Aussagen zeigen Schicksale im wohl größten Prozess gegen Kindesmissbrauch in Frankreich
Opfer von Missbrauchs-Arzt – „Erinnere mich, (...) wie ich in Panik nach meinem Vater rief!”

Manche Kinder bekommen im Aufwachraum doch etwas mit!
Viele der insgesamt 299 mutmaßlichen Opfer von Chirurg Joel Le Scouarnec sagen im Laufe des Prozesses aus. Im Durchschnitt sind sie bei den Taten elf Jahre alt und nach der Narkose meist noch nicht wieder bei Bewusstsein. Einige aber offenbar doch! Ein junger Mann, der damals noch ein kleines Kind ist, erinnert sich.
Riesiger Missbrauchsprozess gegen Arzt in Frankreich startet mit erschütternden Aussagen
Gleich zum Auftakt des Prozesses im westfranzösischen Vannes tritt ein junger Mann im Gerichtssaal an das Mikrofon. Er hat einen langen Bart und spricht mit klarer Stimme über das, was der heute 74-jährige Arzt im damals angetan haben soll. „Ich erinnere mich in Teilen an die Taten im Aufwachsaal und wie ich in Panik nach meinem Vater rief”, sagt er. Zu dem mutmaßlichen Missbrauch an ihm kommt es der Anklage zufolge 1995. Er ist eines von fast 300 mutmaßlichen Opfern in einem Fall, der weit über Frankreich hinaus für Entsetzen sorgt.
Die rund 100 Opfer, die am ersten Prozesstag anwesend sind, sind in einem eigenen Saal untergebracht, rund 300 Meter vom Gericht entfernt. Ihre Aussagen werden in den meisten Fällen in den Hauptverhandlungssaal übertragen, in dem Joel Le Scouarnec, seine Anwälte, Staatsanwalt Stéphane Kellenberger und die Vorsitzende Richterin, Aude Buresi, sitzen. Die meisten Opferanwälte fordert keinen Ausschluss der Öffentlichkeit. Sie wollen, dass alle von den mutmaßlichen Schandtaten des ehemaligen Arztes erfahren.
Und auch Staatsanwalt Kellenberger macht deutlich, dass hinter dem kollektiven Begriff „Opfer“ jeweils eine Person stehe. Ein Mensch, dessen Leben durch den Missbrauch vor Gericht „individuell betrachtet” werden wird. „Manche erinnern sich an die Taten, andere nicht (...) alle gehen unterschiedlich damit um”, sagt Kellenberger.
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Viele der ihm vorgeworfenen Taten hat der Angeklagte schon im Vorfeld gestanden. Als er den Saal betritt und auf seinen Platz in einer Box hinter Sicherheitsglas geht, wirkt er wie ein ganz netter, freundlicher, älterer Herr. Die Angaben zu seiner Person äußert er mit klarer, deutlicher Stimme. Ansonsten wirkt der 74-Jährige emotionslos. Es entsteht fast der Eindruck, das Ganze geht ihn eigentlich gar nichts so recht etwas an.
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Auch vor Gericht wiederholt er sein Geständnis: „Ich habe abscheuliche Taten begangen”, sagt er nach Verlesung der Anklageschrift und der Namen aller Opfer. „Mir ist heute klar, dass diese Verletzungen nicht weggewischt werden können und auch nicht reparierbar sind (...) Ich muss die Verantwortung für meine Taten tragen und die Konsequenzen für die Opfer, die sie für die Dauer ihres Lebens haben werden”, so der Angeklagte.
Die Verhandlung soll bis Juni dauern, dem 74-Jährigen drohen bis zu 20 Jahre Haft.