Studie: Hartz-IV-Sanktionen sind sinnlos
Bürgergeld-Debatte: Droht Arbeitslosen bald keine Strafe mehr, wenn sie Jobs ablehnen?
Das unsägliche Kapitel „Hartz IV“ soll nun endlich bald der Vergangenheit angehören. Das hatte die Ampel-Regierung schon im Koalitionsvertrag festgeschrieben. Stattdessen soll ein Bürgergeld als Arbeitslosenhilfe kommen. Aber da fangen die Diskussionen schon an. Während die einen kritisieren, dass es nur ein neuer Name für dasselbe schlechte Produkt sei, fordern Experten eine komplette Überarbeitung – inklusive Abschaffung aller Strafen, wenn ein Arbeitsloser beispielsweise seine Termine beim Jobcenter verpasst oder einen angebotenen Job ablehnt.
Lese-Tipp: Bürgergeld statt Hartz IV: Das soll sich bald ändern!
Grüne fordern deutliche Hartz-IV-Erhöhung
Seit nun genau 20 Jahren streitet die Politik über die Arbeitslosenversorgung Hartz IV. Zu niedrige Regelsätze, zu harte Sanktionen – all das bemängelten vor allem Sozialverbände und linke Politiker. Mit der Überarbeitung von Hartz IV und der Umbenennung in „Bürgergeld“ will die Ampel-Regierung viele Versäumnisse der vergangenen Jahre ausräumen. So sieht es auch der Gesetzesentwurf von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil vor.
Zum 1. Januar 2023 soll das Bürgergeld starten und im Vergleich zu Hartz IV gleich 53 Euro mehr für jeden Arbeitslosen bringen- insgesamt 502 Euro. „Zu wenig“, sagt Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge im Frühstart von RTL und ntv. Im Bundestagswahlkampf hatten die Grünen zwar selbst noch eine Erhöhung um 50 Euro vorgeschlagen. "Die ist jetzt aber aufgrund der inflationsbedingten Kosten zu gering", so Dröge. Wie viel Euro mehr es genau werden sollen, wollte die Grünen-Fraktionschefin aber nicht sagen. 200 Euro – wie vom Paritätischen Gesamtverband gefordert – sei „wahrscheinlich aber nicht darstellbar“, so Dröge.
Im Video: Grünen-Fraktionschefin Dröge fordert Plus beim Bürgergeld
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"Sanktionen gehören restlos abgeschafft"
Neben der Höhe des Bürgergeldes streiten Politik und Experten aber auch über die Rahmenbedingungen. Streitpunkt sind vor allem die Sanktionen, die Arbeitslosen drohen, wenn sie nicht die Auflagen erfüllen, die ihnen das Jobcenter stellt. „Menschen werden durch solche Sanktionen in die Armut gedrückt“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands Ulrich Schneider.
Unterstützung bekommt Schneider vom Präsidenten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher. Menschen bräuchten Verlässlichkeit bei der Höhe ihrer Grundsicherung. Das sei durch Sanktionen nicht möglich.
Das Sanktionen bei Arbeitslosen keine Wirkung zeigen, unterfüttert auch eine neue Studie im Auftrag der 2015 gegründeten Initiative Sanktionsfrei e. V.. Anstatt sie dazu zu bewegen, sich einen neuen Job zu suchen, hätten Sanktionen durch das Jobcenter die genau gegenteilige Wirkung, so die Studie. Arbeitslose würden eingeschüchtert. Schneider sprach sogar von einer „tiefschwarze Rohrstock-Pädagogik“, die „restlos abgeschafft“ werden müsse.
Im Auftrag der 2015 gegründeten Initiative Sanktionsfrei e. V. hatte das Forschungsinstitut INES in einem Zeitraum von drei Jahren 585 zufällig ausgewählte Personen befragt, die in diesem Zeitraum durchgängig oder mit Unterbrechungen Grundsicherung bezogen haben. Bei einer Teilgruppe wurden Sanktionen finanziell ausgeglichen. Herausgekommen sei, dass finanziellen Kürzungen keinen besonderen Effekt auf die Motivation der Betroffenen hätten, so Sanktionsfrei e.V..
Im Video: Schneider: Sanktionen sind „tiefschwarze Rohrstock-Pädagogik"
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CDU-Wirtschaftsrat will Sanktionen stattdessen verschärfen
Doch das sehen bei weitem nicht alle so. In der FDP und auch in der Wirtschaft fürchtet man, dass bei einer Abschaffung der Sanktionen gar niemand mehr arbeiten gehen will. „Es sorgt für Demotivation bei denjenigen, die mit einem geringen Gehalt regulär arbeiten“, sagte Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks, in der "Rheinischen Post".
Auch generell sei das Konzept des neuen Bürgergelds „nicht gut“. "Viele fragen sich, warum soll ich morgens um 7 Uhr schon arbeiten, wenn derjenige, der das Bürgergeld bezieht, fast das Gleiche bekommt.“
Lese-Tipp: Söder: Bürgergeld kann zu Missbrauch führen
Kritisch äußerte sich vor wenigen Tagen auch der als konservativ geltende „CDU-Wirtschaftsrat“ und sorgt mit einem Vorstoß in die andere Richtung für einen regelrechten Shitstorm auf Twitter. So wollen die CDU-Politiker Arbeitslose künftig zu Arbeit zwingen. Arbeitslosengeld soll nur bekommen, wer sich verpflichtet gemeinnützige Arbeit zu tun. Heißt im Umkehrschluss: Wer sich weigert, dem würden die Leistungen drastisch gekürzt. Auf Twitter hagelt es dafür Hohn und Spott: „Schön, wie Deutschland wieder ins Mittelalter rutscht.“ (dpa,sst)
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