Großeinsatz in GrazMehrere Tote an österreichischem Gymnasium! Warum laufen Menschen Amok?

Schüsse in Österreich!
Ein Großeinsatz an einem Grazer Gymnasium lässt uns am Dienstagmorgen den Atem anhalten: Ein mutmaßlicher Amokläufer soll Medien zufolge mehrere Schüler sowie sich selbst getötet haben. Weitere Schüler und Lehrer seien schwer verletzt worden. Was bewegt einen Menschen zu einer solchen Tat?
Graz: Amok-Schütze tötet mehrere Kinder und anschließend sich selbst
Ein Täter (21) soll nach RTL-Informationen am Morgen des 10. Juni durch Klassenzimmertüren hindurch geschossen haben, dabei rund zahlreiche Schüler und Lehrer verletzt haben. Elf Menschen verloren bei der Amoktat ihr Leben, darunter der Täter.
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Während das Gebäude, das Bundesoberstufengymnasium, wie die Kronen-Zeitung berichtet, evakuiert wurde und der mutmaßliche Schütze – ein Ex-Schüler des Gymnasiums – sich das Leben genommen hat, bangen die Verletzten und Angehörige im Schockraum und in der Notaufnahme des örtlichen Krankenhauses um ihre Liebsten.
Doch was treibt jemanden zu einer solchen Handlung?
In einem RTL-Interview von 2022 hat uns Psychotherapeut und Trauma-Experte Dr. Christian Lüdke mögliche Hintergründe zu einer Amokfahrt in Berlin erklärt. Damals sagte er: „Jede psychische Ausnahmesituation ist immer eine gestörte Beziehung zu Menschen – also eine Beziehungsstörung. In diesem Fall liegt eine gestörte Beziehung zu einem oder mehreren Menschen vor, die sich über einen längeren Zeitraum entwickelt hat. Letztendlich liegt auch eine gestörte Beziehung zu sich selbst vor.”
In solchen Fällen könnten über Jahre hinweg entwickelte ernsthafte psychische Störungen eine Rolle spielen, wie zum Beispiel eine „Impuls-Kontrollstörung“. Also eine psychiatrische Erkrankung, die sich durch impulsives Handeln bei gestörter Selbstkontrolle auszeichnet. Sie äußert sich durch ein zwanghaftes Verhalten, das vom Patienten nicht oder nur teilweise gesteuert werden kann. „Hinzu kommt eine unglaubliche Aggression“, so Lüdke.
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Psychotherapeut erklärt: „Amoktaten sind geplante Handlungen und keine Kurzschlussreaktionen”
Einer Amoktat gehe oft ein auslösendes Ereignis voraus, zum Beispiel ein Streit mit der Freundin, oder einer nahestehenden Person kurz vor der Tat, der dann das Fass zum Überlaufen gebracht habe. „Aus der Amok-Forschung weiß man, dass Menschen, die Amok fahren, im Grunde genommen ihren eigenen Selbstmord planen und inszenieren. Bevor sie aber selbst sterben, wollen sie möglichst viele Menschen töten und das Ganze mit einem relativ geringen Aufwand – mit dem Auto in eine Menschenmenge fahren, oder mit einer Waffe in einen Klassenraum gehen, das sind klassische Beispiele. Diese Menschen töten in blinder Wut. Sie geraten gefühlsmäßig in eine Vollnarkose“, schildert Lüdke.
Die Fähigkeit zur Empathie sei in diesem Zustand nicht mehr möglich.
„Amoktaten sind geplante Handlungen und keine Kurzschlussreaktionen“, so Lüdke. Diese Menschen fühlten sich aufgrund von Erlebnissen in frühester Kindheit oft jahrelang ohnmächtig und von ihrem unmittelbaren Umfeld, zum Beispiel vom Elternhaus, nicht geliebt. Durch diese tiefen ungestillten Bedürfnisse würden sie über Jahre hinweg psychische Probleme entwickeln.
„Bei meinen Vorträgen verwende ich die Metapher ‚Arschloch-Kinder‘, um es plastisch zu erklären. Auch, wenn der Begriff sehr hart ist. Diese Kinder tauchen bereits in der dritten Klasse auf und sind unbeliebt“, so Lüdke. „Deswegen entwickeln sie schon früh ein Programm, das heißt: Wenn ich schon nicht geliebt werde, dann will ich wenigstens gehasst werden“, erklärt der Psychotherapeut. Da diese Kinder ständig Demütigung erleben würden, müssten schon in der Kindheit andere herhalten und würden deren Wut abbekommen.
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Amoktäter fühlen sich jahrelang ohnmächtig – und wollen sich dann einmal kurz allmächtig fühlen
Menschen mit derartigem Krankheitsbild wollen laut des Experten gerne einmal im Mittelpunkt stehen.
„Aus dieser Ohnmacht wird bei Amoktätern dann der Wunsch, allmächtig zu sein und einmal Macht auszuüben. Selbst für kurze Augenblicke wollen die Täter Macht und Kontrolle über andere Menschen haben“, so der Experte. Je wehrloser die Opfer seien, desto mächtiger würde sich der Amoktäter fühlen. „Die Opfer stehen da völlig ahnungslos und ein Mensch brettert in sie hinein. Diese Handlung spiegelt Allmachtsphantasien wider“, erklärt Lüdke.
Dr. Christian Lüdke stellt seinen Patienten oft die Frage: Fühlst du dich geliebt? Wer sie bejahen könne, habe oft weniger Probleme und könnte damit durchs Leben kommen. Amoktäter würden die Frage häufig verneinen und sich dadurch im Laufe ihres Lebens psychologisch stark auffällig verhalten.
Doch hätte man die Tat grundsätzlich noch verhindern können?
„Unmittelbar vor der Tat hätte niemand die Tat noch verhindern können“, schildert Lüdke. Auffälligkeiten müssten schon früh behandelt werden. „Solche Täter werden oft zuvor über die Sprache aggressiv und äußern sich ironisch, zynisch und sarkastisch. Solche Täter sind in der Regel schon in der Schule auffällig. Und dann muss auch spätestens eingegriffen werden, um Schlimmeres zu verhindern“, erklärt der Psychotherapeut abschließend.
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Hier findet ihr Hilfe in schwierigen Situationen
Solltet ihr selbst von Suizidgedanken betroffen sein, sucht euch bitte umgehend Hilfe. Versucht, mit anderen Menschen darüber zu sprechen! Das können Freunde oder Verwandte sein. Es gibt aber auch die Möglichkeit, anonym mit anderen Menschen über eure Gedanken zu sprechen. Das geht telefonisch, im Chat, per Mail oder persönlich.
Wenn ihr schnell Hilfe braucht, dann findet ihr unter der kostenlosen Telefon-Hotline 0800-1110111 oder 0800-1110222 Menschen, die euch Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen können.