Gewalt im Job nicht nur an Silvester
„Wir bringen euch um!“ Angriffe, Drohungen, Beleidigungen – Pfleger und Notfallsanitäter packen aus!

Die Silvester-Ausschreitungen gegen Polizei und Rettungsdienst erschütterten Deutschland. Traurige Einzelfälle? Tatsächlich sind diese ausufernden Gewaltexzesse laut des medizinischen Fachpersonals leider keine Ausnahmen. „Gewaltausbrüche gehören zu unserem Alltag“, sagen Intensivpfleger Dominik Stark (31) und Notfallsanitäter Christopher Grüne (44) im RTL-Gespräch. Welche heftigen Erfahrungen die beiden in ihren Jobs im Gesundheitssektor regelmäßig machen müssen, lesen Sie hier.
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Pflegekräfte erleben körperliche und verbale Angriffe: "Werde beleidigt und bespuckt"
„Wie weit, muss es denn noch gehen? Der Respekt ist nicht mehr da“, sagt Intensivpfleger Dominik Stark, der in der Notaufnahme arbeitet und den die Silvester-Angriffe auf Rettungskräfte in Berlin und anderen Städten nicht überraschten, Aggression und Gewalt bekam er auch schon am eigenen Leib zu spüren. Seit geraumer Zeit bemerken er und sein Team eine Distanzlosigkeit. Die Grenzen des Sagbaren hätten sich verschoben, sagen sie.
„,Du Arschloch’ ist noch nett. Was viele von uns zu hören bekommen, ist viel schlimmer und gehört für uns zur Normalität“, schildert Stark. Auch körperliche Angriffe würden für viele seiner Kolleginnen und Kollegen zum Alltag gehören – und das nicht nur bei alkoholisierten Patienten.
„Ich habe oft das Dilemma im Schockraum: Ich will helfen und werde beleidigt, bespuckt und wenn es ganz schlecht läuft, gibt es auch mal einen Tritt oder Schlag in meine Richtung. Das ist immer wieder eine Herausforderung“, schildert die Pflegekraft. Längere Wartezeiten in der Notaufnahme würden regelmäßig dazu führen, dass Angehörige von Patienten sehr ungehalten werden und es nicht immer bei verbalen Auseinandersetzungen bleibt.

Morddrohungen in der Notaufnahme: „Draußen standen sieben Personen und haben gewartet“
Dominik Stark und seine Kollegen an der Kölner Uniklinik hätten bereits Morddrohungen erhalten. „Angehörige haben schon zu uns gesagt: ‚Wir bringen Euch gleich um‘! Wir haben dann der Security Bescheid gegeben und die Polizei gerufen. Die Beamten haben draußen vor der Klinik tatsächlich sieben wartende Personen vorgefunden. Ich weiß nicht, was sonst passiert wäre! Man will helfen und erlebt sowas,“ schildert Stark. Der Spätdienst-Kollege habe die Uniklinik später vorsorglich durch den Hinterausgang verlassen, um ein Aufeinandertreffen zu vermeiden.
Oftmals würden sich Patienten aggressiv verhalten, die aus medizinischer Sicht gar nicht in die Notaufnahme gehören, sondern eher zum Hausarzt oder zum Kassenärztlichen Notdienst (116117). „Die Patienten, die gar nicht so krank sind, verhalten sich phasenweise besonders extrem, da sie durch ihre niedrige Triagierung besonders lange warten müssen“, so Starks Erfahrung.
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Ihre Meinung ist uns wichtig! Sollte Gewalt gegen Gesundheitspersonal härter bestraft werden?
Notfallsanitäter will helfen und wird beleidigt: „Sie sind kein Arzt, Sie sind ein Idiot“
Ähnlich ist es auch Notfallsanitäter Chris Grüne bei Einsätzen schon ergangen. „Es ist ein Gesamtpaket aus fehlender Distanz und fehlendem Respekt, das zu diesen Gewaltausbrüchen führt“, glaubt der erfahrene Notfallsanitäter. Seit zwölf Jahren ist er im Rettungsdienst tätig, erlebte selbst bereits drei schwere körperliche Angriffe im Dienst. Verbale Attacken sowieso.
