Schutzmacht FIFA eiskalt brüskiert

WM-Gastgeber kippt Bierregel: Eine Demonstration der katarischen Willkür

von Tobias Nordmann

48 Stunden vor dem Auftakt der Fußball-Weltmeisterschaft setzt sich Gastgeber Katar doch noch durch: Rund um die Stadien wird kein Alkohol verkauft. Es ist eine gefährliche Kehrtwende. Eine, die die Machtverhältnisse bei diesem Turnier auf eindrucksvolle Weise entlarvt.

Eine Marginalie? NEIN!

Was hat die FIFA nicht alles getan und ertragen, um die anstehende Fußball-Weltmeisterschaft im Emirat Katar zu beschützen. Die bedingungslose Wächter-Rolle gipfelte zuletzt sogar in einem absurden Propagandabrief des allmächtigen Verbandsboss' Gianni Infantino, der die 32 teilnehmenden Nationen bat, das Politische aus diesem Turnier doch bitte herauszuhalten. Man kann, nein, man muss dieses Vorhaben so interpretieren: Lasset uns die Spiele feiern und vergessen wir einfach, was war. Vergessen wir etwa die Menschenrechtsverletzungen, den Tod von Tausenden Arbeitsmigranten und die Repressionen gegen die LGBTQI+-Bewegung.

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Doch nun, 48 Stunden vor Beginn der Weltmeisterschaft, wird der Wächter FIFA von jenen erdolcht, die er über zwölf Jahre gegen alle Attacken verteidigt hat. Dabei selbst jeden noch vorhandenen Rest Moral über den Haufen warf. Das Emirat kippt die Vereinbarungen zum Verkauf von alkoholhaltigem Bier im Stadion. Man kann das für eine Marginalie halten, doch das ist es nicht. Der WM-Gastgeber zeigt, wer die Hoheit bei diesem Turnier hat, er brüskiert die FIFA - und die fällt wieder in sich zusammen wie eine feuchte Pommes. In einer Mitteilung heißt es: Es werde weiterhin ein "angenehmes, respektvolles und zufriedenstellendes Stadionerlebnis sichergestellt". Eher unangenehm dürften für die FIFA die Gespräche mit der Brauerei Budweiser werden.

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Die FIFA wusste von Anfang an, mit wem sie es zu tun hat

Wie wichtig der FIFA der Bier-Deal eigentlich ist, zeigt ein Beispiel der Weltmeisterschaft in Brasilien 2014. Vor dem Turnier war der Alkohol-Ausschank in den Stadien gesetzlich verboten, doch der Weltverband wollte das unbedingt anders. Und so verabschiedete der brasilianische Senat im Mai 2012 die sogenannte "Budweiser Bill" - der Bierverkauf in den Stadien war damals plötzlich erlaubt. Die FIFA hatte ihre Macht demonstriert. Doch nun hat sie einen Mächtigeren gefunden. Die Folgen sind (noch) nicht absehbar.

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Dabei geht es im Kern nicht einmal um das spontan verbotene Bier. Alkohol ist in Katar nicht gänzlich verboten, wird aber nur sehr eingeschränkt etwa in Bars oder Restaurants bestimmter Hotels ausgeschenkt. Es ist ja eine Frage des Respekts, den Umgang mit Alkohol in anderen Ländern zu akzeptieren und tolerieren. Und wäre die Lage von vornherein klar gewesen (was sie im Ursprungskonzept war) und nicht immer wieder in Kompromisse gegossen worden, wäre der Aufschrei nur einmal groß gewesen, die Sache aber nie zu solch einer gefährlichen Machtdemonstration ausgewachsen. Und die FIFA kann sich nicht einmal mit dem Argument herausreden, dass ein Regierungswechsel die Bedingungen verändert hätte. Seit zwölf Jahren weiß der Verband, mit wem er es zu tun hat - und hat sich höflich zur Geisel gemacht. Infantino selbst zog nach Katar. Vermutlich nicht nur, weil es dort wärmer ist als in seiner Schweizer Heimat. Und auch nicht, um die Lage auf den Baustellen zu überwachen.

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Stehen auch andere Zusagen Katars auf der Kippe?

Es ist schon fast zynisch, dass die FIFA auch jenes Duell mit Katar verliert, in dem sie dem Vernehmen nach am vehementesten gekämpft hat. Bis zuletzt hatte sich der Weltverband gegen dieses Verbot gewehrt, hieß es in mehreren internationalen Medienberichten. Wie oft hätte man sich ein solches Engagement an anderen Stellen gewünscht, etwa zuletzt, als der Satz des WM-Botschafters Khalid Salman "Schwulsein ist ein geistiger Schaden" gefallen war. Aber der Weltverband schwieg, wie so oft, wenn es brenzlig wurde und mal Haltung gefragt war.

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Bloß nicht den Gastgeber provozieren, der sich in den internationalen Fußball und in viele Staaten mit all seinen Verbindungen und Abhängigkeiten machtvoll eingekauft hat. Der FC Bayern weiß davon zu berichten und muss nach der Weltmeisterschaft die brisante Frage nach der weiteren Zusammenarbeit mit Sponsor Qatar Airways für sich beantworten. Auch die Franzosen lavieren sich mit seltsamen Rechtfertigungen durch, um den Verzicht auf die Toleranz-Binde am Arm beim Turnier zu erklären. Zu groß ist der ökonomische Druck. Zu groß die Angst in den vorherrschenden Kriegszeiten einen unverzichtbaren Partner zu verprellen oder gar zu verlieren.

Doch wie verlässlich ist dieser Partner? Für die FIFA lautet die Antwort nun: Katar ist unberechenbar. So wächst die Sorge, dass es nicht nur beim Kippen der Biervereinbarung bleibt. Stehen auch andere Zusagen plötzlich auf der Kippe? Etwa Sicherheitsgarantien für queere Menschen. Man muss nicht das schlimmste Szenario ausmalen, aber das Vertrauen in das Wort Katars ist massiv erschüttert. Für die FIFA bedeutet das auch, dass sie längst nicht mehr die Kontrolle über das Turnier besitzt. Gegen die Willkür ist der hörige Weltverband machtlos. Der Dolch der Macht ist stets im Rücken - nun wurde er zum ersten Mal durchgedrückt.