„Leben nur in Träumen. Hoffnung auf ein Irgendwann”Albtraum ME/CFS! Anne (38) lebt in völliger Dunkelheit

Anne Struve-Schmidt in ihrem Bett und abgedunkelten Schlafzimmer, das sie seit  zwei Jahren nicht verlassen hat.
Anne Struve-Schmidt in ihrem Bett im abgedunkelten Schlafzimmer, das sie seit zwei Jahren nicht verlassen hat.
Privat

„Meine Frau lebt im Dunkeln.“
Ein Satz, der für Hannes Schmidt (39) bittere Realität ist. Der Flensburger pflegt seine Frau, seit zwei Jahren hat Anne Struve-Schmidt (38) ihr Bett nicht verlassen. Die Mutter von zwei Kindern infizierte sich mit Borreliose und steckte sich mit dem Coronavirus an – Infektionen, von denen sie sich nie wieder erholt hat. Heute leidet sie an ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom) und kann nur noch 15 Minuten am Tag mit ihrer Kleinen verbringen. Im RTL-Interview erzählt ihr Mann, was es für seine Frau bedeutet, nur noch von der Hoffnung am Leben gehalten zu werden.

Leben vor ME/CFS: „Mit ihrer eigenen Praxis erfüllte sie sich einen Lebenstraum“

Anne Struve-Schmidt ist nicht gestorben, aber das wahre Leben und alles, was es ausmacht, wurde ihr genommen.

Jahrelang arbeitete Anne selbstständig als Psychotherapeutin für Kinder- und Jugendliche. Sie war extrem engagiert, liebte ihren Beruf: „Mit ihrer eigenen Praxis erfüllte sie sich einen Lebenstraum“, erzählt ihr Mann im RTL-Interview. Seine Frau habe aber nicht nur viel gearbeitet, sondern auch das Reisen geliebt. Zahlreiche Fernreisen hätten sie gemeinsam unternommen und später dafür sogar einen Ford-Transit ausgebaut. „Mit dem Bus wollten wir viele Urlaube machen und oft unterwegs sein. Geschafft haben wir nur eine zweiwöchige Tour durch Deutschland, als unsere kleine Tochter schon im Bauch mit uns unterwegs war“, erinnert er sich. Seine Frau Anne kann ihre Geschichte nicht selbst erzählen, dafür reicht die Kraft nicht.

Lese-Tipp: Rettungssanitäterin Julia (42) ist ein Pflegefall, bekommt aber keinen Cent!

Anne (38) infiziert sich mit Borreliose und erholt sich nicht

Der Leidensweg seiner heute schwerkranken Frau begann 2011. Vermutlich in einem Südfrankreich-Urlaub wird Anne Struve-Schmidt von einer Zecke gebissen und infiziert sich mit Borreliose. „Sie hatte über lange Zeit unerklärliche Symptome in verschiedenen Körperregionen, die ganz breit gefächert waren. Von Gelenkschmerzen, über Hautausschläge, Migräne, Muskelzuckungen, häufiges Krankheitsgefühl bis hin zu Herzrhythmusstörungen war alles dabei“, erzählt ihr Mann. Besonders auffällig sei gewesen, dass sie sich seitdem nicht mehr länger körperlich anstrengen konnte.

Gute Zeiten: Anne Struve-Schmidt mit ihrem Mann Hannes in einem der gemeinsamen Urlaube.
Gute Zeiten: Anne mit ihrem Mann Hannes in einem gemeinsamen Urlaub.
Privat

„An Wanderungen in unseren Urlauben war nicht mehr zu denken, nach einem halbstündigen Spaziergang war Schluss. Anne ist zwar dagegen angegangen und sagte sich: ‚Ich bin doch eine junge Frau, das muss doch jetzt drin sein‘, doch sie konnte sich nicht mehr stark belasten.“ Im Job sei sie aber zu dieser Zeit noch überdurchschnittlich leistungsfähig gewesen.

Lese-Tipp: Vierfach-Mutter gelähmt und fast gestorben - wegen einer Zecke!

Anzeige:
Empfehlungen unserer Partner

Corona-Infektion bei Flensburgerin: „Geht in jede Zelle meines Körpers“

Damals seien die Symptome immer wieder abgeklungen. Anne habe gute Phasen gehabt – bis eine Corona-Infektion im Jahr 2022 alles verändert. Während der Pandemie habe sie immer eine Maske getragen und sich geschützt, auch wegen ihrer Borreliose-Erkrankung. „An der Abiturfeier ihrer ältesten Tochter hat sie aber eine Ausnahme gemacht und die Maske abgenommen, weil sie eine Rede halten sollte“, so ihr Mann. Heute glaubt die Familie, dass sie sich dort mit Covid ansteckte. Bereits während ihrer Corona-Erkrankung habe Anne gespürt, dass es sie besonders heftig erwischt hatte.

