Serpil Unvar lebt monatelang in Todesangst

Mutter von Hanau-Opfer: Der Vater vom Mörder meines Sohnes steht jeden Tag vor meiner Tür

Trauer, Angst, Hilflosigkeit: Serpil Unvar zeigt sich schwer belastet im RTL-Interview.
Zwischen Trauer, Angst und Hilflosigkeit: Serpil Unvar zeigt sich schwer belastet im RTL-Interview.
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von Sarah Thoemmes und Gunda Möller

Am 19. Februar 2020 starb ihr Sohn durch die Waffe von Attentäter Tobias R.. Der schlimmste Tag im Leben von Serpil Unvar – und neben der unfassbaren Trauer gingen ihre Qualen weiter: Seit mehreren Monaten sucht der Vater des Hanau-Attentäters, Hans-Gerd R., sie vor ihrem Haus auf, ihre Familie lebt in ständiger Angst. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen den 75-Jährigen, am Montag sollte er sich wegen Verdachts der Nachstellung vor Gericht äußern, erschien jedoch nicht zum Termin.

Serpil Unvar: Hans-Gerd R. taucht regelmäßig am Schulhof meiner Kinder auf

„Was muss noch passieren? Muss er mit der Pistole kommen?“: Serpil Unvars Verzweiflung ist ganz offensichtlich, als RTL-Reporterin Sarah Thoemmes mit ihr über ihren unvorstellbaren Alltag spricht. Jeden Tag zeige sich der Vater des Attentäters Tobias R. vor ihrer Haustür. Sogar ihre Kinder belästige er – regelmäßig tauche Hans-Gerd R. zur großen Pause am Schulhof auf und provoziere mit seiner Gegenwart. Er ist ständig präsent in Serpils Leben, der Vater des Mannes, der im Februar 2020 neun Menschen mit Migrationshintergrund tötete – darunter auch ihren Sohn Ferhat.

Alptraum: Der Spaziergänger vor ihrer Haustür entpuppt sich als Vater des Mörders ihres Sohnes

„Er spielt mit meinen Schmerzen“, sagt die Frau aus Hanau-Kesselstadt, ein Stadtteil mit vielen Migranten. Im Herbst 2022 hatte sie Tobias R.s Vater das erste Mal auf der Straße getroffen, dachte zunächst, er sei ein „älterer Mann auf einem Spaziergang mit seinem Hund“. Doch plötzlich habe ihr dieser Mann komische Fragen gestellt: „Warum bist du nach Deutschland gezogen? Von wo bekommst du Geld?“ Immer wieder tauchte er vor ihrer Wohnung auf, Serpil macht Fotos und Videos von ihm, geht damit zur Polizei. Und die bestätigt: Der Mann, der sie ständig zu beobachten scheint, ist der Vater von Tobias R., dem Mann, der ihr und ihrer Familie so unendlich große Schmerzen zugefügt hat.

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Polizeischutz vor der Haustür - doch die Angst außerhalb ihrer Wohnung bleibt

Und auch über zwei Monate, nachdem sie Anzeige erstattete, wird sie weiter von Hans-Gerd R. belästigt. Serpil steht unter Polizeischutz, doch die Beamten bewachen lediglich ihr Haus. „Er darf mir nicht näher als 30 Meter kommen“, die Polizei hält ihn ab. Doch wie lange noch ist der Schutz garantiert, was passiert, wenn sich der Mann ihr außerhalb ihrer vier Wände nähert und kein Polizist in der Nähe ist? Die Gefahr, die für Serpil von Hans-Gerd R. ausgeht, ist allgegenwärtig, für ihre ganze Familie. „Ich kann meine drei Kinder ja auch nicht einsperren“, erklärt die alleinerziehende Mutter. Auch für die Kinder sei es Psychoterror, den Vater des Mörders ihres Bruders täglich zu sehen.

Ferhart Unvars Mutter: "Für mich hat auch er meinen Sohn getötet"

Nicht nur das Bild von ihrem Sohn Ferhat erinnert seine Mutter an die schrecklichen Geschehnisse in Hanau.
Nicht nur das Bild von ihrem Sohn Ferhat erinnert seine Mutter an die schrecklichen Geschehnisse in Hanau.
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Für Serpil Unvar scheint der Mörder ihres Sohnes nicht mit dem Suizid von Tobias R. gestorben zu sein. „Wegen der Ideologie seines Vaters ist Tobias so geworden“, sagt die Mutter. Hans-Gerd R. sei verantwortlich für die Taten seines Sohnes. „Für mich hat auch er meinen Sohn getötet.“ Er sei „aktiv als Rassist“ wie sein Sohn, man müsse handeln und Schlimmeres verhindern, so ihre Forderung.

Verhandlung gegen Tobias R.s Vater ist Serpils Hoffnung

Eine unerträgliche Situation für eine Mutter. Trauer, Wut, Hilfslosigkeit – die Frau mit kurdischen Wurzeln hat so starke Emotionen, dass sie sie „kaum beschreiben“ kann. „Ich kann nichts machen. Wie lange soll ich mit dieser Situation leben? Was muss passieren? Ich brauche eine Lösung!“, bittet Serpil Unvar unter Tränen. Ihre Hoffnung ist nun die Anhörung von Tobias R. vor dem Amtsgericht Hanau. Die Staatsanwaltschaft Hanau hatte die Ermittlungen gegen den 75-Jährigen aufgenommen. Zum ersten angesetzten Termin am 30. Januar war der Vater von Tobias R. nicht erschienen, die Anhörung wurde verschoben. „Wenn er psychisch krank ist, dann muss er in die Psychiatrie oder wenn er ein Rassist und gefährlich ist, dann muss er in den Knast. Eines von beiden muss passieren“, hofft Serpil. Bereits im Oktober 2021 war der Vater des Hanau-Attentäters zu Geldstrafen verurteilt worden, weil er Behörden und Hinterbliebene von Hanau-Opfern beleidigt hatte. Die Richterin bescheinigte ihm schon damals „rassistisches Gedankengut“.

Eren Okzu unterstützt Serpil Unvar bei der Bildungsinitiative Ferhat Unvar, die sie im Gedenken an ihren Sohn gründete und die Betroffenen von Rassismus eine Anlaufstelle bietet.
Eren Okzu unterstützt Serpil Unvar bei der Bildungsinitiative Ferhat Unvar, die Betroffenen von Rassismus eine Anlaufstelle bietet.
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Serpils Kollege Eren: "Dieser Mann ist eine tickende Zeitbombe"

Doch er lässt nicht davon ab, seine Gesinnung zu zeigen. „Er ist Rassist und für die Gesellschaft gefährlich“, steht für Serpil Unvar fest. „Der Mann ist eine tickende Zeitbombe“, bestätigt Eren Okzu, Mitglied von Serpil Initiative für jugendliche Migranten. Die Menschen in seiner Stadt seien wütend, man habe „nichts gelernt aus diesem Anschlag“. Seine Forderung: Langfristig müsste die Polizei vor der Tür von Hans-Gerd R. stehen, solle es zu keinem Prozess gegen Hans-Gerd R. kommen.