mediziner. Die Ergebnisse der Studie würden deswegen heute vermutlich anders ausfallen.
Auch das Risiko, durch Lungeninfektionen im Kindesalter später an einer Lungenerkrankung zu sterben, verdopple sich nicht, sondern sei lediglich um ein Prozent erhöht. Menschen, die zum damaligen Zeitpunkt an Atemwegsinfektionen erkrankt seien, hätten daher dennoch eine 99-prozentige Wahrscheinlichkeit, an anders gelagerten Faktoren zu sterben.
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Einen Grund zur Sorge gebe es laut Specht auch aus noch einem weiteren Grund nicht: „Vor Viren schützen kann man sich und seine Kinder sowieso nicht – denn die sind überall.“ Bis zu sechs Atemwegsinfekte pro Jahr seien bei Kindern normal. Alles, was weit darüber liege, solle vorsichtshalber ärztlich abgeklärt werden. (mjä/lda)