Ihre Kinder sind noch immer "schwerst traumatisiert"Femizid: Svenja Becks Ex wollte sie zweimal töten - heute hilft sie Gewalt-Opfern

Zwei Mal hat ihr Ex Mordanschläge auf Svenja Beck verübt: Einmal versuchte er, die dreifache Mutter mit seinem Wagen zu überfahren, das andere Mal erwürgte er sie beinahe, da war der gemeinsame Sohn gerade sechs Wochen alt. Femizide sind in Deutschland trauriger Alltag, im Schnitt wird alle drei Tage eine Frau von ihrem (Ex-)Partner getötet. Svenja Beck hat überlebt – und will Betroffenen helfen. Im Video erzählt sie ihre Geschichte.
TRIGGER-WARNUNG: Der nachfolgende Text enthält explizite Schilderungen von Gewalt.

Svenja Becks Kinder erlebten viele Taten mit und sind "schwerst traumatisiert"

„Er hat mir den Kopf aufgeschlagen, er hat mir die Rippen gebrochen, die Nase gebrochen, ich hatte überall am ganzen Körper blaue Flecken“, sagt Svenja Beck aus Darmstadt. „Trotzdem war die seelische Gewalt schlimmer.“ Alle paar Wochen sei die Situation eskaliert, mindestens 30 Trennungen habe es in der on-off-Beziehung gegeben. „Ich konnte mich selber nicht verstehen, weil ich immer ein Mensch gewesen bin, der gesagt hat: ‘Wenn man mich einmal anfasst, bin ich weg.’“

Sie habe jedoch schnell begriffen, dass es so einfach nicht ist, dass auch gestandene, starke Frauen zu Opfern von Gewalt und Femizid werden können. Die beiden ältesten Kinder seien oft Augenzeugen der Taten gewesen und „schwerst traumatisiert“. Seelische Wunden, die auch heute noch zu spüren seien. „Ich hätte als Mutter viel schneller reagieren müssen“, sagt Frau Beck heute, vier Jahre nach der Trennung im Jahr 2017. Die Schuldgefühle wiegen schwer.

Svenja Beck erzählt von Femizid-Versuchen: "Da war Todesangst im Spiel"

Die Mordanschläge habe sie wie im Film erlebt, ihre Schilderungen gehen unter die Haut. „Ich hing in der Tür mit dem einen Bein, er ist mit dem Rückwärtsgang zurückgefahren, ist um die Kurve, ist mit meiner kleinen Tochter weggefahren“, erzählt sie von dem ersten Mordversuch. 2013 vor einem Indoor-Spielplatz. Menschen hätten sich vor den Wagen gestellt, um ihn zu stoppen. Alles sei sehr schnell gegangen, Svenja habe kaum Zeit zum Nachdenken gehabt, habe das Trauma lange von sich abgespalten, als sei es einer anderen passiert.

„Als er versucht hat, mich zu erwürgen, war es ein bisschen anders“. sagt die 35-Jährige im RTL-Gespräch über den zweiten Anschlag 2016. Damals war ihr Sohn erst sechs Wochen alt. „Das hat sich gezogen wie Kaugummi. Ich habe dann auch Wasser gelassen, mein ganzer Körper ist schon erschlafft. Und da habe ich gemerkt, wie der langsam abgebaut hat, dass die Luft wegbleibt, ich die Augen verdreht hab. Da war Todesangst im Spiel.“ Bevor es zum Äußersten kam, habe ihr Partner von ihr abgelassen, sei abgehauen, ohne sich um seine verletzte Freundin zu kümmern. Rasende Wut, ein Mordversuch – und alles nur, weil ihr Ex bei einem Spieleabend mit Freunden verloren habe. Die Trigger seien vielfältig gewesen, unberechenbar. Aus nichtigsten Gründen sei er in die Luft gegangen. Zum Beispiel, wenn das Navi nicht funktionierte oder die Tochter ein Getränk verschüttete.

