Bürokratie-Monster Deutschland

Trotz Fachkräftemangel: Pakistanischer Lehrling fällt durch die Prüfung, weil er "Magisches Viereck" nicht erklären kann

Azubi Sheraz Chaudhry und sein Meister Mathias Puchta begutachten auf der Baustelle Pläne.
Sheraz Chaudhry (rechts) und Meister Mathias Puchta (links) sind ein eingespieltes Team: Der Ausbilder kämpft für den Abschluss seines Schützlings.
RTL

Er will, aber darf nicht: Sheraz möchte in Deutschland Elektriker werden, aber scheitert immer wieder. Obwohl er im praktischen Teil der Prüfung „sehr gut“ abschneidet, fiel er bereits drei Mal durch den theoretischen Teil. Dort sollte er unter anderem das „magische Viereck“ erklären.

3 mal versucht - 3 mal gescheitert

Die Enttäuschung ist ihm anzusehen: Der 25-Jährige Sheraz Chaudry ist bereits dreimal durch die Elektriker-Gesellenprüfung gefallen. Doch nicht etwa, weil er das Handwerk nicht beherrscht. Der Pakistaner ist erst vor sieben Jahren nach Deutschland gekommen und verfolgt hier seinen Traum: Er will Elektroniker werden. Im RTL-Interview verrät er, dass er schon als Kind mit seinem Vater zusammen getüftelt und an Autos geschraubt hat.

2015 kam er nach Deutschland, startet zunächst mit einem Praktikum und fängt dann im August 2017 eine Ausbildung zum Elektrotechniker an. Sein Ausbilder Mathias Puchta ist begeistert von der Motivation und der Arbeit, die sein Schützling abliefert, lässt ihn sogar neue Kollegen und andere Azubis einarbeiten.

Zum Ende seiner Ausbildung muss er die Gesellen-Prüfung ablegen, die zwischen ihm und seinem Traum steht. Im praktischen Teil brilliert er und schließt dort mit der Note „sehr gut“ ab. „Das haben selbst die Lehrer und Prüfer nach der Prüfung gesagt, das haben sie so in den letzten zehn Jahren nicht gesehen“, sagt der 25-Jährige stolz im RTL-Interview.

Keine abgeschlossene Ausbildung, weil er das "Magische Viereck" nicht erklären kann

Doch dann scheitert er an den komplizierten theoretischen Fragen. Zu wenig Zeit, um die Fragen als nicht Muttersprachler zu verstehen. Fünfmal muss er die Fragen zum Teil lesen, um sie zu durchblicken, dabei ist sein Deutsch sehr gut. Doch gerade manche der Politik- oder Wirtschaftsfragen machten ihm zu Schaffen: „Ich kenne mich in der Politik nicht so aus, weil ich hier nicht aufgewachsen bin. Und die Fragen zur Autonomie oder dem „Magischen Viereck oder Sechseck – das kannte ich nicht und das war alles sehr schwer für mich zu verstehen und dann zu beantworten“. Auch sein Ausbilder Puchta bestätigt: „Er spricht fließend Deutsch. Kann sich einwandfrei mit Kollegen, Kunden und Auftraggebern artikulieren, versteht sofort, was die wollen.“ Nur an speziellen Fachbegriffen oder politischen Konzepten scheitert Sheraz dann, erklärt der Elektroniker-Meister weiter.

Jetzt wünscht sich der Auszubildende einen letzten Versuch. Ein letzter Versuch, um tatsächlich noch zur Fachkraft zu werden. Das ist in Niedersachsen nicht vorgesehen. Nach drei Fehlversuchen ist da eigentlich Schluss. Doch sein Ausbilder Mathias Puchta will nicht aufgeben, er hofft, dass Sheraz in einem anderen Bundesland ein viertes Mal antreten darf.

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Der Bedarf an ausländischen Fachkräften ist groß - doch Sheraz scheitert an der deutschen Sprache

Der Fachkräftemangel wird für viele Firmen in Deutschland zum großen Problem. Die Not ist groß, fast die Hälfte der offenen Stellen können einfach nicht mit qualifiziertem Personal besetzt werden, zeigt eine aktuelle Umfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer.

So sieht es in den einzelnen Branchen aus:

  • Im Fahrzeugbau leiden 65 Prozent der Unternehmen unter dem Fachkräftemangel.
  • Bei Herstellern von elektrischer Ausrüstung sind es 67 Prozent.
  • Bei Gesundheits- und Sozialdienstleistern sogar 71 Prozent.

Die Lösung des Problems sollen ausländische Fachkräfte sein. Laut Schätzungen bräuchte es jedes Jahr rund 400.000 Zuwanderer, um die enormen Löcher zu stopfen. Doch so leicht ist das nicht, wie der Fall von Sheraz zeigt. Ökonom Marcel Fratzscher fordert ein Umdenken, wenn man ausländische Fachkräfte erfolgreich integrieren will: „Man sieht es zum Beispiel auch bei den Geflüchteten aus der Ukraine. Natürlich sprechen sie nicht sofort Deutsch – können aber dennoch einen wichtigen Beitrag leisten. Wir brauchen mehr Flexibilität, mehr Offenheit und auch mehr Toleranz.“

Für Sheraz steht fest, er will es auch ein viertes und fünftes Mal versuchen und sein Bestes geben. Sollte es dennoch nicht klappen, will er trotzdem in Deutschland bleiben: „Ich würde auf jeden Fall bleiben und auch als Elektrohelfer bei meiner Firma arbeiten, weil mein Chef und meine Chefin haben viel für mich getan und ich will ihnen etwas zurückgeben!“

Momentan ist er als „Elektrohelfer“ angestellt – da ihm die abgeschlossene Ausbildung fehlt. Auch in finanzieller Hinsicht wäre der Abschluss wichtig für Sheraz. Der 25-Jährige hat nämlich mittlerweile eine Freundin und ein Kind. (sso)

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