„Wenn wir kommen, heißt es auch mal: Sie sind kein Arzt, Sie sind ein Idiot – machen Sie gefälligst was ich sage“, erzählt Grüne.
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Notfallsanitäter erlebt üble Attacke: Fußballfans stürmen Rettungswagen
Als der Fußballverein Eintracht Frankfurt das Finale der Europa League für sich entscheiden konnte, stürmten Fans des Vereins im Mai 2022 seinen Rettungswagen, Leben retten konnte er in dieser Zeit nicht. Vorfälle dieser Art seien für den Notfallsanitäter immer wieder Bestandteil seines Jobs. Auch ein anderer Gewaltausbruch, geht ihm bis heute nicht aus dem Kopf.
„Wir hatten einen Einsatz und wollten zu einem Patienten mit akuter Atemnot, dann schlug ein Unbeteiligter mit so einer Wucht auf die Motorhaube unseres Einsatzwagens, dass wir den Einsatz abbrechen mussten. Passanten machten uns darauf aufmerksam, dass der Mann in ein naheliegendes Schnellrestaurant gegangen ist. Wir sind dem Mann nach und haben uns an der Tür positioniert, um ihn der Polizei zu zeigen“, so Grüne. Plötzlich habe eine riesige Menschentraube hinter ihnen gestanden, die das Einsatzteam unbewusst in das Restaurant hineingedrückt hätte. Kurze Zeit später habe der Mann genau vor den Sanitätern gestanden.
Sanitäter erleben Gewalt in Schnellrestaurant: „Steche Euch jetzt ab“
Er habe ein Pfefferspray in der Hand gehalten und gesagt: 'Ich steche euch jetzt ab‘, dann habe er in seine Tasche gefasst. „Ich habe ihn am Fuß genommen, wir haben ihn überwältigt, doch ich habe eine ganze Ladung Pfefferspray in Nase und Mund bekommen“, so der Notfallsanitäter. In der späteren Gerichtsverhandlung sei der Mann wegen „gefährlicher Körperverletzung“ zu einer Geldstrafe verurteilt worden.
Letztendlich habe Grüne 500 Euro Schmerzensgeld erhalten und der ASB ebenfalls 500 Euro, weil der junge Mann nicht vorbestraft gewesen sei. Und dies sei noch einer der wenigen Fälle, die am Ende vor Gericht landeten. Zufrieden ist Grüne mit dem Ergebnis trotzdem nicht. „Wir müssten eigentlich jedes Mal Anzeige erstatten, doch das passiert nicht, weil wir helfen wollen und keine Zeit haben.“
Gesundheitspersonal am Limit: „Müsste trotzdem öfter gemeldet und protokolliert werden“
Im RTL-Gespräch schildern Intensivpfleger Dominik Stark und Notfallsanitäter Chris Grüne, was sich ändern muss. Das Thema sei auch im Kollegium ein Tabuthema, gerade deswegen müsste mehr darüber gesprochen werden. „Trotz Angst und Personalmangel im Gesundheitssektor müssen solche Vorfälle öfter gemeldet und zu Protokoll gebracht werden. Im Psychiatrie-Bereich funktioniert das besser“, schildern beide. Täter müssten öfter bestraft werden, fordern sie deutlich.
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Pfleger und Sanitäter wollen nicht aufgeben: „Für Veränderung kämpfen“
Trotz allem hätten beide noch nicht ernsthaft darüber nachgedacht, ihren Beruf aufzugeben. „Wir wollen das gesellschaftliche Auge dafür schärfen, wann man die Kapazitäten der Notaufnahme oder des Rettungsdienstes nutzen sollte und wie man dann mit dem Personal umgeht! Wir wollen für Veränderung kämpfen.“