Einmal noch kehrte Svenja Beck nach dem zweiten Mordversuch zu ihm zurück, dann trennte sie sich endgültig, als er im Zoo einer anderen Frau hinterhersah. Eine „lapidare Situation“, sagt sie heute. Doch in diesem Moment habe sie gewusst, dass sie das nicht mehr fühlen will. Dass sie nicht mehr kann. Im Krankenhaus habe eine Oberärztin sie vor die Wahl gestellt: Entweder, Sie erstatten Anzeige – oder ich mache das. Svenja Beck zeigte ihren Partner an. „Es kam dann die Gerichtsverhandlung, wo ich dann auch gegen ihn aussagen musste.“ Ein Jahr und einen Monat auf Bewährung habe er bekommen. Nach zwei Jahren habe er einem jungen Mann den Untierkiefer gebrochen – und wieder eine Bewährungsstrafe erhalten. Aktuell ist er auf freiem Fuß, lebt nur einen Wohnblock von Becks Arbeitsplatz entfernt. Sie habe auch knapp vier Jahre nach der Trennung noch Albträume von ihm. Doch reden wolle sie trotzdem, sonst ändere sich nie etwas. In der Gesellschaft, den Jugendämtern, bei Gericht.

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Ex sagte auf Klippe: "Es würde aussehen wie ein Unfall"

Svenja Beck hat den Kontakt zu ihrem Ex komplett abgebrochen – auch den gemeinsamen Sohn (5) sehe er nicht mehr. Ihr ehemaliger Partner „wollte begleiteten Kontakt mit dem Jugendamt“ haben. Doch das wäre nur befristet auf drei Jahre so gelaufen, danach hätte ihr Sohn allein zu seinem Vater gemusst, erzählt Frau Beck. Undenkbar für die Mutter, die sich noch lebhaft an eine Situation im Türkeiurlaub erinnern kann. Damals hätten sie auf einer Felswand gestanden, Fotos bei Sonnenuntergang geknipst. Ein scheinbar normales Familienidyll. Bis ihr Ex sie plötzlich angesehen und ohne eine Miene zu verziehen gesagt habe: „Wenn ich dich und den Kleinen jetzt hier runterschubsen würde, dann würde keiner merken, dass ich euch geschubst habe. Es würde aussehen wie ein Unfall.“

So habe sie das auch dem Jugendamt erzählt. „Es war mir ganz wichtig, zu zeigen, dass ich das nicht mache, um dem Vater eins auszuwischen, sondern dass da wirklich Gefahr besteht.“ Gefahr, die eindringlich auch ein Vorfall illustriert, der sich direkt am nächsten Tag ereignet habe. Ihr Ex habe ihr so hart auf die Schläfe gehauen, dass ein Stück Knochensplitter abgeplatzt sei, „was mir auch beinahe in die Hauptschlagader gekommen wäre“, erzählt sie im RTL-Gespräch. „Und da war der Kleine auch auf meinem Arm und hatte blaue Flecken am Arm. Von daher hatte ich da auch Beweise, dass er da keinen Halt macht.“

Auf Liebesschwüre folgen Gewalt und seelischer Missbrauch

Mit Abstand kann Beck reflektieren, nach welchem Muster die Beziehung ablief. Ein immer wiederkehrender Kreislauf: Erst sei da die sogenannte „Lovebombing“-Phase gewesen, eine Zeit, in der der Partner sie auf Händen getragen habe. In der Idealisierungsphase habe er sie auf ein Podest gestellt, in den Himmel gelobt. Dann sei jedes Mal der Absturz gefolgt: „Vom Himmel in die Hölle“, sagt sie. Nach Liebesschwüren kommen Abwertungen, Beleidigungen und Gewalt. In der vierten und letzten Phase, der Entsorgungsphase, habe ihr Freund sie ausgetauscht und durch andere Personen ersetzt. „In meinem Fall weiß ich von neun anderen Frauen in fünf Jahren“, so die 35-Jährige. Die Dunkelzahl liege vermutlich höher.

