„Der Einzige, der sich freut, ist der Angeklagte“

Tag 7 beim Halle-Prozess – zufriedener Angeklagter und streitende Anwälte

 Sechster Prozesstag im Landgericht Magdeburg gegen den Halle Attentäter Stephan Balliet insgesamt fünf Richterinnen und Richter entscheiden am Ende über das Urteil, ein sechster steht als Reserve parat. Die Vorsitzende Richterin ist Ursula Mertens. 43 Nebenklägerinnen und -kläger sind zum Prozess am Landgericht in Magdeburg zugelassen, die von 21 Anwälten beraten werden. Personen Bitte Pixeln-Personen Unkenntlich machen *** Sixth day of trial at Magdeburg Regional Court against the hall assassin Stephan Balliet A total of five judges decide on the verdict in the end, with a sixth one standing in reserve The presiding judge is Ursula Mertens 43 plaintiffs are admitted to the trial at Magdeburg Regional Court, advised by 21 lawyers Pers
Prozesstag im Landgericht Magdeburg gegen den Halle Attentäter Stephan B.
www.imago-images.de, imago images/Christian Schroedter, Christian Schroedter via www.imago-images.de

Der siebte Prozesstag gegen Stephan B., den Attentäter von Halle, beginnt mit einer seltsamen Diskussion: Fenster im Verhandlungssaal geöffnet lassen oder schließen? Denn über Magdeburg braut sich ein Sturm zusammen – im Gerichtssaal auch, allerdings erst später.

Prozess gegen Halle-Attentäter in Madgeburg: Zeugen vom Bundeskriminalamt

Geladen sind am Mittwoch (26. August) sechs Zeugen. Bis auf die Schulleiterin der Schule, an der Stephan B.s Mutter bis nach dem Attentat Ethik unterrichtet hatte, werden Mitarbeiter des Bundeskriminalamts gehört. Sie alle hatten sich mit dem digitalen Leben des Angeklagten auseinandergesetzt. Sie haben seine Bewegungen auf den sogenannten Imageboards – Internetforen, auf denen meist anonym Bilder und Texte ausgetauscht werden können, auf denen es oft rau zugeht und die von Rassismus, Sexismus und Extremismus geprägt sind – nachvollzogen. Sie haben die Daten auf den Speichersticks, die sie in seiner Ausrüstung oder im Fluchtfahrzeug gefunden hatten, ausgewertet.

Auch seine Computer wurden von den Beamten untersucht. Doch nicht alles konnten sie analysieren. Als die Beamten in Stephan B.s Zimmer kamen, lief bereits ein Löschprogramm. 13 Prozent der Daten waren bereits weg, konnten teilweise auch nicht mehr hergestellt werden. Auch verschlüsselte Dateien gab es. Diese konnten bis heute in Teilen nicht entschlüsselt werden. Der Angeklagte ist dabei keine Hilfe, schweigt sich über die Zugangsdaten aus. Eine Beamtin der mehr als 200 Mitarbeiter starken Ermittlergruppe „Concordia", hatte sich mit seinem Gamingverhalten befasst.

Niemand will Stephan B. Raum für rassistische Ideologien geben

 26.08.2020, xtgx, News Prozess, Strafverfahren gegen Stephan B. emspor, v.l. Polizisten vor dem Landgericht in Magdeburg Magdeburg *** 26 08 2020, xtgx, News Trial, Criminal proceedings against Stephan B emspor, v l police officers at the Magdeburg Regional Court Magdeburg
Sicherheitsvorkehrungen vor dem Landgericht in Magdeburg
www.imago-images.de, imago images/Jan Huebner, Jan Huebner/Taeger via www.imago-images.de

Die BKA-Mitarbeiter berichten unter anderem vom Manifest und einigen anderen Dokumenten, die Stephan B. vor der Tat veröffentlichte und die auf seinen Speichermedien gefunden wurden. Immer wieder wird überlegt, wie über diese Schriftsätze gesprochen werden kann, ohne die teils menschenverachtenden und antisemitischen Aussagen zu wiederholen und dem Angeklagten so wieder die Möglichkeit zu geben, dass seine krude Weltanschauung öffentlichen Raum findet. Ein schmaler Grat, denn wie über etwas reden, das nicht ausgesprochen werden soll?

Die Prozessbeteiligten sehen auf kleinen Monitoren vor sich die Dokumente. Auch Animes mit Symbolen aus der NS-Zeit oder Gewaltdarstellungen sind dort abgebildet. Die Monitore für Zuschauer und Presse werden ausgeschaltet. Zu verstörend, zu „heftig“ könnten einige Bilder sein. Wenige Zitate werden von den Zeugen wiedergegeben. Doch immer greifen entweder die Nebenklagevertreter oder die Richterin ein. Stephan B. hatte genug Raum in diesem Prozess, um sein krankes, menschenverachtendes Weltbild zu verbreiten. Da sind sich alle einig, anfangs.

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Stephan B. spielte vor allem Egoshooter

Stephan B. zockte viel: 44 Spiele fanden die Ermittler auf zwei Accounts bei der Gaming-Plattform Steam. Allein den Egoshooter „Rising Storm“ spielte er 266 Stunden lang. In anderen Spielen beschäftigte er sich auch mit dem Bau von Waffen wie denen, die er für seine Tat nutzte.