„Sie sagte: ‚Es geht in jede Zelle meines Körpers‘”, erzählt ihr Mann. Und etwas blieb, als Corona abklang: der permanente Schwindel und eine stark ausgeprägte Erschöpfung. Anne schaffte nicht mehr viel, war schnell müde. Einmal, so erinnert sich der 39-Jährige, musste sich seine Frau beim Spielen mit der kleinen Tochter hinlegen und im Liegen weiterspielen. „Da habe ich angefangen, mir Sorgen zu machen.“ Wie berechtigt diese Sorge war, das ahnte damals noch niemand.

Lese-Tipp: RTL-Reporterin mit Long Covid: Ich fühle mich im Stich gelassen!

„Ab April 2023 konnte Anne dann nicht mehr aus dem Bett aufstehen“

„Danach wurde es immer weniger, dass unsere Tochter zu ihr konnte. Ab April 2023 konnte Anne dann nicht mehr aus dem Bett aufstehen“, erzählt Hannes Schmidt. In einem Zeitraum von eineinhalb Jahren, in der schlimmsten Zeit, habe Anne ihre Tochter insgesamt höchstens drei Mal kurz gesehen. 2023 bekommt sie die Diagnose ME/CFS. Heute liegt Hannes’ Frau 24 Stunden am Tag in einem völlig abgedunkelten Raum mit einer Schlafmaske und Ohrstöpseln.

Anne kann ihre Tochter (3) nur 15 Minuten am Tag sehen.
Anne kann ihre Tochter nur 15 Minuten am Tag sehen.
Privat

Anne hat eine besonders schwere Form der tückischen Krankheit. Betroffene leiden nicht nur an einer schweren körperlichen Schwäche, sondern auch unter neurologischen und immunologischen Symptomen. Laut Experten gibt es 600.000 Betroffene allein in Deutschland.

„Anne hat unserer Tochter erklärt, dass ihr Akku kaputt ist“

Heute hat Anne Pflegegrad 4, kann nicht mehr aufstehen, sich nicht aufrichten, sich nicht versorgen, sich nicht waschen, nicht zur Toilette gehen. Noch gibt es keine Heilung, viele Medikamente muss die Familie selbst bezahlen. „Ohne Spenden und Hilfe von außen wären wir schon bankrott“, weiß der Familienvater. Freunde der Familie sammeln Spenden auf der Plattform GoFundMe, damit sie sich über Wasser halten und Annes Pflege finanzieren können.

Vor der Erkrankung: Anne Struve-Schmidt mit ihrer kleinen Tochter.
Vor der Erkrankung: Anne Struve-Schmidt mit ihrer kleinen Tochter.
Privat

Anne ist permanent auf Hilfe angewiesen – in einem abgedunkelten Zimmer, das sie nicht mehr verlassen kann. Ein Hoffnungsschimmer? Aktuell kann sie ihr Kind 15 Minuten am Tag sehen. „Anne hat unserer Tochter erklärt, dass ihr Akku kaputt ist und sich nicht mehr richtig aufladen lässt – oder eben nur ganz langsam“, berichtet Hannes Schmidt. Das habe die Kleine mit ihren Dreieinhalbjahren mittlerweile verstanden.

Annes Sicht: „Nicht leben, aber auch nicht sterben“

Was macht diese Situation mit einer jungen Familie? „Dieser Zustand ist unerträglich für uns alle“, sagt Hannes Schmidt. Annes Handy sei aktuell die einzige Möglichkeit für sie, um mit der Außenwelt in Kontakt zu treten. In den wenigen Augenblicken, die es ihr ermöglichen, auf ihr Handy zu schauen, teilt sie ihre Gedanken auf dem Instagram-Account: „anne_in_the_dark.“

„Manche Dinge weiß man umso mehr zu schätzen, wenn sie vorbei sind. Ich hätte nie gedacht, dass es einen Zustand wie diesen gibt. Nicht leben, aber auch nicht sterben. Leben nur in Träumen. Hoffnung auf ein Irgendwann. Abhängig davon, wieviel der Politik und der Pharmaindustrie unsere Leben bedeuten“, schreibt Anne bei Instagram. Das ist auch für ihren Mann ein wichtiges Thema.

Video-Tipp: ME/CFS riss Timo (27) aus dem Leben

„Patienten wird nicht geglaubt, weil die Krankheit sprichwörtlich unglaublich ist“

„Viele ME/CFS-Patienten werden stigmatisiert. Ihnen wird nicht geglaubt, weil die Krankheit sprichwörtlich unglaublich ist“, weiß Hannes Schmidt mittlerweile aus eigener, leidvoller Erfahrung.

Zu oft würde die Erkrankung in die Psycho-Ecke geschoben und eine Depression vermutet. „Wir haben es hier mit einer schweren neuroimmunologischen Erkrankung zu tun, die klar diagnostiziert werden kann.“ Anne hat die Hoffnung, dass die Forschung angekurbelt wird, wenn das Thema mehr Aufmerksamkeit bekommt. „Das ist für uns alle der größte Wunsch“, appelliert ihr Mann. Und für Anne ein Licht in der tiefen Dunkelheit.