Dann geht der manipulative Kreislauf von vorne los. „Das ist wie eine Art Gehirnwäsche.“ Man könne „mit dem logischen Menschenverstand nicht verstehen, was in der dritten Phase oder auch in der vierten Phase passiert“. Sie habe sich wie gelähmt gefühlt, hilflos, gefangen im falschen Film. „Das ist wirklich wie eine Abhängigkeit, es macht auch mit dem Gehirn dasselbe, wie eine Alkohol- oder Drogenabhängigkeit. Es sind die gleichen Entzugserscheinungen, die man nicht deuten kann, wenn man nicht weiß, was einem da wiederfährt.“ Svenja sagt, sie habe sich nach den Übergriffen „zu Tode geschämt“, gedacht, man könne ihr ansehen, was ihr wiederfahren sei. „Das ist so beschämend, dass man sich immer mehr isoliert, immer mehr zurückzieht, einfach nicht mehr an der Welt teilnimmt. Man fühlt sich wie in einen Kerker eingesperrt und kommt da nicht raus.“

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Svenja Beck fiel es schwer die zwei Gesichter ihres Partners miteinander in Einklang zu bringen

Sie habe ihren Ex 2012 in einer Phase kennengelernt, als ihr Leben in einer schweren Krise steckte. Ihr Mann und Vater von zwei gemeinsamen Kindern habe sie aus heiterem Himmel verlassen. Der „Neue“ habe ihr Hilfe angeboten, gesagt, dass er für sie da sei, wenn es ihr nicht gut gehe. „Da war dann plötzlich jemand da, der mich aufgefangen hat.“ Umso schwieriger sei es ihr gefallen, die zwei Gesichter des Mannes miteinander in Einklang zu bringen. Einerseits sei da der liebevolle und charmante Teil in ihm gewesen, auf der anderen Seite die hässliche Fratze von Gewalt und Erniedrigung. Viele Frauen glauben, es liege an ihnen, wenn dieser tolle Kerl auf einmal die Hand gegen sie erhebt. Sie müssten sich mehr anstrengen, sich ändern, glauben sie. Nicht der Schläger sei das Problem, sondern sie selbst.

Schließlich habe Svenja Beck zum ersten Mal von Narzissmus gehört, Bücher zum Thema gelesen – und war schockiert: „Das kann nicht wahr sein, das ist genau das, was ich seit dreieinhalb Jahren erlebt habe, 1:1 niedergeschrieben, wie wenn es meine Geschichte gewesen wäre“, habe sie damals gedacht und sofort gewusst, dass sie eines Tages anderen helfen will, den Teufelskreis zu durchbrechen. Sobald sie die Mechanismen begriffen habe, konnte sie sich allmählich aus der toxischen Beziehung lösen. Ein langer Prozess, der noch einmal anderthalb Jahre gedauert habe.

Um Betroffene aufzuklären, ihnen zu helfen, hat Svenja Beck im Januar 2021 die Selbsthilfegruppe "Narzisstischer Missbrauch und häusliche Gewalt" gegründet und hält bundesweit Vorträge zum Thema Gewalt in Beziehungen, arbeitet sogar mit der hessischen Landesregierung zusammen. In der täglichen Arbeit merkt sie, dass Frauen aller sozialer Schichten Gewalt durch ihre Liebsten erleben. Auch Professorinnen und Psychologinnen gehören zu ihrem Klientel. „Es kann jedem passieren“, stellt die 35-Jährige klar.

+++LESE-TIPP: Was Narzissmus ist und weshalb in westlichen Ländern immer mehr Kinder davon betroffen sind.+++

Sind auch Sie Opfer von Gewalt?

Betroffene können sich via Mail an beck.svenja@icloud.com für die Selbsthilfegruppe anmelden oder das Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen" nutzen, ein bundesweites Beratungsangebot für Frauen, die Gewalt erlebt haben oder noch erleben: 08000-116016.

Hier haben wir für Sie wichtige Anlaufstellen aufgelistet, an die Sie sich im Notfall wenden können.