„Klare Verrohungstendenzen in unserem Land“
Seehofer: Politisch motivierte Kriminalität nimmt deutlich zu
Rekordhoch bei politisch motivierter Kriminalität
Heinz Ostermann ist schon mehrfach Opfer rechtsextremer Gewalt geworden. Der Buchhändler aus Berlin Neukölln veranstaltete eine Diskussionsveranstaltung gegen Rechtspopulismus – kurz danach wurde seine Scheibe eingeworfen, einige Wochen später brannte sein Auto, ein Jahr später wurde der Wagen erneut angezündet – sehr wahrscheinlich von polizeibekannten Neonazis. Mittlerweile steht der Buchhändler unter Polizeischutz. Und er ist nicht allein.
Im vergangenen Jahr hat die Polizei mehr politisch motivierte Straftaten registriert als in den letzten zehn Jahren. Insgesamt gab es 2020 rund 44.700 solcher Straftaten – ein Plus von 8,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Sowohl von Links- als auch Rechtsextremisten nehmen vor allem die Gewalttaten zu.
Besonders Gewalttaten nehmen zu
Wie Heinz Ostermann geht es vielen Menschen in Deutschland – sie sind Opfer politisch motivierter Kriminalität geworden. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) nennt den Anstieg der Zahlen „sehr beunruhigend“, weil vor allem die Gewaltkriminalität zunehme.
„Es gibt klare Verrohungstendenzen in unserem Land", sagte Seehofer. Und tatsächlich: Die Zahl politischer Gewalttaten stieg um 18,8 Prozent auf insgesamt 3.365. Besonders groß ist der Anstieg aus dem linken Spektrum. Dort stieg die Zahl um rund 45 Prozent auf 1.526 Taten. Rechtsextremisten begangen im letzten Jahr 1.092 Gewalttaten – ein Plus von elf Prozent. Elf Menschen wurden 2020 aus politischen Gründen getötet, außerdem habe man 13 versuchte Tötungen registriert.
Rechtsextremismus weiter größte Bedrohung
Bezogen auf sämtliche politisch motivierten Straftaten machen die von Rechtsextremisten etwas mehr als die Hälfte aus. Die andere Hälfte teilen sich unter anderem Linksextremisten, religiöse Fundamentalisten, ausländische Ideologie und andere. Deshalb sei laut Seehofer „der Rechtsextremismus die größte Bedrohung für die Sicherheit in unserem Land“. Er stellt aber auch klar: „Extremismus in all seinen Formen bleibt eine Bedrohung in unserer Gesellschaft“.
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Auch Corona sorgt für Anstieg der Kriminalität
Die teilweise gewaltsamen Auseinandersetzungen bei Protesten gegen die Anti-Corona-Maßnahmen zeigen sich auch in der Kriminalstatistik. Seehofer sagte, dass die Demonstranten ihr Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit wahrnähmen, auf den Demos bildeten sich aber Allianzen zwischen normalen Bürgern und Extremisten verschiedenster Art.
20 Prozent mehr Hasskriminalität
Besonders die Zahl ausländerfeindlicher Straftaten stieg um mehr als 72 Prozent auf 5.298. Aber auch in den Bereichen fremdenfeindlicher Straftaten, Straftaten aufgrund der sexuellen Orientierung und antisemitischer Straftaten gab es einen Anstieg. Dabei kamen fast 95 Prozent aller antisemitischen Straftaten von rechts.
Opfer sind enttäuscht
Buchhändler Heinz Ostermann beunruhigt vor allem, dass die Tatverdächtigen, die sein Auto angezündet haben sollen, mittlerweile wieder auf freiem Fuß sind. Angeblich soll von ihnen keine Gefahr ausgehen. Die Enttäuschung werde immer größer sagt Ostermann. „Seit Jahren werden wir vertröstet. Die Zweifel werden immer größer.“ Er wünscht sich deutliche Signale, dass die Behörden den Straftaten „knallhart nachgehen“. Den Glauben an den Rechtsstaat hat er aber noch nicht verloren.