Stephan B. spielte auch Multiplayer, also Spiele, die online mit und gegen andere gespielt werden. Und hier ziehen im Gerichtssaal plötzlich erste Wolken auf. Denn viele der Nachfragen, die die Nebenkläger haben, zum Beispiel, mit oder gegen wen Stephan B. da gezockt hat, oder ob seine Kontaktliste mit sieben anderen Spielern nachverfolgt wurde, bleiben unbeantwortet. Entweder, die Ermittler kamen nicht weiter, oder sie sind dem einfach nicht nachgegangen, das ergeben die Vernehmungen.

Nebenklage: War Stephan B. doch kein Einzeltäter?

Für einige Nebenklageanwälte lässt das den Schluss zu, dass niemand sicher sein kann, ob Stephan B. wirklich ein Einzeltäter war. Das war bisher die Theorie. Einige Anwälte üben Kritik an den Ermittlungen und den Beamten, die teilweise frisch vom Studium kamen und mit diesen Ermittlungen betraut wurden. „Uns kommt es so vor, als sei die Polizei ein hungriger Patient, der mit der Zeit nicht mitkommt“, so ein Nebenklagevertreter.

Andere Anwälte finden die Ermittlungen zwar auch nicht optimal, sehen das Problem aber eher bei der fehlenden Vorratsdatenspeicherung in Deutschland und bei der schlecht ausgestatteten und nicht ausreichend geschulten Polizei. Und Stephan B.? Der lehnt sich zurück, grinst wissend und genießt seine Show. Antworten gibt er am Mittwoch nicht.

Im Video: Nebenklägerin beschreibt ihren Eindruck von Stephan B. vor Gericht

Nebenklagevertreter geraten aneinander

Als der Beamte gehört wird, der Stephan B.s Manifest und andere Dokumente analysiert und mit den Schriftstücken verglichen hatte, die der Attentäter von Christchurch vor seiner Tat veröffentlichte, zieht im Gerichtssaal endgültig der Sturm auf. Die Nebenklagevertreter bekommen sich in die Haare.

Die einen stoßen sich daran, dass die Beamten sich kaum zu den im Manifest angesprochenen rassistischen Theorien belesen haben und so, aus Sicht einiger Anwälte, nicht einschätzen können, welche Tragweite B.s Worte haben. Die anderen, wie zum Beispiel Nebenklageanwalt Jan Siebenhüner, finden, dass diese Theorien im Gerichtssaal nicht ausgebreitet werden müssten, weil der Angeklagte so eine noch größere Bühne bekäme und es für die begangene Tat an sich nicht wichtig wäre.

Einige Nebenklagevertreter stimmen ihm zu, indem sie auf die Tische klopfen. Nebenklagevertreterin Kati Lang geht vehement dagegen, erhebt die Stimme und sagt: „Man muss sich mit den Theorien befassen und darüber sprechen, immerhin sind 6 Millionen Juden dadurch zu Tode gekommen.“ Es folgt lautes Klatschen von den Zuschauerplätzen. Auch die Vorsitzende Richtern Ursula Mertens (lesen Sie hier ein Portrait) wird kritisiert, weil sie, so einige Nebenklageanwälte, die Ermittler in Schutz nimmt. Die Richterin diskutiert zwar mit den Anwälten, die klatschenden Zuschauer ermahnt sie aber nicht.

Unversöhnt auseinander

News Bilder des Tages 3. Prozesstag am Landgericht Magdeburg gegen Stephan Balliett den mutmaßlichen Attentäter von Halle Saale, Stephan Balliet. Verantwortlich ist der 1. Strafsenat des Oberlandesgericht Naumburg - sog. Staatsschutzsenat. Hier die richterin Ursula Mertens Prozessauftakt gegen Stephan Balliet *** 3 day trial at the Magdeburg Regional Court against Stephan Balliett the alleged assassin of Halle Saale, Stephan Balliet Responsible is the 1 Criminal Senate of the Naumburg Higher Regional Court so-called State Protection Senate Here the judge Ursula Mertens Trial start against Stephan Balliet
Die Vorsitzende Richterin Ursula Mertens.
www.imago-images.de, imago images/Christian Grube, Christian Grube via www.imago-images.de

Ohne eine Einigung bei der Diskussion darüber, ob rassistische Theorien im Allgemeinen nun für die Urteilsfindung wichtig sind, oder nicht, endet der Prozesstag. Ein Tag, den der Angeklagte, so zumindest sein Lachen und Grinsen während der Verhandlung, sichtlich genossen hat. „Genau das will er, er will uns Nebenklagevertreter gegeneinander ausspielen“, so Rechtsanwalt Jan Siebenhüner beim Verlassen des Gebäudes.

Vielleicht ist der Sturm bis zum nächsten Verhandlungstag am Dienstag abgezogen. Denn dann wird allen Beteiligten noch mal viel abverlangt. Es sind die Menschen vorgeladen, um die es eigentlich geht - die Betroffenen. Einige von ihnen waren in der Synagoge, während Stephan B. versucht hatte, in das jüdische Gotteshaus zu gelangen und ein Blutbad anzurichten.

TV-NOW-Doku zum Halle-Attentat

Rund um die Chronologie des Anschlags in Halle finden Sie hier mehr Informationen zu unserer Dokumentation bei TV NOW.

Die Zusammenfassung des sechsten Prozesstags von RTL-Reporterin Anne Schneemelcher lesen Sie hier.