Mädchen wurde fast sein ganzes Leben zuhause eingesperrt
Eingesperrtes Mädchen (8) in Attendorn: Jugendamt erhielt bereits 2020 Briefe mit Hinweisen

Jahrelang muss ein Mädchen in Attendorn eingesperrt leben, Kontakt hatte es offenbar nur zu seiner Mutter und den Großeltern. Ende September wird es endlich aus der Gefangenschaft befreit. Nun stellt sich heraus: Bereits lange vorher gab es Hinweise auf die schlimme Situation des Kindes
Attendorn: Jugendamt erhielt 2020 erste Hinweise auf Mädchen
Nach dpa-Informationen erhielt das Jugendamt bereits im Herbst 2020 erstmals einen Brief, in dem auf das heute achtjährige Kind hingewiesen wurde. Der Brief war aus der Sicht des Mädchens geschrieben und aus ausgeschnittenen Buchstaben zusammengesetzt. Doch es passierte fast nichts.
Das Jugendamt fragte bei der zuständigen Krankenkasse nach, ob die Mutter, die sich angeblich nach Italien abgesetzt hatte, noch in Deutschland Beiträge zahle. Und tatsächlich: Die Mutter zahlte nach wie vor. Weitere Nachfragen des Amtes verliefen dann jedoch offenbar im Sande, der Spur wurde nicht weiter nachgegangen.
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Jugendamt-Mitarbeiter besuchten 2021 Haus in Attendorn
Erst als weitere anonyme Briefe mit Hinweisen auf den Zustand des Mädchens beim Jugendamt eingingen, verfolgte dieses den Fall weiter. Im Herbst 2021 wurde erstmals die Polizei eingeschaltet. Die Polizisten baten das Jugendamt allerdings darum, zunächst einmal selbst vor Ort zu recherchieren.
Tatsächlich besuchten daraufhin zwei Mitarbeiter nach Aktenlage am 15. Oktober 2021 unangekündigt das Haus, in dem das Mädchen später gefunden wurde. Die Großmutter und der Großvater ließen die Beamten ohne Durchsuchungsbeschluss allerdings nicht hinein – sie zogen unverrichteter Dinge wieder ab.
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Attendorn: Ermittlungen gegen Mutter, Großeltern und Jugendamt

Erst im Juni 2022 – fast zwei Jahre nach Eintreffen des ersten Briefs – kam mehr Bewegung in den Fall. Nach weiteren Hinweisen erfuhr das Jugendamt aus Italien, das die Mutter dort nicht wohnt. Die Polizei wurde wieder eingeschaltet und stürmte schließlich am 23. September mit richterlichem Beschluss das Haus.
Die Ermittler gehen davon aus, dass das Mädchen rund sieben Jahre lang nicht das Haus verlassen durfte. Sie soll normal und gesund gewirkt haben, nur das Treppensteigen fiel ihr schwer.
"Das ist eine Geschichte der Misserfolge"
Die nordrhein-westfälische Familienministerin Josefine Paul betonte, dass die Ermittlungen derzeit noch laufen. „Wir können daher noch nicht abschließend sagen, wie die Handlungen des Jugendamts einzuordnen sind“, erklärte die Grünen-Politikerin.
Deutlichere Worte fand derweil Dennis Maelzer von der SPD. „Da bleiben große Fragezeichen. Das ist eine Geschichte der Misserfolge“, sagte der familienpolitische Sprecher seiner Partei. „Von Anfang an ist da etwas schief gelaufen.“
Ermittelt wird nun gegen die Mutter und die Großeltern sowie wegen Unterlassens auch gegen das Jugendamt. (jda/dpa)